Das Bild von der Königsherrschaft Gottes
nach Marcus J.Borg – Jesus, der neue Mensch, Freiburg 1993, S.224f
Das Bild von der Königsherrschaft Gottes war eine der klassischen Weisen Israels, über das Verhältnis zwischen jener geistigen und dieser Welt zu sprechen. Wenn man von Gott als einem König sprach, dann sprach man zugleich von der Macht der anderen Welt, die in der irdischen wirksam sei: so etwa bei der Schöpfung, in entscheidenden Augenblicken der Geschichte (zum Beispiel beim Auszug aus Ägypten und bei der Rückkehr aus dem Exil) und am Ende der Zeit.
Das Königtum Gottes kennt ein Königreich, das in die Gegenwart hineinreicht und am Ende der Geschichte zur Vollendung kommt. In der Gegenwart wird das Reich aus jenen gebildet, die sich der göttlichen Herrschaft unterstellt und das königliche Joch auf sich genommen haben. Am Ende wird das ewige Reich des Friedens, der Gerechtigkeit und des Freudenmahls anbrechen.
Die Geschichte vom Reich Gottes setzt also die Welten der Urüberlieferung am Beginn (Gott und Schöpfung), der Geschichte und des Endes (Weltuntergang) miteinander in Beziehung.
Jesus übernahm das Bild vom Königtum Gottes und seinem Reich, um deutlich zu machen, was sein öffentliches Auftreten bedeutet. Als Dämonenaustreiber sprach er vom Reich Gottes als der Geisteskraft, die ihn durchdrang: Wenn ich durch den Geist Gottes Dämonen austreibe, dann ist das Reich Gottes zu euch gekommen. Er bezeichnet seine Zeit als die, in der die königliche Macht am Werke ist: Das Reich Gottes ist gekommen, es ist nahe. Er sprach vom Gottesreich als einer gegenwärtigen Gemeinschaft, in die man jetzt eingehen und um die man beten soll: Dein Reich komme. Und, wie die Tradition vor ihm, sprach er von ihr als dem kommenden Reich, zu dem viele von Osten und Westen hinströmen werden, um mit Abraham, Isaak und Jakob Mahl zu halten.
Für Jesus war die Bildwelt vom Gottesreich die Möglichkeit, über die Kraft des Geistes und das neue Leben, das er schaffte, zu reden. Das Kommen des Gottesreiches ist das Kommen des Geistes, und zwar in das Leben jedes Einzelnen und in die Geschichte insgesamt. In das Reich Gottes eingehen heißt: am Leben des Geistes teilhaben, auf den Weg geleitet werden, den Jesus lehrte und der er selber war.