rembrandt_predigt_jesu
(Bild von Rembrandt, Gebet von Johann Christoph Blumhardt)

Herr, unser Gott,
hilf Du, dann ist uns geholfen,
heile Du, dann werden wir heil.

Lass unsere Zeit nicht in Jammer vergehen,
sondern gib neue Zuversicht und neue Hilfe,
damit doch auch wieder Frieden werde.

Lass Deinen Ruhm offenbar werden unter den Völkern,
dass von Dir auch wieder die Rede ist und von Deinem Tun, nicht von Menschen-Tun.

So sei mit uns und segne uns,
lass uns stark sein in Dir, unsrem Herrn und Gott,
damit alles wohl ausgerichtet werde,
was wir zu tun haben.

Bleibe bei uns, Vater im Himmel,
mit Deiner Liebe und Deiner Herrschaft,
die waltet über alle Welt!

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Johann_Christoph_Blumhardt
[[Johann Christoph Blumhardt]]
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Gottes Herrschaft über alle Welt.

Michael Decker

Dass der Mensch in Gottes Gnade sei und die Welt in Gottes Ordnung: das ist das Reich Gottes. Die Überwindung der menschlichen Not durch Gottes Fülle, die Sprengung der menschlichen Grenze durch Gottes Kraft, die Bändigung der menschlichen Wildheit durch Gottes Zucht: das alles ist Reich Gottes. Es geschieht in Menschen und von und unter den Menschen. Es ist eine stille Gnade und drängt doch zu Wort und Tat… Die große Sinnerfüllung des Lebens liegt in der Begegnung mit Gott.“ – In diesen Worten von Alfred Delp (verst. 1945) wird deutlich, dass beides untrennbar zusammengehört: Die Gnade Gottes und Gottes Ordnung, das Reich Gottes und die Kirche.

Ohne die Wirklichkeit des Reiches Gottes gäbe es keine Kirche; ohne die Kirche (die eine, heilige, allgemeine, apostolische Kirche) kämen die Gnadengaben des Reiches Gottes nicht zu uns.

Die Kirche hat ihr Fundament im Evangelium, das Jesus verkündigte. Deshalb ist die Kirche für das Reich Gottes wie ein Gefäß.

Auch hier blicken wir zum Horizont des Reiches Gottes. Wir fragen insbesondere nach dem Dienst der Kirche, denn in ihrer Sendung sind ihr die Geheimnisse der Herrschaft Gottes anvertraut.

Der erste Beitrag versucht, das Wesen der Kirche als Dienerin des Reiches Gottes zu beschreiben. – Den zweiten Beitrag verdanken wir einem röm.kath. Autor: Franz Knittel gehört zur Fokolarbewegung und ist Priester im Ruhestand. Sein Beitrag erschließt, wie sich innerhalb der röm.kath. Kirche nach dem II.Vatikanischen Konzil das Verhältnis von Kirche und Reich Gottes entwickelt hat. Manchen evangelischen Lesern sind diese Zusammenhänge vermutlich unbekannt und vielleicht fremd. Im Horizont des Reiches Gottes steht aber alles, was der Geist Gottes in seinem Volk wirkt.

Kirche – Dienerin des Reiches Gottes.

Das Wort „Kirche“ ruft auch unter Christen gelegentlich Abwehrreaktionen hervor. Warum eigentlich? Haben wir schon zu oft Unerfreuliches gehört? Warum sind das Wort und die Wirklichkeit „Kirche“ in Misskredit geraten?

Die einen stört, dass sich die Kirche viel zu sehr an den Zeitgeist und die Maßstäbe von heute angepasst hat. Vor allem die Treuesten empfinden Schmerz darüber. – Andere ärgern sich, weil Kirche ihnen rückständig und schwerfällig erscheint. Muss nicht einer Institution, die in die persönlichen Belange hineinredet und die die Freiheit des Menschen einschränkt, kritischer Widerstand entgegengebracht werden?

Tatsächlich betreffen die Lebensordnungen, die die Kirche verkündigt, den inneren Weg des Einzelnen und sagen ihm, wie er Freiheit verstehen und gestalten soll. Sie verlangen ihm Entscheidungen ab, die er ohne den Schmerz des Verzichts nicht treffen kann. Doch vor allem die Menschen der westlichen Welt wehren sich gegen die geistige Bevormundung. Viele haben den Anspruch kirchlicher Gebote und Verbote für sich selbst abgeschüttelt.

Zugleich aber wird die „kirchliche Stimme“ in der Öffentlichkeit gehört. Viele erwarten, dass sich die Bischöfe und Kirchenleitungen zu strittigen Fragen äußern. Wenn Vertreter der Kirche sich für den Schutz der Schwachen oder im Kampf für mehr Gerechtigkeit, gegen den Krieg oder gegen das Klonen menschlicher Zellen aussprechen, wird der christliche Standpunkt wahrgenommen. Inmitten einer Welt, in der die verschiedenen Interessengruppen für ihre Werte und Rechte eintreten und damit viele Menschen verunsichern, setzen manche doch eine stille Hoffnung auf die Kirche: Ist von den christlichen Institutionen nicht anderes und besseres zu erwarten als von den weltlichen? Ist die Kirche nicht immer noch eine Insel für sinnvolleres Leben, eine Oase, in die man ab und zu eintreten und neue Kräfte sammeln kann?

Weil aber auch die Kirche als weltliche Einrichtung immer wieder so enttäuschend menschlich ist, weil fehlbare, eitle oder rechthaberische Menschen das Kirchenschiff bevölkern, darum entsteht oft Bitterkeit – in den eigenen Reihen ebenso wie unter denen, die von außerhalb kommend Rat und Hilfe suchen.

Wer sich in der Folge nicht abwendet, reiht sich vielleicht unter die ein, die unerschütterlich hoffen, dass sich Kirche doch immer wieder reformieren lässt: „Wie man im politischen Handeln endlich die bessere Welt heraufführen möchte, so denkt man, müsse endlich die bessere Kirche einzurichten sein: eine Kirche voller Menschlichkeit, erfüllt von geschwisterlichem Sinn, von großzügiger Kreativität, eine Stätte der Versöhnung von allem und für alle.“

Menschliche Reformversuche

Nach dem II.Weltkrieg setzten sich viele Christen dafür ein, die Strukturen der Kirche demokratischer zu gestalten. Die „Versorgungskirche“ sollte zur „Gemeindekirche“ weiterentwickelt werden. Vieles wurde erreicht; an vielen Orten öffneten sich neue Räume der Begegnung, Mitsprache- möglichkeiten, Angebote zur Vertiefung des persönlichen Glaubens usw. Menschen suchten ihre eigene Kirche zu bauen. Diskussion, Einsatz, Kompromiss und Beschluss gelten heute als zeitgemäße Mittel der Selbstverantwortung. Weisungen „von oben“ werden dagegen schnell als Bevormundung empfunden und kritisch hinterfragt. Dem nur passiven Empfangen dessen, was die Kirche vorgibt, steht das aktive Mitwirken im Gemeindeleben nach innen und außen gegenüber.

Weithin sichtbar werden diese Reformversuche in der Gestaltung der Gottesdienste. Weil viele die „Liturgie“ als starr und überholt ansehen, wird immer Neues ausprobiert, um die vorgegebenen Schemata zu vermeiden. Als Ideal gilt, was die betreffende Gemeinde, am jeweiligen Ort, in der ihr eigenen Situation zum Ausdruck bringen kann. Was mündige Christen selbst zusammenstellen und mit eigenen Worten sagen, wird gegenüber dem bevorzugt, was allgemein angeordnet oder hierarchisch gefordert wird.

Viele Kirchengemeinden werden daher heute von Minderheiten bestimmt. Der überschaubare Kreis der Engagierten und Treuen gestaltet die Gottesdienste und Kreise; die Mehrheit der Mitglieder aber bleibt passiv im Hintergrund. Dabei entsteht gelegentlich der Eindruck, dass die „Fremdbestimmung“ sich nur verschoben hat: Wo gestern die Kirche ihre Weisungen von oben empfing, dominiert heute die aktive Mehrheit das Gemeindeleben; diese Mehrheit ist aber meist nur eine Minderheit.

Wo Selbstbeschlossenes und Selbstgemachtes das Leben in der Kirche gestaltet, entsteht dadurch ein generelles Problem: „Alles, was Menschen machen, können andere auch wieder aufheben. Alles, was aus menschlichem Gefallen kommt, kann anderen missfallen. Alles, was eine Mehrheit beschließt, kann durch eine andere Mehrheit zurückgenommen werden. Kirche, die auf Mehrheitsbeschlüssen beruht, wird zu einer bloßen Menschenkirche. Sie wird auf die Ebene des Machbaren und Einleuchtenden zurückgenommen. Meinung ersetzt Glaube.“

Kirche im Dienst für das Reich Gottes

Nach dem Verständnis des Neuen Testaments steht die Kirche im Dienst des Glaubens. Die Gaben des Glaubens kommen aber nicht aus dem, was der Mensch selber will, was er sich ausdenkt und erfindet. Der christliche Glaube wird durch das Geheimnis (Mysterium) erweckt, das immer vorausgeht und dem sich der Mensch anvertraut. Der Apostel Johannes weist auf das Geheimnis hin, das jenseits alles Machbaren ist und uns ergreifen will: „Gott ist Licht, und keine Finsternis ist in ihm. Wenn wir im Licht leben, wie er im Licht ist, haben wir Gemeinschaft miteinander, und das Blut seines Sohnes Jesus reinigt uns von jeder Sünde“ (1Joh 1,5.7).

Gott, der Licht ist, will um uns und in uns erstrahlen. Gott, der Liebe ist, will uns in die Gemeinschaft mit sich führen. Die Kirche steht in diesem Dienst. Sie will helfen, dass Gottes Gegenwart geglaubt und erfahren werden kann. Sie darf von all dem reinigen und befreien, was den Blick und die Nähe zum wirklich Wesentlichen verstellt. Kirche dient Gott und den Menschen, indem sie den Raum des Unendlichen und Ewigen offenhält. So kann der Glaube wachsen, der die Barrieren des Endlichen und Fassbaren überschreitet. „Die grundlegende Befreiung, die die Kirche uns geben kann, ist das Stehen im Horizont des Ewigen, der Ausbruch aus den Grenzen unseres Wissens und Könnens.“

Das bedeutet: Die Kirche lebt aus der Hilfe und Kraft des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist ist der Brückenbauer, der alles menschliche und innerweltliche Bemühen immer wieder davor bewahrt, zum Selbstzweck zu werden. Mit dem Heiligen Geist kommt die Atmosphäre und Wirklichkeit des Reiches Gottes in die Kirche und durch die Kirche in die Welt. Daran misst sich christliches Leben, nicht nur an Tätigkeiten und Aktivitäten.

„Es kann sein, dass jemand ununterbrochen kirchliche Vereinsaktivitäten ausübt und doch kein Christ ist. Es kann sein, dass jemand nur einfach aus dem Wort und Sakrament lebt und die aus dem Glauben kommende Liebe übt, ohne je in kirchlichen Gremien erschienen zu sein, ohne je sich mit kirchenpolitischen Neuigkeiten beschäftigt, ohne Synoden angehört und darin abgestimmt zu haben – und dennoch ist er ein wahrer Christ. Nicht eine menschlichere Kirche brauchen wir, sondern eine göttlichere, dann wird sie auch wahrhaft menschlich werden. Und darum muss alles Menschengemachte in der Kirche sich in seinem reinen Dienstcharakter erkennen und zurücktreten vor dem Eigentlichen.“
[Die Zitate stammen von J.Ratzinger, aus: Zur Gemeinschaft gerufen, Kirche heute verstehen]

Das Verhältnis KIRCHE – REICH GOTTES

Franz Knittel

in der Sicht des II.Vatikanischen Konzils (1962-1965)

„Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihrem Herzen seinen Widerhall fände. Ist doch ihre eigene Gemeinschaft aus Menschen gebildet, die, in Christus geeint, vom Heiligen Geist auf ihrer Pilgerschaft zum Reich des Vaters geleitet werden und eine Heilsbotschaft empfangen haben, die allen auszurichten ist. Darum erfährt diese Gemeinschaft sich mit der Menschheit und ihrer Geschichte wirklich engstens verbunden“ (GS 1).

Mit diesem oft zitierten Grund-Satz beschreibt das II.Vatikanische Konzil ein neues Selbstverständnis von Kirche. Es erwuchs aus einer neuen Sicht der Beziehung von Kirche und Welt, die man mit den Worten bestimmen könnte: Die Kirche in Solidarität mit der menschlichen Gesellschaft.

Damit ist Abschied genommen von einer bloß binnenkirchlichen Betrachtungsweise, wie sie im I.Vatikanum (1870/71) gegeben war. Dort stand im Vordergrund des Interesses die Gemeinschaftsform der Kirche selbst – in oft verurteilender Abgrenzung von der übrigen Gesellschaft.

Das II.Vatikanum geht auch über das Leitbild von Kirche hinaus, das Papst Pius XII. eindringlich verkündet hat: Kirche als Lebensprinzip der menschlichen Gesellschaft. Diese Idee war noch von der Auffassung der „Heimholung der Welt“ begleitet.

Die Kirche des II.Vatikanum akzeptiert die moderne Gesellschaft in ihrer Autonomie, Unabhängigkeit und Pluralität. Damit eröffnet sich Raum für eine Begegnung zwischen Kirche und Gesellschaft in Form von Solidarität und Zusammenarbeit.

Darin findet auch das Verhältnis von Kirche und Reich Gottes einen neuen Horizont.

Kirche – Keim und Anfang des Reiches Gottes

„Während sie selbst der Welt hilft oder von dieser vieles empfängt, strebt die Kirche nach dem einen Ziel: nach der Ankunft des Reiches Gottes und der Verwirklichung des Heils der ganzen Menschheit. Alles, was das Volk Gottes in der Zeit seiner Pilgerschaft der Menschheitsfamilie schenken kann, kommt letztlich daher, dass die Kirche das „allumfassende Sakrament des Heiles“ ist, welches das Geheimnis der Liebe Gottes zu den Menschen zugleich offenbart und verwirklicht“ (GS 45).

Schon der Anfang der Kirche, der mit der Person Jesu untrennbar verbunden ist, zeigt den unmittelbaren Zusammenhang mit dem Reich Gottes. „Das Geheimnis der Kirche wird in ihrer Gründung offenbar. Denn der Herr Jesus machte den Anfang seiner Kirche, indem er die frohe Botschaft verkündete, die Ankunft des Reiches Gottes… Dieses Reich leuchtet den Menschen auf im Wort, im Werk und in der Gegenwart Christi unter den Menschen. Auch die Wunder Jesu erweisen, dass das Reich Gottes schon auf Erden angekommen ist. Vor allem wird dieses Reich offenbar in der Person Christi selbst… Von daher empfängt die Kirche die Sendung, das Reich Christi und Gottes anzukündigen und in allen Völkern zu begründen. So stellt sie Keim und Anfang dieses Reiches dar“ (LG 5).

In bewusster Ablehnung jeglicher „Imperiumsvorstellung“ weitet sich die Sicht von Kirche und findet Ausdruck in den biblischen Bildern vom Volk Gottes, vom Christusleib, vom Werk des Heiligen Geistes. „Das messianische Volk hat zum Haupt Christus. Sein Gesetz ist das Neue Gebot, zu lieben, wie Christus uns geliebt hat (Joh 13,34). Seine Bestimmung ist das Reich Gottes, das von Gott selbst auf Erden grundgelegt wurde, das sich weiter entfalten muss, bis es am Ende der Zeiten von ihm auch vollendet werde… So ist dieses messianische Volk… für das ganze Menschengeschlecht die unzerstörbare Keimzelle der Einheit, der Hoffnung und des Heils“ (LG 9).

Zugleich wird aber die kirchliche Bezogenheit aller Gläubigen als Volk Gottes unterstrichen: „Zu dieser katholischen (universalen) Einheit des Gottesvolkes, die den allumfassenden Frieden bezeichnet und fördert, sind alle Menschen berufen. Auf verschiedene Weise gehören zu ihr oder sind ihr zugeordnet die katholischen Gläubigen, die anderen an Christus Glaubenden, und schließlich alle Menschen überhaupt, die durch die Gnade Gottes zum Heil berufen sind“ (LG 13).

Kirche – Hoffnungszeichen der neuen Schöpfung

Kirche und Reich Gottes stehen also in einer gegenseitig auf sich verweisenden Spannung. Kirche hat ihren Sinn nur im Reich Gottes. Sie ist dazu berufen, inmitten einer säkularen Gesellschaft aus den Verheißungen Gottes zeugnishaft zu leben, die Gesellschaft mit ihrer Hoffnung zu durchdringen und deren falsche Hoffnungen kritisch zu hinterfragen. So dient Kirche der Welt, indem sie durch alle zerstörerischen Mächte hindurch die Sehnsucht nach der „Neuen Stadt“ (Offb 21,2) wach hält.

“ Wir wissen, dass Gott eine neue Wohnstätte und Erde bereitet, auf der die Gerechtigkeit wohnt, deren Seligkeit jede Sehnsucht nach Frieden in den Herzen der Menschen erfüllt und übertrifft“ (GS 39).

Allerdings ist diese verheißene Gottesstadt nicht fertig, einfach zum Eintreten. Sie muss gebaut werden. „Die Erwartung der neuen Erde darf die Sorge für die Gestaltung dieser Erde nicht abschwächen… sondern muss sie im Gegenteil ermutigen“ (GS 39).

Alle menschlichen, politischen, sozialen Bemühungen um eine bessere Welt dürfen aber auch nicht gleichgesetzt werden mit dem Kommen des Reiches Gottes. Dennoch sind diese Anstrengungen für größere Gerechtigkeit nicht ohne Belang für das Ziel, zu dem Gott die Welt führen will. „Obschon der irdische Fortschritt eindeutig vom Wachstum des Reiches Gottes zu unterscheiden ist, so hat er doch große Bedeutung für das Reich Gottes, insofern er zu einer besseren Ordnung der Menschheitsfamilie beitragen kann“ (GS 39).

So versteht sich die Kirche vom letzten Ziel der Schöpfung her, wo sich der allumfassende Heilswille Gottes erfüllt. Und worin besteht die Vollendung der Schöpfung? „In der Versammlung aller Gerechten von Adam an bis zum letzten Erwählten in der allumfassenden Kirche beim Vater“ (LG 2). Erst dann hat die Kirche ihr Ziel erreicht. Bis dahin steht sie im Dienst dieses „Ankommens“ aller Menschen. Deshalb ist sie „Sakrament“= Hoffnungszeichen, Heilszeichen für die „innigste Vereinigung mit Gott, wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1und 9).

Anderseits ist die Kirche in ihrer menschlich-sündigen Begrenztheit auch radikal vom Reich Gottes verschieden. Sie ist mit allen Menschen suchend nach der endgültigen Verheißung Gottes. In diese Verheißung hinein wird sich Kirche selbst aufheben.

Aufgrund dieser befreienden Horizonterweiterung wird einer rigoristischen Deutung des Axioms (Anspruchs) „außerhalb der Kirche kein Heil“ der Boden entzogen. Denn diese Überzeugung ist nicht ausschließlich auf die institutionell verfasste Kirche zu beziehen, sondern auf Kirche in ihrer universalen Offenheit. Weil es Jesus Christus gibt und mit ihm untrennbar verbunden die Kirche, ist allen Menschen durch ihn das Heil ermöglicht… Weil es zugleich viele Beziehungen zu Christus und seiner Kirche gibt, darum gibt es auch über den institutionell begrenzten Rahmen von Kirche hinaus objektive Heilswege (vgl. GS 22), die allerdings an Jesus Christus gebunden bleiben und an die Kirche als universalem Heilszeichen von der Schöpfung an bis zur Vollendung des Reiches Gottes.

Das bedeutet weder Vereinnahmung von Menschen, die sich nicht ausdrücklich zum christlichen Glauben bekennen, noch bedeutet es indifferente Relativierung der kirchlich vermittelten Heilsmöglichkeit nach dem Motto: „Jeder soll nach seiner Fasson selig werden“. Denn nur da, aber auch überall da, wo Menschen in geschwisterlicher Solidarität miteinander leben, sind sie im Geist und im Namen Jesu versammelt (Mt 18,20). Und da ist ER – verborgen aber real. Wo Jesus in der Mitte menschlicher Gemeinschaftsformen seinen Platz findet, da beginnt Kirche zu wachsen als vorweggenommene, wenn auch noch so fragmentarische Tischgemeinschaft im Reich Gottes.

Zeichenerklärung: 
GS = Gaudium et spes, Konzilsdokument über das Verhältnis von Kirche und Welt.
LG = Lumen gentium, Konzilsdokument über das Wesen der Kirche