Michael Decker
[Michael J.Sandel, Was man für Geld nicht kaufen kann, 2012]

Für Geld lässt sich heute fast alles kaufen. In seinem kürzlich erschienenen Buch beobachtet der Philosoph Michael J.Sandel, dass die Menschheit auf der ganzen Welt immer mehr von den Gesetzen eines riesigen Marktes bestimmt wird. Sandel stellt eine erschreckende Liste zusammen. In amerikanischen Großstädten etwa gibt es während des Berufsverkehrs Fahrspuren, die eigentlich für Fahrgemeinschaften reserviert sind. Auf diese Weise wird versucht, Staus zu verringern und Verkehrsteilnehmer daran zu hindern, ihr Fahrzeug nur allein zu nutzen. Allerdings besteht mittlerweile die Möglichkeit, dass Alleinfahrer eine Sondermaut entrichten und dann berechtigt sind, doch auch auf diesen Sonderspuren zu fahren. –  Oder in einem anderen Beispiel beobachtet der Autor, dass Ärzte für viele Tausend Dollar pro Jahr bereit sind, zahlungswilligen Patienten ihre Handynummer zu geben. Nur auf diese Weise sind die Hausärzte jederzeit erreichbar und gewähren noch am selben Tag einen Sprechstundentermin.

Wir sind in einer Zeit angekommen, in der (nicht nur in Amerika) fast alles ge- und verkauft werden kann. Das Marktdenken steht hoch im Kurs. Es hat vielen Menschen Wohlstand und Überfluss gebracht. Doch zugleich wächst auch die Sorge, dass aus der Marktwirtschaft immer mehr eine Marktgesellschaft wird. Heute lassen sich nicht nur materielle Güter mit Geld erwerben. Wer es sich leisten kann und genügend Mittel aufwendet, kann bei Gesundheit oder Bildung, in Natur oder Kunst, bei Kommunikation oder Sicherheit Vorteile gegenüber anderen Menschen kaufen. Das gilt sowohl in einzelnen Gesellschaften als auch zwischen Völkern und Wohlstandsräumen auf der ganzen Erde. Zunehmend werden auch solche Werte gehandelt, die lange Zeit unverkäufliches Allgemeingut waren und auf die wir ein freies Grundrecht hatten.

Wache Zeitgenossen fragen deshalb, welchen Preis diese Entwicklung hat und ob wir wirklich so leben dürfen. Muss es nicht Güter und Werte geben, die gerade für Geld nicht zu haben sind? Denn die Folgen einer Marktgesellschaft, die nur dem Gesetz der wirtschaftlichen Stärke folgt und Wohlstand jeglicher Art vermehren will, kann auf Dauer weder Freiheit noch Frieden bewahren. Je weiter die Schere der Möglichkeiten, sich Leben zu kaufen, auseinanderklafft, desto größer werden die sozialen Spannungen, die eine Nation oder die Menschheit insgesamt von innen her bedrohen. Je mehr sich das Leben auch in seinen zwischenmenschlichen, geistigen und kulturellen Bereichen kommerzialisiert, desto mehr Ungleichheit und Ungerechtigkeit sind die Folge. Die Anfälligkeit für Korruption und Vorteilsbeschaffung nimmt zu. Die Schattenseiten der Gesellschaft werden damit noch größer. Kinder, alleinerziehende Mütter und Väter, Geringverdiener und viele alte Menschen leiden immer stärker darunter, dass sie sich Bildung oder Fürsorge, Zuwendung, Wertschätzung oder Pflege nicht leisten und kaufen können. Hinzu kommt, dass geistige und soziale Güter herabgesetzt und entwertet werden, wenn man sie wie Waren handelt. Erhält jemand eine gute medizinische Behandlung nur dann, wenn er den Preis dafür bezahlen kann? Wird das Niveau der Erziehung und Förderung von kleinen Kindern und Schülern nur noch nach Geldwerten bemessen? Kaum jemand, der solche Beobachtungen nüchtern ansieht, möchte diese Entwicklung unterstützen. Doch die Dinge kommen einfach über uns. Können wir aber unser Leben so einrichten, dass wir frei bleiben und ein Gespür für die Werte bewahren, die sich nicht kaufen lassen?

Kauft von mir  …!

In der Offenbarung nach Johannes werden die Gemeindeglieder von Laodizea ermahnt: Ich kenne euer Tun! Ihr sagt: „Wir sind reich und bestens versorgt; uns fehlt nichts.” Aber ihr wisst nicht, wie unglücklich und bejammernswert ihr seid, elend, blind und nackt. Ich rate euch: Kauft von mir Gold, das im Feuer gereinigt wurde; dann werdet ihr reich! Kauft euch weiße Kleider, damit ihr nicht nackt dasteht und euch schämen müsst! Kauft euch Salbe für eure Augen, damit ihr sehen könnt! (Offb 3,16-18) Diese Worte rufen zur Freiheit. Diese wird auch erkauft, aber nicht mit Geld oder anderen materiellen Gütern. Die christliche Freiheit bietet der zum Kauf an, der sie durch sein Leben und Dienen, durch seine Hingabe und letztlich durch seinen Opfertod am Kreuz gewonnen hat – Jesus Christus. Sein freiwilliger Lebenseinsatz, seine unkäufliche Hingabe aus Liebe zu Gott und den Menschen lässt frei und macht frei. Deshalb kann er denen, die mit ihm gehen und leben wollen, raten: Kauft von mir  …! Deshalb zeigt er an seiner eigenen Person, an seinem Wirken im Leben und Sterben, dass die Freiheit ein inneres Gut ist. Ihre Stärke liegt nicht im Maß der materiellen und wirtschaftlichen Möglichkeiten, sondern in der Kraft des Herzens und des Geistes. Wer es wagt zu lieben, wie Jesus Menschen geliebt hat, erzielt zwar nicht unbedingt Vorteile für sich selbst, aber er kann eine Freiheit gewinnen, die über ihn und sein Leben hinausreicht.

 Ja, Vater

Was hat Jesus zu dieser Hingabe befähigt? Ein kleines Gebet im Evangelium nach Lukas führt auf die Spur. Jesus hatte 72 seiner Jünger ausgesandt, das Reich Gottes in Wort und Tat zu verkündigen. Sie heilen Kranke und vertreiben böse Geister. Sie bringen Menschen die Freiheit, die weder mit Leistung verdient noch mit Geld gekauft werden kann. Heilung und Heil, Versöhnung und Frieden, Zuversicht und Lebensmut schenkt Gott zum Zeichen, dass er nahe ist.

Als die Jünger von ihrem Einsatz zurückkehren, erzählen sie voll Freude von ihren Erfahrungen. Der Geist und die Kraft Gottes hatten durch sie gewirkt. Wo sie im Namen Jesu in die Herausforderungen, die sich ihnen stellten, hineingingen, waren Menschen frei geworden. Darauf wird auch Jesus selbst vom Heiligen Geist erfüllt und ruft: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du dies den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen offenbart. Ja, Vater, so hat es dir wohlgefallen. Alles ist mir übergeben von meinem Vater. Und niemand weiß, wer der Sohn ist, als nur der Vater, noch, wer der Vater ist, als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will (Lk 10, 21f). In diesem kurzen Lobpreis steckt eine große Schöpferkraft. Sie kann denen geschenkt werden, die nicht nach den Gesetzen von Leistung und Gegenleistung, von Preis und Gegenwert handeln, sondern ein anderes Gut in die Waagschale werfen: das Vertrauen. Jesus selbst hat durch sein Vertrauen gegenüber dem himmlischen Vater ein Gut in sich, das alle menschlich sonst zu handelnden Güter überwiegt. Die Worte Ja, Vater!, die Jesus spricht und lebt, sind sein Credo. Sie sind sein Haupt- und Grundbekenntnis. In diesen Worten Ja, Vater! ist alles gesagt: die ganze Liebe, das ganze Vertrauen, ein völliger Gehorsam, eine unerschütterliche Hoffnung.

Als Jesus in seiner Hirtenrede (im Evangelium bei Johannes) von den Seinen als von Schafen spricht, die seine Stimme hören und denen er ewiges Leben gibt, gebraucht er ähnliche Worte des Vertrauens: Mein Vater, der sie mir gab, ist größer als alle und niemand kann sie aus meines Vaters Hand reißen. Ich und der Vater sind eins (Joh 10,29).

Es sind nicht nur Worte, die Jesus sagt. Es ist viel mehr seine Haltung und sein Verhalten, das sich im Vertrauen gründet. Wer den Ruf Ja, Vater! übernimmt und in sich trägt, muss nicht allen Prozenten und Rabatten nachlaufen oder unbedingt immer Vorteile heraushandeln. Er lebt aus einem höheren Gut, aus dem Vertrauen, dass der Vater weiß, was wir bedürfen, sogar ehe wir ihn darum bitten (vgl. Mt 6,8).

Der Philosoph Sandel meint, dass sich die Märkte der Welt nicht von selbst zügeln werden, sondern dass es die Menschen sind, die allein durch ihr Verhalten Einfluss nehmen können. Ist es also nicht täglich den Versuch wert, sich in der Freiheit des Glaubens auf dem Marktplatz der Welt zu bewegen?