Das Reich Gottes von Anfang an
Im Glauben bleibt die Gewissheit, dass Gottes Reich besteht und auf seine Vollendung wartet. Weil Gott seine Schöpfung und die Welt liebt, wird er sie nicht den dämonischen Mächten preisgeben, und er wird trotz aller Mängel und Verschuldung seine Menschheit nie fallen lassen. „Mit der Bitte, Dein Reich komme, anerkennen wir den Primat Gottes, den Primat der Liebe“
(Papst Benedikt XVI. in seinem Buch: Jesus I).
Von Anfang der Schöpfung an bezeugt die Bibel die Herrschaft Gottes über alle Welt. Bis heute kennen wir Weissagungen vom Sieg des Reiches Gottes (Ps 24,1) und von der Herrschaft Gottes sowohl über die Erwählung des Volkes Israel (5Mos 7,6), als auch über die gesamte Menschheits- und Gottesgeschichte (1Mos 14,19; Ps 24,3). Besonders die Propheten des Alten Bundes waren Bahnbrecher und Vorbereiter des Reiches Gottes und des Kommens des Messias. Sie erkannten aber noch wenig über den langen Zeitraum zwischen der ersten und zweiten Ankunft des Messias.
Im Neuen Testament nahm das Reich Gottes seinen Anfang mit der Erscheinung Jesu, der Ausgießung des Heiligen Geistes und der Stiftung seiner Gemeinde und Kirche. Die Botschaft vom Reich Gottes war im Laufe der Kirchengeschichte sehr wechselfällig. Es gab immer wieder Aufbrüche und Neuanfänge, die nach dem Reich suchten, z.B. die Katharer oder Waldenser. In den vergangenen Jahrzehnten hat das Wort vom Reich Gottes auch in verschiedenen Bewegungen vermehrte Aufmerksamkeit gefunden.
Blick auf die Gegenwart
Die Reiche dieser Welt werden oft durch Kriege und Gewalt ausgebreitet und durch Machtmissbrauch und Unterdrückung aufrechterhalten. Nicht so das Reich Christi, es unterscheidet sich fundamental. Jesus sagt: … es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen (Joh 3, 5). „Gottes Reich ist nicht da, wo Menschen Gott in ihr Werk zu ziehen suchen, sondern wo Gott Menschen in sein Werk zieht“ (Jakob Kroeker, 1872–1948, ehemaliger Direktor des Missionsbundes „Licht im Osten“).
Diese Tatsache steht im Gegensatz zu den Fortschritts- und Harmonieträumen vieler Menschen. In der Vergangenheit versuchten viele, durch Erziehung, Bildung und gesellschaftliche Veränderungen, ein „Idealreich“ zu schaffen. Ständig wurden Bemühungen unternommen, einen „Übermenschen“ zu formen, der für die irdischen Belange geeignet erschien. Trotzdem sind Menschen heute verunsichert und verängstigt und fragen sich, wie es mit dieser Erde und der Weltfamilie weitergehen soll, weil viele Veränderungen nicht zum erhofften Frieden und zu mehr Gerechtigkeit geführt haben. Die wirtschaftlichen und politischen Krisen, die rasanten Entwicklungen in Technik und Wissenschaft überfordern einen Großteil der Menschen und vermitteln wenig Zuversicht. Auch die Natur- und Umweltkatastrophen in jüngster Zeit verstärken die Weltängste. Die Wehen der Endzeit stehen also nicht erst bevor, sie sind bereits angebrochen und werden sich wohl noch steigern (Mt 24 und Mt 25).
Angesichts solcher Entwicklungen werden die Vollendung des Gottesreiches und die Wiederkunft Christi als Utopie empfunden, oder sie werden auf das Ende der Geschichte verlagert, wo sich ein solches Ereignis aus sich selbst zu ergeben vermag. Häufig wird das Thema nur noch in verschiedenen Liturgien bewahrt.
Das Bleibende muss noch kommen
Im Vaterunser beten wir: Dein Reich komme! Kommt das Reich Gottes, so ist das die rettende Wende für alle, die sich bis dahin in einem anderen Einflussbereich befanden. Darum beginnt Jesus sein Wirken mit dem Ruf: Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium (Mk 1,15). Diese Botschaft an die Menschen ist ein Geschenk und zugleich eine Aufforderung, umzukehren und zu glauben.
Für das Kommen des Reiches Gottes spielt diese Erde eine wichtige Rolle. Nietzsche lässt seinen Antichrist rufen: „Bleibt mir der Erde treu, ihr Brüder.“ Seiner Meinung nach gilt die Gotteswelt nur für den Himmel, nicht für die Erde. Mit seiner Aussage stimmt Nietzsches Antichrist merkwürdig überein mit Jesus selbst. Auch Jesus verweist durch sein Leben und seine Lehre auf die Bedeutung dieser Erde. Aber für ihn stehen Himmel und Erde in einem unlöslichen Heilszusammenhang. Jesus lehrt die Jünger, das Wirken Gottes in dieser Schöpfung zu achten und nicht durch Unglaube an die Mächte der Finsternis zu verraten. Jesus hofft, dass auf dieser Erde der Wille Gottes umfassend geschehen kann.
Diese Erfüllung des Gotteswillens wird in Offenbarung 5 in ein erhellendes Licht gestellt: …du bist würdig zu nehmen das Buch und aufzutun seine Siegel, denn du bist erwürgt und hast uns Gott erkauft mit deinem Blut aus allerlei Geschlecht und Zungen und Volk und Heiden. Und hast uns unserem Gott zu Königen und Priestern gemacht, und wir werden Könige sein auf Erden (Offb 5,9-10). Jesus Christus ist als Einziger würdig, das Buch zu empfangen und die Siegel zu brechen. Damit nimmt sich Jesus noch einmal der Sache der Menschheit an und bringt ihr das göttliche Erbe. Durch ihn allein geschieht der Vollzug und er verleiht den Menschen Würde und Verantwortung als Könige und Priester.
Am Ende aller Zeiten steht Christus bereit zu richten und zu vollenden. Himmel und Erde, Gottheit und Menschheit, Schöpfung und Schöpfer werden wieder vereint. Alles Geschaffene wird wiederhergestellt zur ursprünglichen göttlichen Schönheit und Ordnung, damit am Ende Gott alles in allem sei und der Sohn die ganze in ihm gesammelte Welt dem Vater übergeben kann (vgl. 1Kor 15,25). Dieses gewaltige Ereignis ist ein Geheimnis für unseren Verstand, aber der Glaube hält sich an Gottes Wort und vertraut ihm.
Warten auf die kommenden Taten Gottes
Wie und wann Gottes Heilsplan zur Vollendung kommt, weiß niemand. Keiner durchschaut die innerweltlichen Umbrüche und die Entwicklung der Menschheitsgeschichte, aber als Christen wollen wir acht haben und wachsam sein über allem, was sich tut und entfaltet. Noch stehen Menschen im Kampf gegen Krankheit und Tod. Noch ist die Christenheit zerrissen und getrennt. Noch ist das Reich Gottes geheimnisvoll verborgen. – Doch dann wird es offenbar werden und die Gerechten werden hervorleuchten wie die Sonne (vgl. Mt 13,43).
Wer um das Kommen des Reiches Gottes bittet, gehört zu den wartenden Jüngern Jesu. Sie handeln in Glauben und Gebet, in Zuversicht und Freude, bis der Herr wiederkommt. Sie rufen:
„Marana tha“ – „Komm Herr!“ Denn der Geist und die Braut sprechen, komm! (Offb 22,17)
Frieder Rebafka