Irmgard Reusch, Hohenstein-Bernloch
Im Blick auf die „Ökumenischen Kirchentage“ beschäftigt viele Christen die Frage nach der Abendmahlsgemeinschaft zwischen den verschiedenen Konfessionen. Das gilt auch für konfessionsgemischte Ehen und Familien. Denn die gemeinsame Feier der Eucharistie, also miteinander am Abendmahl teilzuhaben, verbindet die Eheleute, ebenso die Kinder dieser Familien mit ihren Eltern. – Wie weit ist es möglich, diese Gemeinschaft zu praktizieren?
Es liegt schon 55 Jahre zurück, dass ich in England mit dieser Frage konfrontiert war: Damals verbrachte ich acht Monate in Wistow, einem „International Oekumenical Centre of Christian Friendship and Service“ – zu deutsch: Eine „Internationale ökumenische Hausgemeinschaft“: Deutsch-jüdische, christliche Emigranten hatten sie in einem englischen Landadelssitz gegründet und aufgebaut. Junge Menschen aus den im Zweiten Weltkrieg verfeindeten Nationen – besonders Studenten – sollten hier zu gemeinsamem Leben, Lernen und Arbeiten zusammengeführt werden – ein Stück Dienst für die Völkerversöhnung also.
In diesem Haus fanden ganz unterschiedliche Tagungen statt, deren Teilnehmer wir zu betreuen hatten. Zum Beispiel hatten wir über ein Wochenende eine Jugendgruppe des „Leicester-Church-Council“ zu Gast, Vertreter verschiedener Denominationen, also Anglikaner, Methodisten, Baptisten, Congregationalisten und anderer Freikirchen; sie sprachen über Annäherung und mögliche Gemeinschaft zwischen den verschiedenen Gruppen.
Dabei hörten wir einen Bericht über die „Vereinigte Kirche Südindiens“, die sich wenige Jahre zuvor, 1948, aus den unterschiedlichsten Gruppen und Missionsgemeinden gebildet hatte. Der erste Bischof dieser „United Church of South India“ war ein Württemberger, der frühere Basler Missionar Lipp.
Höhepunkt dieser Tagung war eine Abendmahlsfeier in unserer Hauskapelle, an welcher alle teilnahmen, ganz gleich, aus welcher Kirche sie auch kamen. Entsprechend der indischen Tradition wurde von zwei Leuten aus der Mitte der Gemeinde Brot und Wein nach vorne gebracht und auf dem Altar niedergelegt – Zeichen dafür, dass Gott die „Frucht unserer Arbeit“ annimmt und zum Zeichen seiner Gegenwart macht.
Da ich zuvor schon regelmäßig an den Gottesdiensten und Abendmahlsfeiern – „Holy Communion Service“ – in der nahen Dorfkirche teilgenommen hatte, war die Abendmahlsgemeinschaft in dieser Feier für mich nicht so außerordentlich und überwältigend wie für die Mitglieder all der verschiedenen Denominationen, die so etwas in diesem Gottesdienst zum ersten Mal erlebten.
Allerdings machte ich auch recht andere Erfahrungen: Einmal kam ich mit einem anglikanischen Pfarrer ins Gespräch, von dem ich wusste, dass er einige Zeit im Tübinger Stift studiert hatte; er lebte mit seiner Frau in einem Vorort von Birmingham. Ihm erzählte ich, dass ich von Wistow aus zur „Holy-Communion“-Feier in die Dorfkirche gegangen war. Da erwiderte er mir: „Wie können Sie in einer anderen Kirche zur Kommunion gehen, obwohl mit Ihrer Heimatkirche keine Abendmahlsgemeinschaft besteht? Wie können Sie die Grenzen zwischen den Kirchen einfach überspringen, als gäbe es sie nicht? Dadurch nehmen Sie weder Ihre eigene noch die andere Kirche ernst. Wo keine Abendmahlsgemeinschaft herrscht, können wir nicht so tun, als gäbe es sie.“
In meiner Erinnerung ist es mir, als hätte er diese Worte sogar auf deutsch gesprochen, um ihnen mir gegenüber mehr Nachdruck zu verleihen. Sie hatten mich sehr betroffen. Hatte ich wirklich etwas Unerlaubtes getan?
Die Hauseltern und die stellvertretende Leiterin waren gerade im Urlaub, deshalb konnte ich niemand um Rat fragen und blieb daher eine Zeit lang dem „Holy-Communion“-Gottesdienst fern.
Da wir jungen Leute alle kein oder nur wenig Geld hatten, dennoch aber während unseres England-Aufenthaltes Land und Leute kennen lernen wollten, fuhren wir an unseren freien Tagen immer wieder per „Auto-Stop“ fort. So war ich einmal zusammen mit einer Freundin unterwegs, als uns ein freundlicher Herr mitnahm. An seiner Kleidung erkannte ich ihn als anglikanischen Geistlichen. Er stellte sich uns vor als „Arch Deacon of Lincoln“. Er hatte also ein Leitungsamt inne, ähnlich dem unserer Prälaten. Ungefähr 200 Gemeinden gehörten zu seinem Sprengel. Da er uns so sachkundig über Wistow und unsere Erlebnisse befragte, fasste ich Mut, ihm mein Problem zu erzählen und ihn um Rat zu bitten.
Seine Antwort war sicherlich nicht gerade typisch für einen anglikanischen Geistlichen, jedoch für mich eine große Hilfe: „Wie es im Pflanzenreich vorkommt, dass in ein und derselben Familie, etwa den Nachtschattengewächsen, bei der einen Art nämlich – der Tomate -die Frucht nützlich und essbar ist, bei der anderen jedoch – der Kartoffel – die Knollen, so ist es bei den Kirchen. Bei der einen – der Römischen – ist die Eucharistie und das Amtsverständnis wichtig, bei der andern – der Lutherischen – die Wortverkündigung und die Diakonie, und bei meiner, der Anglikanischen, die Liturgie und das Gebet. Und doch gehören sie alle zusammen zu der einen Familie, der weltweiten Christenheit, und sie sollen einander ergänzen und sich gegenseitig dienen mit ihren je besonderen Gaben.-Sie tun also nichts Unrechtes, wenn Sie in Ihrer Person an beiden Anteil haben…“
Einige Zeit später kam unsere stellvertretende Leiterin, eine alte Anglikanerin, die sich aber sehr für andere Kirchen interessierte, vom Urlaub zurück. Ich erzählte ihr alles, auch mein Gespräch mit dem „Arch Deacon of Lincoln“. Da erklärte sie mir, dass der Ortspfarrer der Gemeinde, zu welcher Wistow gehörte, eine besondere Erlaubnis vom Bischof von Leicester hatte; er durfte alle, die vom „International Christian Centre Wistow“ kamen, zur Kommunion zulassen, ohne nachzufragen, aus welcher Kirche sie kämen. Dies zu hören, war für mich eine Erleichterung und Freude. Nun konnte ich wieder ohne Hemmung am „Holy-Communion“-Gottesdienst teilnehmen.
Inzwischen sind 55 Jahre vergangen. Unzählige Gespräche wurden geführt zwischen den Konfessionen und Denominationen. Es gab Verlautbarungen, welche das Miteinander regeln und weithin auch die „Eucharistische Gastfreundschaft“ ermöglichen. Lediglich die römisch-katholische Kirche erlaubt die Abendmahlsgemeinschaft mit den reformatorischen Kirchen nicht. Dagegen wird das „Gemeinsame Gebet“ ausdrücklich gefördert, etwa bei der „Gebetswoche für die Einheit der Kirche“ in der Woche des Sonntags vor Pfingsten, Exaudi; ähnlich ist es beim „Weltgebetstag der Frauen“.
Letztlich kann nur der Geist Gottes die Herzen füreinander öffnen. Menschliche Bemühungen für sich allein sind vergeblich. Sie zeigen die Trennung, die wir so schmerzlich empfinden.
Das Gebet vieler Christen ist es, dass Gott das Eins-Sein im Geist schenken möge – früher oder später – wie es im „Hohepriesterlichen Gebet“ Jesu heißt: „…auf dass sie alle eins seien, wie du, Vater, in mir und ich in dir“ (Joh17,21).