Frieder Rebafka
(Die Zitate und weiterführende Zusammenhänge siehe: Mathias Döpfner, Die Freiheitsfalle, Ein Bericht, Berlin 2011)
Nathan Scharansky war neun Jahre lang unvorstellbaren Torturen ausgesetzt. Im sibirischen GULag litt er Hunger, Einsamkeit und Kälte – Schmerzen an Leib und Seele. Er wusste, sein Leben hätte jeden Tag entweder gewaltsam enden oder auch erleichtert werden können. Ein Satz der Reue, ein entschuldigendes Wort über seine „antisowjetischen Aktivitäten“ wäre der Schlüssel zur Freiheit gewesen. Warum hat Scharansky der Verlockung widerstanden?
Im Zuge eines Agentenaustauschs kam der jüdische Bürgerrechtler 1986 frei und sagte in einem Interview: „Ich spürte in jedem Moment die Bedrohung. Aber ich wusste auch: Mit einem einzigen Satz würde ich das verlieren, was mich wirklich am Leben gehalten hat: meine innere Freiheit. Die zu verlieren hat mich am meisten geängstigt. Ich wusste: Meinen Körper, mein Leben können sie mir nehmen, jederzeit – meine innere Selbstachtung dagegen nie. Das, nur das hat mich damals am Leben erhalten.“ Scharansky hätte den Tod in Kauf genommen, um seine innere Freiheit zu erhalten. Die geistige Freiheit galt ihm höher als die körperliche Freiheit, seine Würde höher als sein Leben. Nicht aus Trotz stellte er sich gegen die sowjetische Staatsmacht, sondern aus tiefer Überzeugung. Eine Kapitulation vor dem Unrecht wäre ihm ein nicht hinnehmbarer Kompromiss der Unfreiheit, ein Sterben vor dem Tod gewesen.
Die Kraft Scharanskys weckt großen Respekt. Wie kann ein Mensch so viele Jahre durchhalten und seine innere Freiheit bewahren? Liegt die Antwort nur im Geheimnis einer starken Persönlichkeit?
Der Jude und Bürgerrechtler Scharansky legt ein ungewöhnliches Zeugnis für die Freiheit ab. Seitdem ich davon hörte, lässt es mich nicht mehr los. Kannte dieser Mensch noch andere Kraftquellen, von denen die Öffentlichkeit nichts weiß? Ein alttestamentlicher Psalm, der Gottes Treue rühmt, kommt mir in den Sinn: Wohl dem, dessen Hilfe der Gott Jakobs ist. Er schafft Recht denen, die Gewalt leiden. Der HERR macht die Gefangenen frei. Der HERR liebt die Gerechten (aus Ps 146).
Wer in diese anbetenden Worten einstimmen kann, ahnt etwas vom Geheimnis der Gottebendbildlichkeit des Menschen. Freiheit wird möglich, weil sie zutiefst von Gott gewährt und in ihm gegründet ist. Unbedingtes Vertrauen in Gott ist eine Quelle der Kraft für Leib, Seele und Geist, die nie versiegt. Lebendiges Vertrauen in den von Gott gesandten Sohn wird zur Erfahrung innerer Freiheit. Jesus verspricht den Seinen: Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen… Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei (Joh 8,31.36).
Das Evangelium von der Erlösung des Menschen durch Jesus Christus wertet die Freiheit als hohes Gut. Wer sich mit der Person Jesu, mit seinen Anliegen und seiner Hingabe an Gott, den Vater, und die Menschen verbinden lässt, gewinnt dieses Gut. Auch dort, wo äußere Freiheit beschränkt ist, kann die innere Freiheit bewahrt bleiben. Menschen, die sich in Christus wissen, bezeugen die Freiheit vom unseligen Kreisen um sich selbst; und sie bezeugen die Freiheit für die liebende Zuwendung zu Gott und zum Nächsten. Sie gewinnen die Fähigkeit, angebliche von wahrer Freiheit zu unterscheiden.
Diese Unterscheidung wird immer notwendiger. Als Europäer fühlen wir uns zwar in einer ziemlich freien Welt. Die sozialen Netzwerke des Internet prägen die Generation Facebook und eröffnen vordergründig nie erlebte Toleranz und Transparenz. Auch in anderen Regionen der Erde scheinen Freiheitsbewegungen stärker zu werden. Einige Monate lang ließ der arabische Frühling Menschen im Nahen Osten hoffen. Gab es zu früheren Zeiten jemals mehr Freiheit?
Als mir diese Zusammenhänge aufgingen, stieß ich auf das aktuelle Buch des Journalisten Mathias Döpfner. Unter dem Titel „Die Freiheitsfalle“ stellt der Verfasser das Dilemma vor Augen, in dem sich sowohl der Einzelne als auch Nationen befinden. Im Gewand von Freiheitsbewegungen können sich durchaus Freiheitsgefährdungen verbergen. Was wir oft gedankenlos und vielleicht auch nur naiv gebrauchen, kann zur Freiheitsfalle werden. Unser Nachdenken und unsere Stellungnahme ist herausgefordert. Döpfner behauptet:
„Die Freiheit ist bedroht, vor allem durch die Schwächung Europas, den radikalen Islamismus, den Staatskapitalismus Chinas und die Abschaffung der Privatsphäre im Internet. Europa ist nicht mehr das, was es zu sein glaubt. Europa ist keine erstrangige Ordnungsmacht und keine moralische Instanz. Europa ordnet nichts mehr…“
Was hier nach plakativen Warnungen eines Pessimisten klingt, ist der Auftakt zu sorgfältigen Recherchen. Ohne Unterscheidung erkennen wir nicht, dass wir einzeln und gesellschaftlich in Freiheitsfallen tappen. Lange merken wir es nicht und genießen Freiheiten, die uns selbstverständlich scheinen. Wir halten es kaum für möglich, dass man uns nimmt, was wir doch seit langem besitzen. Dabei lehrt die Geschichte: „Wer die Freiheit nicht verteidigt, verliert sie. Wir haben uns an die Freiheit so sehr gewöhnt, dass wir bisweilen vergessen, dass sie verteidigt werden muss. Das ist eine Falle.“
Jesus hat den Seinen aufgetragen, wachsam zu sein. Auch hier zählt die Unterscheidung. Wir sollen uns nicht fürchten, nicht Berührungsängste pflegen oder die Welt nur schwarz sehen. Aber wir sollen wachen. Wir sollen um Weisheit bitten, damit wir ab und zu auf den Grund der Dinge schauen und uns den Entwicklungen nicht unkritisch überlassen. Wir sollen frei bleiben. Nichts darf uns hemmen, Gott zu vertrauen und zu gehorchen und ihm die Ehre zu geben.
Eines der Erkennungsworte der Freiheit ist das Wort „Nein„. Im Nein des Widerspruchs kann Selbstbestimmung liegen. „Die Freiheit, Nein sagen zu können, steht im Gegensatz zu der Unfreiheit, Ja sagen zu müssen. Demokratien sind Neinsager-Gesellschaften. Diktaturen sind Jasager-Gesellschaften. Das Nein befreit. Zum Wesen der Freiheit gehört der Widerspruch. Vorausgesetzt, er wird nicht zum Selbstzweck. Wer den Mut zum Nein hat, ist ein Freund der Freiheit; der nickende Befehlsempfänger und der unterwürfige Jasager sind ihre Feinde. Freiheit ist nicht bequem, Freiheit ohne Verantwortung ist keine Freiheit.“
Der Autor Döpfner betont in journalistischer Freiheit das Nein als Ausdruck der Selbstbestimmung. Wie kann es durch das Ja des christlichen Glaubens ergänzt werden?
Die Aufgabe stellt sich und der Brückenschlag zwischen den Fakten der äußeren, heutigen Welt und unseren Glaubensinhalten gelingt oft nicht leicht. Doch wir finden im Geheimnis Gottes die bleibende Einheit zwischen seinem Heilswillen und den Realitäten dieser Welt: So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er den einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat (Joh 3,16).
Das Ringen um die Freiheit bezieht dabei die Ausdauer aus dem Kennen und nachhaltigen Hören auf das Wort der ganzen Heiligen Schrift. Im Jakobusbrief heißt dieses Hören, Schauen, Studieren und Memorieren eigenartigerweise das vollkommene Gesetz der Freiheit. Es ist eine geistige Kraft, die den Menschen in Jesus Christus lebendig erhält. Es wird erfüllt vom Heiligen Geist Gottes, der in eine stets größere Freiheit hineinnimmt, die sich der Mensch nie selbst schaffen kann.
Darum die apostolische Mahnung:
Wer sich eifrig und ausdauernd über das Gesetz beugt, um es zu studieren, der ist nicht so einer, der nur hört und vergisst, sondern einer, der das Gesetz auch tut, und das Tun befreit ihn von aller Angst, und also wird er selig sein, weil er das Gesetz (der Freiheit) tut (Jak 1, 25).