Michael Decker
Hinwendung zum dreieinigen Gott
Hinwendung zur Welt und Hinwendung zum ganzen Leib Christi
Hinkehr zum Willen Gottes.
Was will Gott?
In den letzten Tagen begegnete mir öfter der Text aus Jeremia 42. Dort geht es um die Bitte der kleinen in Jerusalem zurückgebliebenen Schar an Jeremia: Bitte und flehe zu Gott, er möge uns kundtun, welchen Weg wir einschlagen und was wir anfangen sollen. Sollen die Israeliten im Lande bleiben oder doch nach Ägypten ziehen, was nach menschlichem Ermessen sicherer erscheint? Sie versichern Jeremia, so zu handeln, wie es dem Willen Gottes entspricht.
Es dauert zehn Tage, bis Jeremia ihnen Antwort geben kann. Das erscheint mir sehr vertraut. Wie oft schon fragte ich nach dem Willen Gottes in dieser oder jener Situation. Ich suchte nach einer Wegweisung für mein Leben, für eine Gruppe oder für eine schwierige Situation in der Gemeinde. Alleine und mit anderen bat ich, zu erkennen, was der Wille Gottes sei.
Dabei dachte ich meist an ein Ja oder Nein, an ein So oder So nicht. Wo ich mir keine Alternativen vorstellen konnte, erwartete ich sie auch nicht vom Hören auf Gott. Oft schien es lange zu dauern, bis sich ein Weg zeigte, und selten war es eindeutig genug für mich.
Als Jeremia der wartenden Schar die Antwort Jahwes brachte, verbunden mit dem Versprechen seiner Gegenwart und Hilfe, antworteten sie: Du sprichst Lüge. – Der Wille Gottes passte nicht zu ihren eigenen Überlegungen. Der Schritt nach dem Fragen, sich nun dem Willen Gottes zuzuwenden, unterblieb.
Es reicht nicht aus nur zu fragen. Hinwendung braucht die Bewegung weg von mir und schließt die Umkehr zu Gott mit ein. Der Maßstab, wo nach menschlichem Ermessen, nach vernünftigem Erwägen die stärkere Sicherheit, der größere Erfolg zu erwarten ist, taugt nicht.
Um wessen Willen geht es?
Wieso ist es immer wieder so schwer, dem Willen Gottes zu folgen? „Der Wille Gottes ist immer das, was dir schwerer fällt,“ so traf mich mal ein gut gemeinter Rat, der in mir jedoch nur Abwehr, Ärger und Ängste auslöste. Hier hörte ich keine Einladung zur Hinwendung, zum vertrauenden Glauben.
Bei Jesus dagegen fällt mir auf, dass er meist vom Willen des Vaters spricht. Da schwingt ganz anderes mit. Da bin ich eingeladen dem Vater zu vertrauen. Ihm, von dem Jesus sagt: Euer Vater weiß, was ihr braucht. Ihm, der voll Barmherzigkeit und Erbarmen ist, der mit ausgebreiteten Armen auf den schon verloren geglaubten Sohn wartet. Dem Vater zu vertrauen, der sich nach der Einheit mit all seinen Kindern sehnt.
Die Gruppe der Wenigen, die Jeremia in schwerer Zeit fragten, was sie tun sollten, war nicht bereit das Wagnis einzugehen, Jahwe die Führung zu überlassen, gerade dort, wo dies nicht ihren Vorstellungen entsprach.
Maria – eine Frau nach dem Herzen Gottes
Einzigartig begegnet mir diese Haltung des Vertrauens bei Maria. Seit ich mich im Evangelium nach Maria auf die Suche mache, entdecke ich eine starke, mutige, lernende Frau, deren Leben einzigartig ist.
Im Nachsinnen über das biblische Zeugnis bleibt nichts von sentimentalen süßlichen Bildern, sondern es begegnet mir eine starke Herausforderung zum Glauben.
„Es ist tief bedeutsam, dass die Heilsgeschichte mit dem Verstummen eines Mannes beginnt, während das Wort einem Weibe gegeben wird. Zacharias verliert zur Strafe für seinen Zweifel die Sprache: Es schweigt der Priester, es schweigt der Prophet…“ (Rudolf Graber, Bischof).
Überraschend ereignet sich im Leben dieser jungen Frau aus Nazareth die für die Weltgeschichte entscheidende Begegnung: Der Engel tritt bei ihr ein. Mitten im Alltäglichen, in vertrauter Umgebung, bei der täglichen Arbeit sendet Gott seinen Engel. Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir. Und Maria erschrickt; sie versteht diesen Gruß nicht und sinnt nach, was dies wohl zu bedeuten hat.
Erschrecken ist ihre erste Reaktion. Gottes Handeln fügt sich nicht einfach ein, es unterbricht, fordert heraus, strebt nach Veränderung. So erschreckend diese Begegnung beginnt, es ist kein Grund sich zu fürchten. Fürchte dich nicht!, antwortet der Engel. Maria begegnet dem Gott der Gnade, dem, der sich erbarmt und sie mit hinein nehmen will in sein rettendes Handeln für alle.
Wie berechtigt ist da die Frage, die Maria stellt, als sie vom Engel erfährt, was der Wille Gottes sei! Wie soll das geschehen? Hier begegnet mir eine nüchterne Frau, die mit großer Offenheit hinhört auf das Außerordentliche, aber auch ihr Wissen, ihre Vernunft nicht einfach überspringt und ihr Nichtverstehen offen legt: Wie soll das geschehen? Trotz dieser unmöglich scheinenden Verheißung bleibt sie dran, fragt sie nach, hört sie hin.
Erliegen wir nicht oft der Gefahr, in zwei Richtungen vorbei zu hören, wenn uns Gott anspricht? Entweder zu sagen: Das ist unmöglich, das widerspricht jeglicher Vernunft! – oder schnell zu sagen: Ja, ich habe verstanden! – Und dann gleich Ärmel hoch und angepackt, um auf eigenmächtigen Wegen den erkannten Willen Gottes umzusetzen. Geht es uns dann nicht wie Abraham, der Gottes Willen nachhelfen wollte und einen Sohn mit der Magd zeugte, statt glaubend zu erwarten, dass Gottes Wille sich ereignet? Maria fragt nach und sie bekommt die Antwort für ihre Situation. Es ist die Antwort, die immer wieder zum Tragen kommt, wenn auch wir fragen: Herr, wie soll das geschehen? Es wird geschehen durch die Kraft des heiligen Geistes, denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.
Mir geschehe!
Maria glaubt. Mit ihrem ganzen Sein lässt sie sich trotz anderer Lebenspläne – sie ist Joseph versprochen – auf diese Herausforderung ein. Ihre ganze Existenz wird von ihrer Antwort durchdrungen. Ihr Glaube wird ohne Zögern lebendig und konkret in der Antwort, die sie dem Engel gibt: Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe, wie du gesagt hast. Maria ist nicht nur bereit nach dem Willen Gottes zu fragen und auf ihn zu hören. Sie wagt es, ihn an sich geschehen zu lassen. Sie gibt ihr Leben dafür her.
Später lehrt Jesus zu beten: Dein Wille geschehe! Diese Dimension geht tiefer als das Tun. Sie fordert auf, Gottes Handeln an und durch uns geschehen zu lassen.
Maria ahnt noch nicht, auf welchen Weg sie sich dabei begibt. Im Magnifikat staunt sie voll Freude über ihren Gott: Er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter. Maria preist die Barmherzigkeit Gottes, sein Wirken, sein Handeln. Sie nimmt den großen Bogen auf: Wie er gesprochen hat zu unseren Vätern bis in Ewigkeit. Ob Zacharias, der verstummte Priester diese Worte aus dem Mund der jungen Frau hört, die zu verkündigen doch eigentlich seine Aufgabe wäre?
Sein Wille geschieht
Maria erfährt, wie dieser Lobgesang zumindest äußerlich verstummt. Ganz andere Töne und Erfahrungen warten auf sie. Schon bei der Geburt ihres Sohnes, von dem der Engel sagt, dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden, erleidet sie die Niedrigkeit, auf die sich Gott einlässt und die er den Seinen zumutet. Im Tempel in Jerusalem, am Ort der Erwartung des Messias, sind es nur ein hochbetagter Mann und eine alte Frau, deren Augen und Herz offen sind. Simeon und Hanna sehen mit erleuchteten Augen des Herzens in dem neugeborenen Kind das von Gott für alle Völker bereitete Heil. Doch Simeon spricht auch vom Schwert, das Marias Seele durchdringen wird. Obwohl Hanna beim Anblick des Kindes Gott lobt und zu allen, die auf den Erlöser warten, davon spricht, scheint niemand auf sie zu hören. Die Priester und Schriftgelehrten, die sich mühen Gottes Willen dem Volk zu verkünden, erkennen ihn nicht. Am Rand der öffentlichen Plätze, im Stall bringt Maria Gottes Sohn, das Heil, zur Welt. Und der, dessen Herrschaft ohne Ende sein wird, muss der Herrschaft des Herodes weichen und fliehen.
Trotz all dem hält Maria aus, bewegt alles in ihrem Herzen, die Worte der Hirten und der Weisen, sicher auch die, die der Engel ihr sagte. Sie bleibt bei ihrem Ja, mir geschehe wie du gesagt hast. Sie lässt sich auf den Willen des Vaters ein, lässt ihn geschehen und glaubt in dem, was geschieht, seinen Willen. Sie lässt sich gebrauchen, auch wenn sie zunächst nichts davon sieht, dass er Gewaltige vom Thron stürzt. Erfährt Maria auf ihrem Weg nicht viel mehr Infragestellung durch ihren Sohn, ja Zurückweisung? Wusstet ihr nicht, dass ich sein muss im Hause meines Vaters? – Frau, was habe ich mit dir zu schaffen? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Bis zu der Frage Jesu: Wer ist meine Mutter, wer meine Schwestern und Brüder? Wie klingen solche Sätze in den Ohren der Mutter?
Im Evangelium lesen wir, wie Maria immer wieder ihren Anspruch an Jesus loslassen muss. Auch dort, wo sie die schwierige Situation schnell erspürt – sie haben keinen Wein mehr – muss sie warten, geschehen lassen, bis seine Zeit kommt. Doch dies bedeutet für sie keine Untätigkeit, sie fordert andere auf: „Seid bereit! Tut, was er sagt!“
Ja, Vater
Ein Loslassen erfährt Maria unter dem Kreuz in doppelter Weise. Da wird ihr Sohn grausam getötet. Es ist das Schlimmste, was einer Mutter widerfahren kann, am Grab des eigenen Kindes zu stehen. Diesen Schmerz nimmt Maria auf sich. Aber auch die Worte Jesu an sie lassen eine Distanz spüren, neben aller Fürsorge: Frau, das ist dein Sohn, sagt Jesus zu ihr und weist sie an Johannes. Noch im letzten Augenblick muss Maria auch den kleinsten eigenen Anspruch loslassen. Gottes Handeln bleibt unverfügbar.
Welcher Glaube befähigt Maria diesen Weg zu gehen? In einzigartiger Weise bleibt sie treu an Jesu Seite. Während die Jünger in Gethsemane alle fliehen, steht sie unter dem Kreuz ihres Sohnes. Maria aber bewahrte diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Dies gilt von den Worten des Engels, der Hirten und der Könige. Sicher tat sie das auch mit dem, was sie im verborgenen Leben mit Jesus in Nazareth an ihm gesehen, mit ihm erlebt hatte. Ist es die lange Zeit des gemeinsamen, alltäglichen Lebens der Nähe zu Jesus, die sie dann aushalten lässt, was geschieht? In diesen Jahren des verborgenen Lebens mit Jesus wird ihr Glaube gefestigt, ihre Hoffnung verankert und ihre große Liebe zu Gott wächst. „Geschieht“ dort in Nazareth, von dem wir im Evangelium kaum etwas lesen, diese tragfähige Verbindung? „Geschieht“ in dieser Nähe die Bereitung, in allem wirklich seinen Willen geschehen zu lassen? Wider allen Augenschein zu glauben, dass Gott handelt?
Nach der Himmelfahrt Jesu wartet Maria mitten unter den Jüngern im Obergemach in Jerusalem auf die Erfüllung der Verheißung, auf den heiligen Geist. So bleibt sie in dem, was sie von Anfang an lebte, in dem Ja, bereit zu dieser Existenz ganz für Gott. Ihr Alltag ist Ausdruck ihrer Liebe zu Gott. „Zu allem bin ich bereit, wenn sich nur dein Wille erfüllt.” Sie ist gewiss, dass darin allein das Heil für alle und alles liegt. Diese einfache Frau lebt und zeigt so, was Kirche ist und sein soll: Mir geschehe, wie du gesagt hast. Darin liegt ihr Geheimnis: Herausgerufen, zubereitet, erwartend und bereit, glaubend, dass Gottes Wille auch heute geschieht.