Frieder Rebafka
Gott baut immer wieder Menschen in die Geschichte Jesu ein, damit durch das Evangelium Menschen gerufen, gerettet und gesendet werden. Am Beginn des dritten Jahrtausends erklingt in der Welt erneut die Einladung, die Petrus zusammen mit den ersten Jüngern von Jesus hörte: „Fahrt hinaus auf den See, dort werft eure Netze zum Fang aus“ (Luk 5,4). Das macht deutlich, dass die Geschichte dieses Zeitalters in erster Linie dazu bestimmt ist, dass sich das Gottesvolk, der Leib Christi herausbilde, vor dem Anbruch des messianischen Reiches. So liegt der Sinn der Umkehr eines Menschen zu Gott hin darin, über das Eigene und Persönliche hinaus, in das Ganze des Reiches Gottes zu gelangen. In seiner letzten Enzyklika (Spe salvi) hat Papst Benedikt XVI. darauf verwiesen, dass unser Christsein nicht im Persönlichen und Privaten stecken bleiben darf, sondern dass wir zur Hoffnung für Gott und die Menschen unser Leben hergeben sollen.
Zur Umkehr gerufen
Für einige Glaubensgemeinschaften ist die Bekehrung eine zentrale Frage, die sehr wohl auch biblisch ist. Der Glaubensweg ist aber mit der Umkehr nicht abgeschlossen, wie manche meinen, sondern er führt weiter zu einem Glaubens- und Lebensprozess in die Gemeinschaft mit dem Dreieinigen Gott und mit den Glaubensgeschwistern. Verkündet doch Jesus die Botschaft: „Das Reich Gottes ist herbeigekommen, tut Buße und glaubt an das Evangelium“ (Mk 1,15). So beginnt das Reich Gottes wie ein wachsendes und sich entfaltendes Samenkorn im Menschen.
So wichtig der Orientierungspunkt der Bekehrung ist, geht es nicht um einen Heilsindividualismus, sondern Bekehrung will als ein Akt des Gehorsams zum Glauben an den Dreieinigen Gott und als Konsequenz, dem Ruf Jesu „folge mir nach“ verstanden werden. Das Ja des Menschen zur Gottes- und der Menschengemeinschaft reiht sich damit in das Ja Jesu ein, das er zum Vater, zu seinen Jüngern, zu den Menschen, zu seiner Kirche, zur Schöpfung gegeben hat. Dieses Ja muss bei Entscheidungen wie ein lang anhaltendes Echo immer wieder neu gegeben werden. Es braucht oft einen längeren Weg, bis der vernommene Anruf vom Ohr ins Herz, bis zur Tat der Liebe gelangt. Der Geist Gottes ist aber von großer Geduld und hört nicht auf, seine Stimme zu erheben, um seine Anliegen zu bringen, Nachfolger Jesu zu finden. Die Mitte der Schrift ist daher nicht die Bekehrung, sondern das Leben mit Jesus Christus. Das bedeutet, wir leben aus dem Opfer Jesu, aus seinem Gebet, aus seinem Geist, der für die Einheit steht, und aus seiner Liebe
Zu seinem Wort gerufen
Ein Zeugnis der Wirkkraft des Wortes Gottes können wir in einer jungen freien Gemeinde in Stuttgart sehen. Dort haben zu Beginn ihrer Gemeindegründung mit ca. 20 Personen vor acht Jahren sieben Familien auf den Straßen Passanten zu Glaubensgesprächen und zu ihren sonntäglichen Gottesdiensten eingeladen. Inzwischen verzeichnet die Gemeinde über zweihundertfünfzig Mitglieder mit weiter wachsender Tendenz. Das bedeutet, dass wegen fehlender Raumgrößen am Sonntag zwei Gottesdienste stattfinden und für ihre Glaubenskurse ein Anmeldestopp besteht. Das führt zur großen Freude und zum Lobe Gottes, wenn wir miterleben, wie in einer Großstadt und dem darin wuchernden „Unkraut“ (das Böse) dennoch der lebendige Same des Wortes Gottes in vielfacher Frucht heranwächst (Mt13,25 ff).
Für einen bekehrten Menschen bedeutet die Kenntnis des Wortes Gottes, von Gott Leben empfangen. Gott selber wirkt durch das Wort in der Geschichte, wie wir es in der Heiligen Schrift erkennen. Darum ist der Dialog mit dem Wort Gottes für den Glaubensanfänger von grundlegender Bedeutung. Durch die Haltung und den Glauben des Hörers, des Betrachters, verkörpert sich langsam das Wort in ihm und wird Fleisch, das sich dann ausdrückt in seiner Anschauung, in seinem Charakter, in seinem Glauben und in seiner Sprache. Christus gewinnt Raum in ihm und er reift als Glied in der einen Kirche heran.
Zur Sammlung gerufen
Die Annahme der Frohbotschaft drängt von sich aus dazu, sie anderen mitzuteilen. Die Wahrheit, die das Leben rettet, führt zur tiefen Freude im Herz und mit einer Liebe zum Nächsten, um das weiter zu schenken, was er selbst umsonst empfangen hat. Dabei geht es um die Bestärkung zum gemeinsamen Leben aus der Taufe und zur Ermutigung der gegenseitigen Annahme in Christus. Aus dem „ich glaube“, formt sich ein „wir glauben“. In der familienhaften Struktur erfährt der Bekehrte bereits das Geschenk Gottes einer innerfamiliären Einheit, die zu einem Hort der Liebe und Annahme werden kann. Das Thema der Einheit und der Vielgestaltigkeit in der neuen Gemeinschaft wird für den Bekehrten immer deutlicher erkennbar und erfahrbar. Das hilft ihm, seine Gaben, Fähigkeiten, Tugenden etc. zu entdecken und auszuformen, um sie dann in das gemeinschaftliche Leben einzubringen. Dabei soll der eigene Entwicklungsprozess – das Sein, das Reden und das Tun – zu einer Einheit kommen und zum gereiften Menschen im Glauben und Leben hinführen. Es bedarf daher der Begleitung einer vertrauenswürdigen Person, die den Sinn des Lebens zu erhellen und das Leben zu orientieren vermag. In der Bereitschaft, geistliche Familie zu leben, liegt bereits die vielfältige Entwicklung, hinein in die Sendung zur Kirche und zur Gesellschaft.
Zum Dienst gerufen
Gott kommt zu uns als der Dienende aller, in der Gestalt unseres Herrn Jesus Christus. Gott lässt ihn Mensch werden und Knechtsgestalt annehmen. Er lässt den Erlöser der Menschheit die Schürze umbinden, Wasser in ein Becken gießen und den Jüngern die Füße waschen. Als Menschen- und Gottessohn diente er den Kranken, Gelähmten, Besessenen etc. und geht gehorsam bis in den Tod ans Kreuz und stirbt im Dienst für die Menschen. Gott vollbringt sein Erlösungswerk durch liebendes Dienen und dienende Liebe, und baut so sein Reich auf dieser Erde. Das ist die Richtschnur eines priesterlich-diakonischen Dienstes der Liebe hin zu Gott, zu seiner Kirche, zu den Brüdern und Schwestern in uneingeschränkter Hingabe. Die Ausübung eines Dienstes geschieht durch die Gnade und die Kraft des Heiligen Geistes.
Dieses Dienen ist die Liebeshingabe, die vom Herzen Gottes ausgeht und durch das Herz des Menschen wirkt. Sie besitzt die Kraft, die Welt und die Kirche zu erneuern. In der Diakonie kommt es nicht so sehr darauf an, was wir tun, sondern ob wir in der Gesinnung Jesu leben, indem wir ganz Gott vertrauen, denn: „Gott will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1Tim 2,4). Ein solches Dienen bewahrt nicht davor, enttäuscht zu werden.
Immer wieder muss im Kleinen unseres Alltags diese Hingabe geübt werden, um darin Jesu Art des Dienens zu lernen. Meine Frau und ich versuchen, regelmäßig eine frühere Arbeitskollegin aus dem CVJM im Pflegeheim zu besuchen. Sie liegt seit fast drei Jahren im Wachkoma. Wir stehen dann einem Menschen gegenüber, mit dem kein Austausch, keine Kommunikation mehr möglich ist. Hier lernen wir, was es heißt zu dienen, in der Haltung, im Respekt, in der Aufmerksamkeit, im Gebet und im Glauben. Gott liebt sie und trägt sie, was wir manchmal erspüren dürfen. Es gilt daher, der Liebe zu ihr hin vorbehaltlosen Raum zu geben, und zu wissen, dass wir in Christus miteinander verbunden sind und bleiben. Manchmal scheint uns ein „Augenblick“ bei ihr dies uns sagen zu wollen.
Zur Einheit gerufen
Heute erleben wir eine vielfältige und gute äußere Diakonie für Arme, Notleidende und Bedürftige. Dabei wird aber das konfessionelle Profil nicht aufgegeben, sondern sogar verstärkt, anstatt in Einheit miteinander vor Gott zu leben, da jeder dazu von Gott berufen ist. Hier bleibt der Auftrag Gottes des Ökumenischen Christusdienstes unverändert: „Vereinige uns alle mit dir und miteinander in der einen, alle und alles umfassenden Liebes- und Lebensgemeinschaft, unzertrennlich in deinem Herzen„.