Gottes schöpferisches Wort wirkt. Es bewirkt auch den Gang der Geschichte. Es ist wie ein Same, der austreibt und nach und nach heranwächst zu der Gestalt, die genetisch in ihm steckt. Ein Weizenkorn z.B. wird in die Erde gelegt, entwickelt Wurzeln, damit die Zufuhr der nötigen Nährstoffe gewährleistet ist. Dann durchbricht der zarte Halmansatz die Erdoberfläche, ein erstes Grün zeigt sich. Der Halm wird länger, ein erster Knoten verleiht ihm festen Halt. Zugleich ist eine Elastizität vorhanden, die ihn davor bewahrt, abzubrechen, wenn entsprechende Winde kommen. Schließlich, mit weiteren Knoten wächst die Ähre heran. Dann braucht sie noch Zeit, dass sie ausreifen kann. Sonne, Wind und Regen, auch Dünger, tun das Ihre dazu. Am Ende steht viel Frucht zur Verfügung. So reift auch die Zeit bis hin zur neuen Welt Gottes.

Zeitenwende – ihr Ursprung 

Zeit und Raum sind von Gott geschaffen. Wir Menschen erfahren Zeit nur als Gegenwart. Vergangenheit und Zukunft haben nur insofern für uns Bedeutung, als dass sie uns in der Gegenwart, ganz aktuell, jetzt, beeinflussen (nach Augustinus). 

Die biblische Prophetie zeigt uns, dass die Zeit kein Hamsterrad, keine Kreisform ist, wie z.B. bei den Jahreszeiten, sondern ein Weg mit einem Ziel. 

Gott selbst bringt durch seine Offenbarung die Zeitgeschichte nach vorne. Ohne Offenbarung kommt alles zum Stillstand und zur ewigen Wiederholung. Wie sein schöpferisches Wort unser Leben und den Kosmos bewegt, beschreibt die Bibel nicht mit dem Begriff Zeitenwende, sondern beispielsweise so: „Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn“ (Gal 4,4). Wie beim gefüllten Stundenglas wird die Zeit gewendet. „Gott erhörte ihr Wehklagen und gedachte seines Bundes mit Abraham, Isaak und Jakob. Und Gott sah auf die Israeliten und nahm sich ihrer an“ (2 Mose 2,24-25). Zeitenwenden sind deshalb auch Umkehrzeiten. Im Wahrnehmen der Situation Israels kommt es für das Volk zur Zeitenwende. 

Gottes prophetisches Wort gilt zuerst der Kirche. Um zu verstehen, was kommt, müssen wir hören, was der Geist den Gemeinden sagt. 

Wir bekennen also kein blindes zufälliges Schicksal, keine zusammenhanglosen Ereignisse in der Zeit oder ein festgelegtes Kismet1;nach dem Motto „es kommt, wie es kommt“, auch keine kreisförmige Wiederholung (im nächsten Leben dann…). Stattdessen bitten wir: „Komm, Heiliger Geist und sprich dein schöpferisches Wort.“ 


Zeitenwenden sind deshalb auch Umkehrzeiten

Zeitenwende und Reifung

Wir werden Schritt um Schritt auf ein Ziel zugeführt. Jesus spricht über das Ziel der Zeit und verwendet dafür verschiedene Vergleiche. 

In Mt 13,24-30 nennt er die Ernte, in der die Frucht gereift ist. Der Weizen kommt in die Scheune, das Unkraut ins Feuer. In Mt 24,8 spricht er von den Wehen vor einer Geburt. Unsere Zeit reift einem großen Ereignis entgegen: Der Zeitbogen führt uns von der Schöpfung bis zu Gottes neuer Welt. Am Ziel der Zeit, so wie wir sie erleben und kennen, stehen die große Ernte, die reif geworden ist, und das himmlische Jerusalem. 

In einer Zeitenwende beschleunigt sich der Reifungsprozess. Im Unterschied zur gleichbleibenden Zeit (chronos) ist nun Veränderungs- oder Wechselzeit (kairos).

Neues kommt und wird angegangen. Die Reifung des Weizens von der Aussaat bis zur Ernte zeigt uns verschiedene Epochen. In einer Zeitenwende wird der nächste Reifungsabschnitt sichtbar. Dabei wird das Alte in das, was neu wird, aufgenommen. Im Prozess der Reifung der Lebens- und Weltgeschichte soll Christus immer mehr Gestalt gewinnen, bis er wiederkommt. Mit dem Vaterunser bitten wir den Vater um diesen Reifungsprozess und die dazu nötigen Zeitenwenden: „Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“ (Mt 6,10). Diesem Geburtsprozess dienen auch die Wehen dieser Zeit, die immer stärker und in kürzeren Abständen auftreten.

Wir bekennen also nicht den kommenden Weltuntergang. Wir leben von der Zukunft und auf die Zukunft zu und beten deshalb: „Amen, ja, komm, Herr Jesus“ (Offb 20,22).

In einer Zeitenwende beschleunigt sich der Reifungsprozess. Im Unterschied zur gleichbleibenden Zeit (chronos) ist nun Veränderungs- oder Wechselzeit (kairos).

Zeitenwende und Mündigkeit

Eine Zeitenwende verändert die Sicht auf die Welt. Das betrifft mindestens fünf aufeinanderfolgende Komponenten: das Gottesbild, das Menschenbild, das Geschichtsbild, das Schöpfungsbild sowie das „Weltgefühl“. 

Jünger Jesu sollen Zeitenwenden beurteilen können, um die notwendigen Unterscheidungen zu treffen. Das gehört zur wachsenden Mündigkeit (s. Eph 4,14), die Gut und Böse, „Weizen“ und „Unkraut“ zu unterscheiden vermag. Beides wächst. 

Wir bekennen keine Welt, die sowohl unter der Herrschaft Gottes als auch des Bösen steht. Wir sind stattdessen Menschen, die Jesus als den Urheber des Sichtbaren und des Unsichtbaren bekennen. Es geht darum, eine biblisch-christliche Weltanschauung zu gewinnen, die alle Bereiche und die ganze Geschichte der Welt integriert und versöhnt. 

Zeitenwenden – der Weg  

Es geht um den Weg der Reifung bis hin zur neuen Welt Gottes, von ihm und seinem Wort initiiert. Mit der Entwicklung eines biblisch-christlichen Weltbildes führt dies zur Mündigkeit. Dabei gewinnt das, was der Geist den Gemeinden sagt, Gestalt. Es wird sichtbar im Bau einer Kirche und dort im Raum des Altars und der Apsis sowie hörbar in der Liturgie und Anbetung. Gehen wir davon aus, dass die Kirche der Trendsetter ist für alles, was in der Welt geschieht, dass die weltweite Gemeinde Jesu nicht hinterherläuft, sondern vorausläuft und den Weg bahnt. Einige Wegabschnitte, die im Abendland hinter uns liegen und die uns nach wie vor beschäftigen:

Die Kirche des Anfangs

bis zur Konstantinischen Wende (313 n. Chr.). Wir sehen in der Apsis, im Altarraum statt der Kaiserstatue Jesus und die Apostel. In den Gemeinden entstehen das Modell und Programm der neuen und kommenden Gesellschaft für die kommenden 2000 Jahre. Weil jeder einen unmittelbaren Zugang zu Gott hat, kommt es zur Neugeburt des Individuums. „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus“ (Gal 3,28). Hier ist die unantastbare Würde des Menschen verwurzelt, sind die Menschenrechte, die Abschaffung der Sklaverei und die Gleichberechtigung von Mann und Frau grundgelegt. Trotzdem kommt es zur ersten folgenreichen Trennung zwischen der heiden- und judenchristlichen Kirche, später zwischen Ost- und Westkirche und schließlich zwischen katholischer Kirche und den protestantischen Kirchen. Das ergab jeweils einen Verlust an Vollmacht und Salzkraft. 

Gehen wir davon aus, dass die Kirche der Trendsetter ist für alles, was in der Welt geschieht, dass die weltweite Gemeinde Jesu nicht hinterherläuft, sondern vorausläuft und den Weg bahnt.

Die Kirche der Konstantinischen Wende

Die Romanik zeigt in der Apsis Jesus als den Weltenherrn und kommenden Weltenrichter. Vom Jüngsten Tag her ist das kurze Leben einzurichten. Die Ordnung der Zeit entsteht durch das Kirchenjahr, die Fundamente der einen katholischen und apostolischen Kirche entstehen im Kanon und in den ökumenischen Konzilien. Die Ämter der Kirche zeigen sich. Märtyrer und Heilige werden zum Fundament der Kirche dazugerechnet und werden in der Krypta, dem Fundamentort der Kirche, bestattet und verehrt. Mönchsorden retten Wissen und Fähigkeiten durch die Wirren der Völkerwanderung, machen das Land urbar, evangelisieren Stämme und Völker. 

Canossa wird zum Symbol der Papstrevolution und zum Beginn der Nationalstaaten. Die Ordnung der zwei Gewalten Kaiser und Papst, die sich gegenüberstehen, beginnen den Raum der Glaubensfreiheit zu öffnen, um den bis heute (nicht nur in der Ostkirche) gekämpft wird. 

Die Kirche der Gotik 

und die Entdeckung der Liebe durch Bernhard von Clairvaux (Auslegung des Hohen Liedes), Franziskus und andere. Jesus am Kreuz wird nun in der Apsis bis heute gezeigt. Mit biblischen Geschichten werden die Kirchen ausgemalt. Der Zugang zum Grab in Jerusalem, das die Christenheit verbindet, wird verboten. Durch die Kreuzzüge soll dieser Zugang wiederhergestellt werden. 

Die Entdeckung der Liebe öffnet Geist und Sinn für die Welt und für das Wissen und die Wissenschaften und ebnet später die Bahn für die Renaissance. Die Zukunft ist nicht mehr nur Weltgericht, sondern besteht im Kommen des himmlischen Jerusalems. Die Dome in den Städten sind nicht nur Kirchen, sondern Modelle der neuen Stadt, die in ihrer ganzen Herrlichkeit gezeigt werden soll („wie im Himmel so auf Erden“). Die Menschen empfinden sich als Büßer und vor allem als Pilger. Seit 1200 gibt es immer wieder Impulse zur notwendigen Erneuerung der Kirche. Petrus Valdes (Waldenser), Wycliff, Huss, Savonarola. Schließlich kommt es mit Martin Luther zum Bruch. 

Die Trennung der Kirchen wirkt in der Katastrophe des 30-jährigen Krieges (1618-1648) wie ein Brandbeschleuniger. Danach ist vieles anders. Der gestaltgebende Einfluss „der Kirche“ für Europa und anderswo ist gebrochen. Für die Grundlegung von Staat und Gesellschaft wird nach anderen Begründungen gesucht (Thomas Hobbes, Leviathan 1651).

Nun beginnt die Phase der Profilierung und Aufsplitterung in Kirche und Staat. Reformation und Gegenreformation im Barock oder die Liste der europäischen Kriege im 18. Jahrhundert zeigen den weiteren Niedergang der Zentralgewalt des Reiches.

Die Kirche der Moderne 

ist vielfältig. Der Kirchenbau ist uneinheitlich, das Kreuz bleibt jedoch bestimmend in der Apsis. Im ersten Abschnitt versucht jede Konfession ihr jeweiliges Profil zu gewinnen und zu stärken. Dann aber beginnt die Bewegung aufeinander zu. Begegnungs- und Handlungsplattformen werden gegründet, viele davon in England und begünstigt durch das Empire mit globaler Wirkung. Ein weiterer machtvoller Impuls beginnt 1840 in Schottland, wird von der Katholisch-Apostolischen Kirche aufgenommen und gewinnt dann in der Asuza Street 1906-1908 durch eine starke Erfahrung mit dem Heiligen Geist, seinen Gaben und den Diensten weltweite Bedeutung. Heute gehören die Pfingstkirchen zur schnellst wachsenden innerhalb der christlichen Konfessionen. 

Die Schöpfungsaufträge, die die Menschheit am Anfang mitbekam (1 Mose 1,28), sind dabei, erfüllt zu werden. 

1.„Seid fruchtbar und mehret euch und füllt die Erde.“ Im Jahr 2100, vermuten UN-Experten, flacht die Wachstumskurve irgendwo zwischen 10 und 12 Milliarden Menschen ab. 

2.„Machet sie euch untertan und herrschet über sie…“ Das Bewusstsein unserer Verantwortung, für die Schöpfung zu sorgen und die technischen Möglichkeiten dazu sind vorhanden.

Die Staaten in Europa und weltweit sind dabei, sich in ihrer heutigen Gestalt herauszubilden. Säkularisierungsimpulse durch die Französische Revolution und Napoleon finden ihre Antwort in Erweckungen. Es ist die Zeit der Gedankengebäude und Ideologien, eine Reaktion auf die Schwäche christlicher Lehre. Die Folgen sind mit Millionen Toten schrecklich. Insgesamt geht der Trend in eine doppelte Richtung: Das eigene Profil stärken – „we first“ – und das (weltweite) Miteinander suchen. Mit den Weltkriegen tritt die Wirklichkeit der einen Welt offen zu Tage, und durch die technische Revolution des Internets wird sie für Milliarden von Menschen täglich erfahrbar.

Die Kirche der Brautgemeinde

St. Moritz in Augsburg ist eine Kirche der prophetischen Ansage. Wer das Kirchenschiff betritt, erblickt vorne im Altarraum etwas wirklich Neues und Überraschendes. Kein Kreuz ist dort aufgerichtet, das findet sich in den Seitenschiffen, sondern die Figur eines lebensgroßen Christus, der mit ausgestreckter Hand und mit wallendem Gewand dem Besucher entgegeneilt. Es ist der wiederkommende Herr.  

Was wird in diesem Abschnitt sichtbar?

1. Eine Herde

Wir rechnen damit, dass der Herr der Brautgemeinde die einzelnen Konfessionen zusammenbringt, nicht auflöst. „Es wird eine Herde und ein Hirte werden“ (Joh 10,16).

Dazu braucht es eine Form der Leiterschaft, die demütig ist, sich ungern abgrenzt und das, was Jesus anderen gegeben hat, anerkennt und schätzt. Denken wir dabei besonders an das alte Bundesvolk und die messianischen Juden. Beten wir um apostolische Menschen mit kleiner und großer Reichweite, die mithelfen, die eine Herde zusammenzubringen. 

Stellen wir uns auf Menschen ein, die ihre eigene Ehre suchen, sich selbst verherrlichen und sagen: „Ich bin‘s“. Erschrecken wir nicht vor antichristlichen Persönlichkeiten.

2. Heilig und rein

Die Brautgemeinde ist mit den Gaben und dem Charakter des Heiligen Geistes geschmückt. Sie ist wachsam. Geben wir dem, was wir glauben, durch unser Leben Gestalt und Form. Beten wir um Ausgießung des Heiligen Geistes und um Gottesdienste und Zusammenkünfte, in denen das geschehen kann. 

Stellen wir uns auf Irrlehren ein, die in neuem Gewand, aber altem Kern daherkommen. „… und ein jeder Geist, der Jesus nicht bekennt, der ist nicht von Gott“ (1Joh 4,3). Wer Kreuz und Auferstehung leugnet, der ist nicht von Gott. Alles, was mit Unzucht verbunden ist, zeigt sich in einer dazugehörigen Irrlehre. 

3. Evangelisation und Verfolgung

„Eins sein, damit die Welt glaubt“ (Joh 17,21). „Es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen“ (Mt 24,14). Beten wir um offene Türen für das Evangelium und stellen uns auf Verfolgung ein.

Wir bekennen keine Dominanz eines bestimmten Abschnittes, denn jeder Reifungsschritt, jede Zeitenwende ist notwendig und ist bis heute wirksam, damit die Frucht reift. 

„…aber den Weizen sammelt mir in meine Scheune!“ (Mt. 13,30)


Autor

Thomas Pfeifer

Ehemaliger Leitender Referent des CVJM Augsburg

  • CVJM Augsburg

    Gegründet wurde der CVJM Augsburg 1911. Heute bilden ca. 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine verbindliche Gemeinschaft. Sie engagieren sich für Kinder und Jugendliche

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