„Vereinige uns alle mit Dir und miteinander… zum Kommen des Himmelreiches“
In deinem Reiche ist keine Schranke zwischen Toten und Lebenden mehr; wohin aber sind jene gegangen, die nicht durch seine Tore geschritten sind? Wir beugen uns; wir können nur bitten; und wenn wir ein Opfer bringen können, das den geringsten Wert hat vor dir, so fordre es ein, nimm es an. Nimm uns alles; aber lass uns frei werden für dein Reich.
[[Reinhold Schneider]]
Zu uns komme Dein Reich
Reinhold Schneider , aus: Das Vaterunser, Freiburg 1959
Das Reich Gottes ist zu uns gekommen mit Christus, und es wird immer wieder zu uns kommen mit ihm. Aber es ist, nach den Worten des Herrn, ein Geheimnis; Gleichnisse machen es offenbar – und doch
nur denen, die an Christus glauben. Die andern werden mit offenen Augen nicht sehen und mit hörenden Ohren nicht verstehen (Mk 4,11-12). Das Reich Gottes ist gleich dem Samen, den ein Mann in das Ackerland streut: Mag er schlafen oder wachen, bei Tag und bei Nacht; der Same keimt und sprießt auf, ohne dass er es merkt (Mk 4,27).
Dieses Wachstum gehört zu den Geheimnissen des Reiches Gottes; was aber ist das Reich? Es „besteht in Gerechtigkeit, Frieden und Freude im Heiligen Geiste“ (Röm 14,17); Ungerechte können keinen Anteil an ihm haben (1Kor 6,9). Wer das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit zuerst sucht, dem wird alles andere gegeben werden (Mt 6,23). Es ist das Reich der Armen, nach der Seligpreisung des Herrn (Lk 6,20); wer die Botschaft nicht annimmt, der wird das Wesen dieses Reiches nie erforschen. Sein Tor ist der Glaube.
Der Herr steht vor uns und bittet mit uns um das Kommen dieses Reiches; er ist uns ganz nahe; … Es gehört zum Wesen des Reiches, dass es kommen muss, dass wir es nicht schaffen können; wir müssen aus Herzensgrund darum bitten und bittend bereit sein. Das Reich in diesem Sinne ist vielleicht nichts anderes als das Leben in Christus; wo immer das Leben in Christus hindringt, da ist das Reich. Und wenn das Leben in Christus die Welt einzubeziehen vermöchte, wäre die Welt zum Reiche Christi geworden. Nur würde dieses Reich nicht auf der Welt ruhen, sondern auf der Kraft des Herrn; das Reich steht ja „in Kraft“, nicht in Worten (1Kor 4,21). Es ist unüberwindlich, wenn sein Same einmal gefallen ist, wie der Baum, der aus dem Senfkorn hervorsprießt, den Vögeln des Himmels Schatten gibt, so könnte das aus der Kraft des Herrn hervorgegangene Reich des Lebens in ihm der Welt Schatten geben, die Welt beherbergen. Das Leben in Christus will wirken, und so muss das Reich Christi sichtbar werden; nicht um der Sichtbarkeit willen , aber aus der Kraft seines Wirkens. Die im Frieden und in der Gerechtigkeit geborgen sind, müssen als Gerechte zu handeln streben, als Friedfertige zeugen für den Herrn; sie erkennen sich als Brüder und tragen die Bruderschaft weiter; sie sind arm, das heißt, sie können die Dinge der Welt nicht besitzen noch von ihnen besessen werden, und da sie so zu den Dingen stehen, so können sie alles Geschaffene achten in seinem eigenen, von Gott empfangenen Werte und die Güter gerecht zu verwalten suchen oder um der Gerechtigkeit willen sich fügen in deren Verlust.
Da der Herr in der Welt lebt unter der Gestalt des Sakramentes und mitten unter den Brüdern, die versammelt sind in seinem Namen, so wird dieses Reiches kein Ende sein bis zum Jüngsten Tage; es ist immer da und beginnt immer von neuem.
Das Reich ist eins; es besteht allein durch den Herrn, der sein Leben, seine Kraft, seine Mitte ist. Das Geheimnis wird sichtbar; unter der Sichtbarkeit besteht das Geheimnis fort. Alles Äußere dieses Reiches weist nach innen; das Innere strahlt auf die Welt. Die ihm angehören, tragen das Siegel Christi, den sichtbaren Widerschein unsichtbarer Gegenwart. Das Gottesreichkommt; es ist in einem immerwährenden Anbruch begriffen; dieses beständige Anbrechen des Gottesreiches ist der Inhalt der Geschichte.
Das Gottesreich kann sich mit dem Bestehenden nicht vereinen; denn dieses ist geschaffen; mit dem Leben Christi aber tritt das Ungeschaffene ein. Wenn der Mensch sich ihm öffnet, so nimmt es ihn an und verwandelt ihn; beugt er sich nicht, so kann keine Versöhnung geschehen zwischen dem Reiche Gottes und dem des Menschen.
Wenn der Herr uns um das Kommen des Reiches zu bitten lehrt, so bittet er um die Heimkehr der ihm Überantworteten zum Vater, welche Heimkehr das von ihm ergriffene Werk ist. So ist sein Reich immer da und immer künftig; immer besteht für den Menschen die furchtbare Gefahr, dass es nicht komme; es kommt nur zu denen, die seiner harren: zur betenden Schar des Herrn…
„Dass Jesus siegt, bleibt ewig ausgemacht. Sein wird die ganze Welt!“
Walter Goll
Der Zusammenhang zwischen dem Einswerden in Gott und dem auf Vollendung zielenden Fortgang des Reiches Gottes, wie es im Einheitsgebet zum Ausdruck kommt, ist am Zeugnis von [[Johann Christoph Blumhardt]] abzulesen. Im Leben und Dienst dieses schwäbischen Pfarrers der Evangelischen Landeskirche in Württemberg im 19. Jahrhundert ereigneten sich Zeichen und Manifestationen des Reiches Gottes, die uns bis heute und wohl auch bis zur „bald“ zu erwartenden Wiederkunft Jesu wegweisend sind und bleiben werden.
Durch die Führung Gottes ergab sich vor allem in der Gemeinde in Möttlingen im Schwarzwald und der nachfolgenden Zeit in Bad Boll eine Erweckung, eine Bußbewegung und ein Segensstrom, der Dimensionen des Reiches Gottes in einer Art und Weise verdeutlichte, wie es relativ selten in der Kirchengeschichte zu finden ist.
Nach dem Theologiestudium, in dem er sich das von Kind auf vorhandene unmittelbare und ungebrochene Vertrauen in die Bibel bewahren und vertiefen konnte, war Blumhardt ein Jahr Vikar in Dürrmenz. Es folgten sechseinhalb Jahre als Lehrer am Missionshaus Basel sowie ein weiteres Jahr als Vikar in Iptingen, bevor er den Dienst als Pfarrer in Möttlingen antrat. 1838 verheiratete er sich im Alter von 33 Jahren mit Doris Köllner. Im Verlauf der vierzehn Jahre in Möttlingen hatte die Schar der Hilfesuchenden ein derartiges Ausmaß angenommen, dass er sich zur Aufgabe des kirchlichen Pfarramts entschloss und 1852 mit Hilfe von Freunden das ehemalige Schwefelbad Boll vom Staat erwarb. 28 Jahre lang war er Hausvater in Bad Boll, das zu einem seelsorgerlichen Mittelpunkt weit über Deutschland hinaus wurde.
Das Geheimnis der Persönlichkeit Johann Christoph Blumhardts war, „dass er ganz Liebe war, dass er allen Menschen, auch den schwierigen, mit der Liebe Gottes begegnete.“ Er machte dabei keinen Unterschied zwischen Bekehrten und Unbekehrten, es gab für ihn keine Grenzen, die ihn von anderen trennten. Ihm lag alles daran, dass die Liebesgemeinschaft unter den Christen sichtbar wurde als ein wesentliches eschatologisches Zeichen, „damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast“ (Joh17,21). Besonders bei der Erweckung in Möttlingen hatte er eine solche Liebesgemeinschaft erlebt, bei der die Menschen untereinander Gemeinschaft suchten, zuerst fast täglich zusammen kamen, um miteinander zu beten, sich auszutauschen und einander im Glauben und alltäglichen Leben zu fördern.
Gelebter Glaube
Ausschnitte aus dem Bericht eines bayrischen Vikars im Jahr 1853 über die Atmosphäre des Hauses in Bad Boll verdeutlichen etwas von dem, was sich um den dortigen inneren Kern, um Blumhardt, seine Frau und der in Möttlingen geheilten Gottliebin Dittus herum verwirklicht hatte: „Ein frischer, fröhlicher Geist… weht in diesem Hause und durchzieht gleichmäßig das Äußerliche wie das Innerliche, geht durch das Kleinste und Größte… Und dieses Band des Friedens umschließt auf wunderbare Weise die ganze große Hausgenossenschaft und macht wirklich eine Familie aus diesem wunderlichen Konglomerat (Mischung) der verschiedenartigsten Menschen. In diesem Saale sind täglich vereint verschiedene Nationen… Die verschiedensten Stände, vom höchsten bis zum niedrigsten… Alle falsche Trennung der Menschen durch lügenhafte Etikette, Egoismus und Hochmut ist hier aufgehoben… – Das Herz geht einem auf und wird einem weit in diesem Hause, wo man das Christentum Fleisch geworden sieht wie nicht leicht sonst irgendwo.“
Als Kind und Jugendlicher hatte Blumhardt viel Zeit in der Familie Hoffmann, des Gründers der Brüdergemeinde Korntal, verbracht. So hatte ihn die dort inner- und außerhalb der Familie erlebte Liebe stark geprägt, die besonders eng mit der starken Hoffnung auf die baldige Wiederkunft Jesu verknüpft war. Auch im Studium hatte er bewusst Gemeinschaft gesucht und gepflegt, während seiner Zeit im Missionshaus Basel einen weltweiten Horizont gewonnen, der durch das Übel des Konfessionalismus getrübt war und während seiner Vikarszeit in Iptingen war es ihm auf erstaunliche Weise gelungen, Separatisten wieder mit der Kirche zu versöhnen. Angesichts der Aufsehen erregenden Ereignisse in Möttlingen wurde ihm sein Dienst von der Kirchenbehörde oftmals erschwert. Aber jeglicher Gedanke an Separation wurde von ihm weit weggewiesen und er schickte sich geduldig, aber dennoch mit Wahrhaftigkeit in das, was ihm von oben vorgegeben wurde. Nicht nur die „Einheit mit allen, die den Herrn Jesus liebhaben“ war ihm wesentlich. Seine Liebe und sein besonderes Verständnis für Israel hat ihn auch dazu veranlasst, „seine Propheten- und Psalmlieder so“ zu fassen, „dass auch Juden sie, ohne Anstoß zu nehmen, mitsingen konnten.“
Jesus ist Sieger
Blumhardts Blick für das Reich Gottes war vor allem durch die Erfahrungen mit dem Gemeindeglied Gottliebin Dittus und der daraus folgenden Ereignisse in Möttlingen wesentlich geöffnet und erweitert worden. In der Begegnung mit dieser Kranken wurde ihm eines Tages bewusst, dass hinter ihrer äußerst merkwürdigen Krankheit „etwas Dämonisches im Spiel sei“. Mit einer Art heiligen Zorns sagte er: „Wir haben lange genug gesehen, was der Teufel tut; nun wollen wir auch sehen, was Jesus vermag.“ Von da an führte er einen eineinhalb-jährigen Kampf mit vollmächtigem Gebet und gelegentlichem Fasten, an dessen Ende der Sieg im Namen Jesu gegen Heere von Dämonen und damit die endgültige Heilung der Kranken stand. Diese Geschehnisse während des ganzen Kampfes hatte Blumhardt, der ein ausgezeichneter Bibelkenner war, stets zusammen mit seiner Frau Doris, einem kleinen Beterkreis und einem Arzt in aller Nüchternheit erlebt und an der Bibel geprüft.
Zum geistlichen Durchbruch kam es, als die Dämonen zugeben mussten: „Jesus ist Sieger“. Nach und nach wurde die ganze Gemeinde Möttlingen und viele darüber hinaus von einer Erweckung erfasst. Menschen mussten ihre Sündenlasten loswerden und begannen als Befreite, von selbst in den Häusern zusammenzukommen, zu beten und ihr Leben neu zu ordnen mit einem großen Hunger nach dem Wort Gottes. Viele auffällige Wandlungen der Menschen und auch Heilungen konnte man erleben.
Gottes Geist erfasst die Welt
Blumhardt hatte durch all diese Geschehnisse und sein damit verbundenes tieferes Schriftverständnis einen klaren Blick für die Realität des Reiches Gottes bekommen und musste zugleich mit Schmerzen feststellen, wie weit die Christenheit und so auch die Menschheit noch entfernt ist von dem, was für sie und die ganze Welt verheißen ist. So war im Lauf der Zeit in ihm eine immer größer und umfassender werdende und wirkende Hoffnung auf eine neue Ausgießung des Heiligen Geistes gewachsen. Dabei ging es ihm nicht in erster Linie darum, dass der Einzelne besonders begnadet oder nur für sich möglicherweise spektakuläre Gaben bekommen sollte. Dies durfte freilich auch sein, aber sollte keinesfalls darauf beschränkt bleiben oder gar für frommen Egoismus benützt werden. „Wollen wir die neue Geistesausgießung vorzüglich um unsret-, d.h. der Gläubigen willen oder für die Gesamtheit der Menschheit?“ Seine Antwort: „Es ist das Größte, was… verheißen ist, dass der Heilige Geist kommen werde auf alles Fleisch.“
Innerhalb dieses weltweiten Hoffnungshorizonts war es „ihm ein großes Anliegen, dass fromme Gemeinschaften sich nicht selbstgenügsam auf sich zurückzogen und weder äußerlich noch innerlich von der Kirche und ihrem Amt lösten“. Von innen heraus, ohne sich selbst rechtfertigende Isolierung, sollten die Christen Verantwortung dafür übernehmen, „dass Gottes Reich in dieser Welt zur Geltung kommt“. „Volkschristen sollen wir sein,“ sagt Blumhardt, „soweit´s nur geht, und zusammen sollen wir alle stehen als Repräsentation einer Stadt, eines Volkes, eines Landes. Das hat der Herr gewollt.“ Unser Gebet sollte deshalb der Verantwortung für die gesamte seufzende Menschheit und Schöpfung gerecht werden. „Dein Gebet soll stets der Ausdruck der ganzen seufzenden Kreatur sein, dass du als deren Repräsentant dastehst. So betest du als ein Reichskind.“
Die Hoffnung auf die Vollendung des Reiches Gottes macht denjenigen, der mit Christus verbunden ist, der der Erfüllung der Verheißungen Gottes traut zu einem Harrenden, zu einem, der wartet und erwartet mit Schmerz, bis Gott den Tag heraufführen wird, in den alle Hoffnung mündet. In Anlehnung an das Wort aus 2.Petr 3,12 war Blumhardt das „Warten und Eilen“ oder „Pressieren“ im Blick auf Gottes künftigen großen Tag wichtig, den er bald erwartete. Das Erwarten und Kämpfen für das Reich Gottes im Gebet, in der Umkehr, im Ringen um die Rettung der Menschen ist nach Blumhardts Überzeugung mit dafür verantwortlich, ob sich das angekündigte Kommen Jesu verzögert oder beschleunigt. Wer so wartet und kämpft, der muss vom Heiligen Geist und damit auch von der Liebe Gottes erfüllt sein, die nichts und niemanden ausschließt in ihrer letzten Konsequenz, der hält fest am vollbrachten Sieg Jesu und glaubt mit Blumhardt: „Sein wird die ganze Welt!“
…die ihr seinen Willen tut!
Hiltrud Priebe
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Heiliger der Heiligen, unser Gott der du einzig heilig bist und in deinen Heiligen ruhst: Heilig bist du, der die unüberbietbare Herrlichkeit in sich selbst birgt. Heilig bist du, Gott der im Wort das All gegründet hat. Heilig, Gott den die viergestalten Wesen mit unaufhörlicher Stimme verherrlichen. Heilig, Gott der du von den Heeren der Engel und Erzengel unsichtbar mit Zittern angebetet und verherrlicht wirst. Heilig, Gott der du auf den sechsflügligen Seraphim thronst und entgegennimmst, wie sie mit ihren Flügeln rauschen und den Hymnus des Dreimalheilig singen:
Heilig, heilig, heilig, Herr Sabaoth! Heilig bist du unser Gott den die Fürstentümer, Gewalten und Herrschaften im Himmel anbeten und verehren. Menschenliebender, nimm an auch von uns Sündern den Hymnus des Dreimalheilig, der von uns und deinem ganzen Volk dir dargebracht wird, und sende hernieder dein reiches Erbarmen und dein Mitleid. (aus der Chrysostomus Liturgie)
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In der Christenheit des Ostens gibt es wohl kaum ein kirchliches Gebäude, in dem Engel-und Heiligendarstellungen nicht ihren Platz hätten. Über die bildnerische Gestaltung hinaus beteiligen sich die Engel gleichsam mit ihrem immerwährenden Gotteslob am Gottesdienst der Gemeinde. Im Vollzug der Feier der Eucharistie begegnet die Gemeinde dem lebendigen Christus, der inmitten der himmlischen Scharen – der Engel und Heiligen – in ihre Mitte tritt. Nach dem feierlichen Einzug mit dem Evangelienbuch stimmt der Chor das Dreimalheilig an. Die Gemeinde erlebt im Glauben den Einzug der Engelchöre, um gemeinsam mit ihnen die Heilstaten Gottes zu künden. Die Lobgesänge der Herrlichkeit Gottes bilden gleichsam die Brücke zum Himmel, sie sind Schnittpunkte der himmlischen und irdischen Welt. Engel und Heilige kommen in Begleitung des Gottessohnes der Gemeinde entgegen und leiten sie zum unaufhörlichen Jubel an. Im vorangestellten Hymnus und in vielen Psalmen finden Lobpreisung und Anbetung der Gegenwart Gottes einen erhebenden, ergreifenden sprachlichen Ausdruck (Ps 103, 20f). Lobet den Herrn, ihr seine Engel, ihr starken Helden, die ihr seinen Befehl ausrichtet, dass man höre auf die Stimme seines Wortes! Lobet den Herrn, alle seine Heerscharen, seine Diener, die ihr seinen Willen tut!
Vereinige uns alle mit Dir und miteinander… … zum Kommen des Himmelreiches
Anne Decker
Es gibt Heilige Gottes, „Reich-Gottes-Menschen“; in ihnen leuchtet etwas vom ewigen Heil Gottes. Sie sind gelebtes Evangelium in einer bestimmten geschichtlichen Situation. Sie sind zeitloser Hinweis, wie das Himmelreich in diese Erdenzeit kommt. Sie sind in göttlicher Sendung prophetische Zeichen, oft extrem, wie übersteigert, doch auch nach Jahrhunderten noch „lesbar“. Ein Leben in der Atmosphäre des Reiches Gottes kann sehr verschieden aussehen. Ein Beispiel ist [[Klara von Assisi]]. Sie folgte mit 18 Jahren dem Ruf in die Nachfolge Jesu und seiner Mutter (als der weiblichen Gestalt eines gottvereinigten Lebens). Angeregt und geprägt durch [[Franz von Assisi]] wohnte sie 41 Jahre lang bis an ihr Lebensende im Klösterchen San Damiano. Sie hatte sich entschieden von ihren Verwandten gelöst, die sie mit Gewalt zurückholen wollten von dem Weg der Torheit des Kreuzes, wie Franziskus ihn lehrte und lebte. Klara ließ sich durch nichts davon abbringen, Jesus nachzufolgen. Mit einigen Gefährtinnen lebte sie in ehrfürchtiger und freudiger Gottesliebe und in strenger Entsagung von irdischen Annehmlichkeiten aus dem Geist der Buße. Sie übte sich in willigem Vertrauen auf die liebende Vorsehung Gottes, um dem armen und demütigen Jesus ähnlicher zu werden. Das bedeutete für sie völlige Armut bei treuem Gebet, Handarbeiten (Stickereien für den kirchlichen Bedarf) und Gartenarbeit. Weder Klagen noch Bitterkeit sind von ihr bekannt. Es war ein Leben in der Freiheit der Kinder Gottes, in der Freude, die Jesus verheißen hat, in zärtlicher, aufmerksamer Liebe zu den Gefährtinnen, zur Kirche und zu aller Kreatur.
Heute fragt man sich: Was ist der Sinn eines solchen Klausurlebens? Zunächst und vor allem ist es die Antwort auf einen unbegreiflichen und unergründlichen Ruf Gottes, der sich in Klara immer deutlicher durch die Botschaft des Franziskus herauskristallisierte. Dieser Anruf Gottes mobilisierte ihre ganze Sehnsucht und Hingabebereitschaft, übersteigerte sie und rüstete sie aus mit entschiedener Kraft, diesen Weg als Erstling zu gehen.
Auf diesem Hintergrund mag es im ersten Moment überraschen, dass Klara 28 Jahre krank und die letzten Jahre davon bettlägerig war. Es steht uns nicht zu, das zu beurteilen. Klaras Leben war die persönliche Antwort der Liebe auf den Ruf der Liebe Gottes. Ein tieferer Sinn lässt sich erkennen im Zusammenspiel aller Glieder im Leibe Christi. „Wir sind aufeinander angewiesen und können einander vor Gott helfen. Denn alle, die durch die Taufe zu Christus gehören, stehen miteinander in einer wirklichen Lebensverbindung. Und in dieser Lebensverbindung des Leibes Christi gilt, dass ‚alle Glieder einträchtig füreinander sorgen können“ (1Kor 12,25). Das bedeutet, dass die Kraft, in der ein Glied des Leibes Christi lebt, nicht in diesem einen Glied beschlossen bleibt. Diese Kraft wirkt sich vielmehr aus im gesamten Organismus des Leibes Christi. .. Dabei kommt es darauf an, wie der zum Leib Christi Gehörende seine Verbindung mit Christus lebt. Je stärker er sich dem Strom des Lebens öffnet, der von Christus her den geheimnisvollen Leib Christi durchpulst, desto stärker wird auch die Wirkung sein, die von dem einen Glied zu den anderen Gliedern strömt“ (L.Hardick, OfM).
Gewagt erscheint es, was Kardinal Hugolin (der spätere Papst Gregor IX.)in einem Brief an Klara im Glauben an diese Zusammenhänge geschrieben hat: „Darum vertraue ich dir meine Seele an und empfehle dir meinen Geist, so wie Christus am Kreuze seinen Geist dem Vater empfohlen hat. Und am Tage des Gerichtes magst du mir Rechenschaft geben, wenn du nicht für mein Heil mit Aufmerksamkeit gesorgt hast.“ Klara waren diese geheimnisvollen Verbindungen der Glieder am Leibe Christi wohlbekannt. In einem Brief an Agnes von Prag schrieb sie: „So halte ich dich für eine Gehilfin Gottes selbst und für eine Stütze der Glieder seines unaussprechlichen Leibes.“ Das hatte Klara nicht geschrieben auf Grund der großen Leistungen der Königstochter Agnes, die Kirchen, Klöster und ein Hospital errichtet hatte. Diese Worte wurden geschrieben, als Agnes in die Verborgenheit eines Klosters ging. Es sind Worte für alle, die sich still, vielleicht unbeachtet in Arbeit und Leid der Lebenskraft Christi öffnen.
Einen ganz anderen Weg in der Atmosphäre des Reiches Gottes ging [[Karen Jeppe]]. Vor 125 Jahren wurde sie als ältestes Kind eines Dorfschullehrers geboren. Sie war schwach und kränklich. Die Mutter flehte um das Leben ihres Kindes und bot es Gott an. Karin überlebte und wurde Lehrerin. 1902 hörte sie in einem Vortrag über die Leiden der Armenier. 1895/96 hatte sich auf Anordnung des osmanischen Sultans eine Welle von Mordraserei über dieses Volk ergossen (88 Tausend Menschen wurden umgebracht und 2400 Dörfer zerstört). In Urfa (Edessa) hatte der Leiter der Deutschen Orientmission, Dr. [[Johannes Lepsius]], ein Hilfswerk gegründet und suchte für armenische Waisenkinder eine Lehrkraft. Ein Jahr nach diesem Aufruf war in Karin Jeppe die unerschütterliche Gewissheit gereift, dass dies ihr Auftrag sei. Sie zog nach Urfa und lernte dort Sprache und Kultur der Armenier kennen. „Die Armenier gelten als das älteste christliche Volk der Welt, doch haben sie dieses Erstgeburtsrecht mit vielen Schmerzen bezahlen müssen, denn schon der Kirchenvater [[Johannes Chrysostomos]] berichtet: ‚Es ist als seien Horden wilder Tiere über Armenien hergefallen; Männer und Frauen sind hingeschlachtet worden, oder irren obdachlos umher; die namenlosen Leiden dieser Opfer schreien zum Himmel.‘ So ist es geblieben, nur die Peiniger haben gewechselt; erst waren es die Perser, dann die Araber, schließlich die Türken, und unser Jahrhundert hat das Maß der Leiden voll gemacht“ [[Walter Nigg]]. Mit dem Ende des Osmanischen Reiches (1909) schien im jungen türkischen Staat zunächst eine bessere Zeit anzubrechen: Freiheit! – Aber immer wenn der Mensch das bessere Reich bauen will, taucht neben dem Licht auch der Schatten der Ausgrenzung dessen auf, was nicht in seinen Plan passt. Das neue Bewusstsein der Türken, die Sammlung der Turkvölker, die Devise „Ein Land – eine Nation!“ brachte neue Verfolgungswellen besonders und zunächst für die armenischen und syrisch-orthodoxen Christen. So kam leider nicht das Ende der Bedrängnis. Besonders im Jahr 1915 brach eine neue Verfolgungswelle aus. Neu war die systematische Planung und Durchführung der Vernichtung. In diesen Zeiten des Grauens wurde Karen Jeppe zur Mutter der Armenier, zunächst noch in Urfa im Dienst an den Flüchtlingen, später – nach einer Zeit notwendiger Regeneration ihrer Kräfte in Dänemark – in Aleppo in Syrien. Dort sammelten sich Überlebende in einem Flüchtlingslager. Karin Jeppe war nüchtern, unsentimental und mit außerordentlicher Intelligenz, Organisationsgabe und Willenskraft begabt. Vor allem aber achtete und liebte sie dieses Volk. Sie wollte seine Geschichte und Kultur erhalten. Es gelang ihr, in den Entwürdigten und Geschundenen neuen Lebensmut zu wecken. Sie half mit, unter denen, die in der Verfolgung heranwuchsen, den christlichen Glauben zu bewahren. Es gelang ihr auch, gute Verbindungen zu Kurden und Arabern zu knüpfen und ein friedliches Nebeneinander zu fördern. Zwei armenische Vollwaisen hatte sie adoptiert. Diese unterstützten das Werk ihrer Mutter und setzten es nach ihrem Tod (? 7.Juli 1935) fort. Karen Jeppe, die lutherische Christin, hatte nie versucht, die Armenier von ihrer Kirche zu entfremden oder sie zur eigenen Konfession zu „bekehren“. Auf ihren eigenen Wunsch wurde sie selbst nach gregorianischem Ritus in Aleppo beerdigt. Vor dem Völkerbund in Genf hatte sie einmal von ihrer Arbeit gesagt: „Es ist nur ein kleines Licht, aber die Nacht ist so dunkel!“ Karen Jeppes Hoffnung war, dass sie um Gottes willen gearbeitet hatte. „Schön wäre es, wenn man auch diese Gewissheit hätte! Denn um Gottes willen arbeiten können – das ist wohl das Höchste, das man erreichen kann.“
Lesehinweise:
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Anton Rotzetter, Klara und Franziskus, Mainz 1999;
Klara und Franziskus, beide aus Assisi, sind die großen Gestalten der religiösen Erneuerungsbewegung des 13. Jahrhunderts. Lange Jahre waren sie freundschaftlich verbunden, einander Stütze und Halt auf ihrem Weg der radikalen Nachfolge Christi. Davon erzählen zahlreiche Legenden, die sich im Lauf der Jahrhunderte um diese beiden Heiligen gerankt haben. In diesem Buch sind die schönsten dieser Legenden gesammelt. Sie erzählen von Treue und Gnade, von Liebe und Sehnsucht, von Schwierigkeiten und Wegen zu ihrer Überwindung. Der Autor zeigt, wie sehr sich in Klara und Franziskus die urmenschliche Sehnsucht nach Geborgenheit und Freundschaft erfüllt. Wo immer Freudschaft gelingt, ist sie etwas Göttliches.
ISBN: 3786783098 zu beziehen bei: Ökumenischer Verlag R.-F. Edel
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Alfred Otto Schwede, Geliebte fremde Mutter, Karin Jeppes Lebensweg, Berlin 1974 – nur noch in div. Antiquariaten erhältlich.
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