Zitate aus: Also avanti! Dietlinde Assmus im Gespräch mit dem Erzbischof von Prag Miloslav

„In meinem heutigen Leben kann ich ein Versprechen einlösen, das ich an einem Wintertag in den 70er Jahren, in der Zeit, als ich Berufsverbot hatte, in den Straßen Prags formuliert habe: ‘Jesus, du hast für uns am Kreuz gelitten, und wir Christen verstehen oft gegenüber deinem Leiden die Rede vom Kreuz nicht. Wenn ich eines Tages frei bin und von neuem die Möglichkeit habe zu sprechen, will ich deine Erniedrigung verkünden und von deinem Kreuz reden’.“ Dieses Versprechen löst der heutige Kardinal [[Miloslav Vlk]] ein.

Ihm war 1978 nach 10 Jahren Amtszeit von den staatlichen Behörden die Berufserlaubnis entzogen worden. Daraufhin tauchte er in Prag unter und arbeitete einige Jahre unerkannt als Fensterputzer. 1986 erhielt er eine Anstellung in seinem zuvor erlernten Beruf als Archivar bei einer staatlichen Bank. 1989 durfte er in einer Pfarrei in Westböhmen wieder als Priester tätig sein. Die 10 Jahre seines Berufsverbots sieht Vlk im Nachhinein als die gesegnetsten seines priesterlichen Lebens: „Ich spürte, dass ich das Priestertum in Fülle lebte, und wenn mich Augenblicke der Entmutigung überkamen, war sofort wieder die Kraft des Gekreuzigten da. Sich für Jesus in seiner Verlassenheit am Kreuz zu entscheiden, war für mich immer von neuem eine Quelle des Lichtes und der Kraft.

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Papst Johannes Paul II. hatte einmal gesagt: „Wenn man in den täglichen Prüfungen den leidenden Jesus umarmt, vereinigt man sich unmittelbar mit dem Geist des Auferstandenen und seiner stärkenden Kraft (vgl. Röm 6,5; Phil 1,19).“ Vlk ahnte, dass es nicht darum ging, den Schmerz der Verlassenheit und die Gefahr der kommunistischen Verfolgung zu vermeiden. Wichtiger ist, in allem Gott selbst, den nahen Gott, zu suchen, der allem voransteht. Doch im Moment des Berufsverbotes und der Verfolgung wurde dieses Wissen hart geprüft; Vlk berichtet von der größten Prüfung seines Lebens: „Als ich das Amt nicht mehr ausüben durfte, war dieser Platz in meinem Leben leer. Das war für mich der Zusammenbruch meiner ganzen Existenz. Sicher feierte ich täglich die Messe heimlich in kleinen Gemeinschaften, aber nach außen hin erschien ich als Laie. Damals habe ich erfahren: Das einzige, was nie zusammenbricht, ist Gott selbst. Damals habe ich ihm diesen leer gewordenen ersten Platz in meinem Leben gegeben. Ich hatte den Job als Fensterputzer angenommen, weil mir ein Priester diesen Tipp gegeben hatte: so sei ich nicht zu kontrollieren. Die Leute fanden mich leicht, weil sie wussten, in welchen Straßen ich arbeitete. Dort habe ich auch an einer Straßenecke, wo ein Baugerüst stand, Beichte gehört, aber eines Tages hat uns die Polizei erwischt, und wir mussten den Platz wechseln. Ganz in der Nähe war das Kreisgericht. Dort warteten immer Leute auf den Fluren, und so habe ich eine Bank des Kreisgerichts als meinen neuen Beichtstuhl gewählt.“

In diesen Jahren konnte Vlk in einer Gemeinschaft der Fokolarbewegung leben. Dort bekam er die Kraft für seine harte Arbeit. In der täglichen Erfahrung, von Gott und den Brüdern geliebt zu sein, fand er die wahre Identität seines Priesterseins: „Wenn ich in meiner Situation „am Kreuz“ bin, bin ich noch mehr Priester. Das war wirklich die Erfahrung, dass Gott nahe ist.

Trotz hervorragender Schulzeugnisse war Vlk das Studium 1952 verwehrt worden, da er sich keiner kommunistischen Jugendorganisation angeschlossen hatte. Zwölf Jahre wartete er als Fabrikarbeiter und später in seinem Beruf als Archivar, bis er endlich mit 31 Jahren ins katholische Priesterseminar eintreten konnte.

Kurz nach der Wende wurde Vlk zum Bischof ernannt. Er hatte sich nicht in dieses Amt gedrängt, spürte aber den Ruf Gottes, der ihn die inneren Ängste überwinden ließ: „Oft musste ich Dinge tun, die ich mir nie vorgestellt hätte, aber die für mich vorgesehen waren. Ich spürte wieder einmal, dass das Kreuz meine Kräfte übersteigt.“ Ein Leitwort, das sich Vlk schon viele Jahre zuvor gewählt hatte, wurde in den verschiedenen Lebensphasen immer wieder neu eingelöst: „Ich nehme mein Kreuz an, meine Schwäche, mein Dunkel, mein Nichtssein. Die Menschen wollten mich verstecken, und Gott drängt mich nach draußen.“

Der Kreuzweg ging immer weiter. 1991, bereits ein Jahr später, ernannte der Papst Vlk zum Erzbischof von Prag und 1993 zum Vorsitzenden des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen. Vlk schildert die Übernahme dieser hohen Ämter als einen persönlichen Lernprozess: „Da ich mich nicht auf mich selbst stützen kann, drängt es mich, mit den anderen zusammenzuarbeiten, meine Aufgabe wirklich nur als Dienst anzusehen. Früher hatte ich keine Bewegungsfreiheit, jetzt habe ich sie und bin vielfach in die Verantwortung genommen. Da besteht die Gefahr, dass ich mich auf meine eigene Energie, auf meine Gedanken verlasse. Hingegen muss ich mich allein auf die Einheit mit Gott und mit den anderen verlassen, was manchmal bedeutet, meine Ideen aufzugeben und auf die anderen einzugehen. Nur so kann ich den Geist Gottes wirken lassen.

Viele Leute meinen, Kardinal sein bedeute, an einer höheren Stelle sein. Sie sehen die äußere Fassade dieser Position. Nur wenige Leute verstehen, dass ich die im Innern überhaupt nicht für wichtig halte. Mir sind die Äußerlichkeiten so egal, und manchmal leide ich, wenn man auf dieses Äußere schaut und nicht auf das Kreuz. Man versteht nicht, dass einer sich sehr klein fühlt unter der Last des Amtes. Ich bin überzeugt, dass auch das Amt ein Ausdruck der persönlichen Liebe Gottes zu mir ist, nicht um mich auf einen höheren Platz zu stellen, sondern um mir meine Kleinheit im Bewusstsein zu halten.

Wenn einer Bischof wird, muss er die Einheit neu lernen. Als Bischof ist er ein wenig versucht, der Erste zu sein. Eine ganz starke Erfahrung der letzten Zeit war die, dass die Arbeit mich fast erdrückt. Die vielen Aufgaben haben mich nach allen Seiten gezerrt. Manchmal habe ich vergessen, dazu Ja zu sagen, neu den gekreuzigten und verlassenen Jesus darin zu ‘umarmen’. Immer hatte ich den Kopf so voller Arbeit. Ich konnte nicht mehr schlafen. Daran habe ich gemerkt, dass ich nicht mehr auf dem rechten Weg war, nicht mehr mit dem Verlassenen lebte. Ich habe Jesus in der Eucharistie gesagt: ‘Ich habe gedacht, dass alles von mir abhängt.Das war mein Fehler. Aber es ist ja deine Angelegenheit, es geht um dein Reich, nicht um mich; ich will mit dir sein.’ Obwohl ich mich schon viele Jahre bemühe, so zu leben, hat mir dieses neue Ja zum Verlassenen eine große Freiheit gegeben. Ich fing wieder an, gut zu schlafen, die Situation hat sich geändert.“

Vlk beschreibt, was das Leben des Priesters ausmacht: Es ist ein Sein für, bei dem der Diener verzehrt wird: „Um die Spiritualität der Einheit zu leben, ist es notwendig, Gott zu suchen, ihn an die erste Stelle zu setzen. Das bedeutet auch, ihm Zeit zu reservieren. Für uns Bischöfe besteht die Gefahr, alle diese Aufgaben und Sorgen ins Herzu zu lassen Das Herz ist dann voll, und es bleibt kein Platz für Gott. Ich verstehe jetzt besser die Menschen in der Welt, denn das ist auch der Weg, um Gott zu vergessen: Sie haben das Herz voll von allen möglichen Sorgen, Beziehungen. Und – ein Bischof kann in der Gefahr sein, sein Amt zu ernst zu nehmen. Das bedeutet, sich selbst und die eigene Arbeit zu wichtig zu nehmen. Man muss lernen, manche Dinge beiseite zu stellen (und) die Aufgaben hierarchisch“ zu organisieren. Damit meine ich, der Liebe zum anderen den ersten Platz zu geben.

Man muss die Verantwortung in Gott sehen. Wenn man sie nur menschlich nimmt, ist es falsch. Die Überbetonung der Verantwortung ist eigentlich eine Überbetonung des eigenen Ichs. Im Führungsstil läuft das dann darauf hinaus, dass man sich selbst durchzusetzen sucht, nicht die Geduld hat und nicht die Demut. Wenn man Verantwortung trägt, hat man seine eigene Vorstellung, wie es sein muss. Heute Bischof sein, bedeutet dienen. Um zu dienen, braucht man Demut, darf man sich nicht zu wichtig nehmen. Aber das setzt einen tiefen Glauben voraus: Man muss alles in die Hände Gottes legen, sonst bleibt der Mensch mit seiner Kraft allein.“