„Dein Blut komme über die GANZE NACH FREIHEIT SEUFZENDE KREATUR gnädiglich.“

Marie Rüger

gebet8

Es freut mich, wenn Pflanzen und Tiere gedeihen. Doch immer wieder einmal kommt es vor, dass eine Blume in ihrem Topf dahin kümmert und ich nicht weiß, weshalb. Steht sie zu schattig oder zu heiß? Hat sie die falsche Erde oder ist sie krank? Manchmal beobachte ich, dass eine Pflanze sterben will, und gerade dann erinnere ich mich an die nach Freiheit seufzende Kreatur.

Ich kann vieles dazu tun, dass es Pflanzen und Tieren in meinem kleinen Garten gut geht; aber die leidenden Gewächse sind für mich wie ein Gebetszettel, die seufzende Schöpfung nicht zu vergessen.
Die Kreatur seufzt seit dem Sündenfall. Der Mensch wollte sein wie Gott und gerade dadurch fiel er von Gott ab. Seitdem ist der Mensch nicht mehr in der Lage, die Erde im ursprünglichen Auftrag zu bewahren und zu bebauen. Die ganze Schöpfung ist durch den Menschen hineingerissen worden in das Gesetz des Stärkeren. Im Anfang lebten alle und alles im Frieden mit Gott und miteinander; aber jetzt gilt das Gesetz von Fressen und Gefressenwerden. Wir seufzen unter der Brutalität und wir fürchten den Stärkeren. Weil der Mensch den Platz verlassen hat, den er von Gott für diese Schöpfung zugewiesen bekam, konnte Satan, der Mörder und Lügner von Anfang an, sein Un-Wesen treiben. Jesus nennt ihn auch den „Fürst dieser Welt“.
So sehen wir das Seufzen der Kreatur – das Leiden, die Not, die Bosheit und die Sünde. Wir spüren jeden Tag, wie Menschen und Tiere, alle Pflanzen und alle Elemente auf die Freiheit einer völligen Erlösung warten. Gott spürt und sieht das auch – und noch viel klarer. Alle Not löst im Herzen Gottes glühende Liebe aus. Es ist die Liebe, die sich selber hineingibt in all das Elend.
Das Volk Israel hat sich in seiner ganzen Geschichte immer an die schweren Zeiten in Ägypten oder Babylon erinnert. Damals seufzten und murrten die Menschen, und Gott ließ sich immer wieder bewegen, zu helfen und zu retten. Diese Erfahrung ist ein Zeugnis, auch für uns heute. Die großen Nöte, die die Kreatur bis heute durchleidet, sind ein Grund für die große rettende Liebe Gottes, der sich seiner Geschöpfe erbarmt.
Die größte Hilfe ist geschehen, weil Jesus Christus gekommen ist. Der Schöpfer aller Dinge wurde zu einem kleinen, mit bloßem Auge nicht sichtbaren Samen. Maria nahm ihn auf; ihr Leib war ein Teil der Erde, von der wir alle genommen sind. Im Verborgenen wuchs das Kind, und – für das menschliche Auge unscheinbar – ereignete sich das Wunder Gottes.
Nach der Taufe und vor seinem öffentlichen Wirken wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt. Dort war er „bei den wilden Tieren, und die Engel dienten ihm“ (Mk 1,13). Der Schöpfer stellte sich in seine Schöpfung, und er kam als Überwinder des Versuchers gestärkt aus der Wüste zurück. Der Sieg ist endgültig, so dass Jesus angesichts seiner Passion sagen konnte: „Der Fürst dieser Welt hat keine Macht über mich“ (Joh 14,30).
Dennoch musste Jesus alles durchleiden, um aller Kreatur diese überwindende Kraft zufließen zu lassen. Als Jesus in der Nacht nach dem letzten Mahl mit seinen Jüngern in den Ölgarten ging, gab er sich in den schwersten aller Kämpfe. Es musste erwiesen werden, dass nur die Liebe das Gesetz der gefallenen Schöpfung, das Gesetz des Stärkeren, überwindet. Niemand hätte Jesus das Leben nehmen können; er gab es freiwillig für die Vielen und für seine Schöpfung. Jesu Schweiß fiel wie Blutstropfen auf die Erde. Wo Jesus ist, kann die Erde aufatmen. Darum reagierte die Schöpfung auch, als ihr Schöpfer am Kreuz starb: Die Sonne verfinsterte sich von der sechsten bis zur neunten Stunde, und die Erde bebte.
Die Schöpfung ist in das Heilsgeschehen immer mit einbezogen, auch dort, wo Jünger Jesu und Gotteskinder leben und sterben.
Schon als Kind bewegte es mich tief, wenn der Pfarrer nach dem Heiligen Abendmahl zur Sakristei hinausging und den übrig gebliebenen konsekrierten Wein betend auf die Erde goss. Für mich war dies ein starkes Zeichen dafür, dass die Erde am Segen Gottes und an Christus selbst teil hat. Denn im Blut Jesu ist Seine ganze Liebe. Es ist die Gottesliebe, die Seine Sonne scheinen lässt über Böse und Gute. Heilkraft, Wärme, Zuwendung und Offenheit sind nicht von Ihm selber, von Seinem Leben und Seiner Liebe zu trennen. Im Blut ist das Leben. In der Glut dieser Liebe Gottes heilt die Schöpfung.