Die Zeiten ändern sich. Neue Fragen tauchen auf. Was bedeutet das für den Glauben? Gerade angesichts der Erosion der Volkskirchen und inmitten tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels müssen wir uns als Christen damit beschäftigen, welche Antworten dran sind. Nicht nur im synodalen Weg der Röm.-Kath. Kirche in Deutschland wird darum gerungen, wie der Glaube in der heutigen Welt gestaltet werden soll. Andreas Neumann spricht dazu einige grundsätzliche Gedanken an.

„Ich, der Herr, wandle mich nicht.“ (Mal 3,6)

„Du aber bleibe bei dem, was du gelernt hast und was dir anvertraut ist.“ (2Tim 3,14)

„Wir müssen mit der Zeit gehen, wenn das Evangelium in einer Welt voller Umbrüche die Menschen erreichen soll“, sagen die einen. Andere weisen das zurück: „Wir dürfen den Glauben nicht an den sich ständig verändernden Zeitgeist anpassen, sonst wird er kraftlos und kann den Menschen keine Orientierung mehr sein!“ Wer hat recht?

In der Welt, nicht von der Welt

„Gott ist weder altmodisch noch modern, sondern ewig“, so fasste es Joseph Bernhart 1 einmal zusammen. So ist es auch mit dem Glauben. Er ist ewig, und zugleich ist er geschichtlich und entwickelt sich. Daher sagt Jesus über die Glaubenden: Sie sind in der Welt und stehen damit auch in deren geschichtlichen Veränderungen. Sie sind aber nicht von der Welt (Joh 17,15-16), denn sie tragen das ewige und unvergängliche Christus- und Gottesleben in sich (Gal 2,20).

Wir können und sollen uns von der Welt nicht trennen. Sie ist ja Gottes geliebte Schöpfung (Ps 24,1), die zur Heilung und zur Vollendung gelangen soll (Joh 3,17). Aber die Welt und ihre Gesinnung (1Kor 7,31) vergehen, und von diesen Lebensweisen und -auffassungen, die aufgrund ihrer Gottferne entstehen, sollen wir uns nicht bestimmen lassen (1Joh 2,15).

Als Glieder der einen Menschheit haben wir die Aufgabe, uns für ihre Fragen und Probleme zu interessieren und zu engagieren. Die Antwort darauf finden wir in der Offenbarung Gottes, wie sie in der Heiligen Schrift und in der Heilsgeschichte bezeugt ist. Nicht selten steht sie dem jeweiligen Zeitgeist mit seinen Werten und Einstellungen, Meinungen und Trends entgegen. Das wird in der Geschichte Gottes mit Israel und mit der Kirche immer wieder deutlich. Würde diese Antwort, dieses Zeugnis sich dem jeweiligen Zeitgeist anpassen, hätte sie nicht die Kraft, von Gott her Orientierung und, sofern nötig, heilsame Korrektur angesichts der Herausforderungen der Zeit zu geben.

Die Ansichten und Lebensweisen der Menschen verändern sich im Lauf ihrer geschichtlichen Entwicklung. Doch das Evangelium, die Offenbarung des einen ewigen Gottes, bleibt für uns unaufgebbar gültig und richtungsweisend. Wir sind auf dem Weg und haben ein Ziel vor Augen: Der Herr kommt und mit ihm sein Reich. Wir sind berufen, seine Diener zu sein, nicht die Diener „der Welt“. Daher sagt Paulus: „Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern lasst euch verwandeln durch die Erneuerung eurer Gesinnung, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist“ (Röm 12,2).

Wachstümliche Entwicklungen

Zugleich durchläuft der Glaube als Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch Entwicklungen. Der Glaube ist das Gottesleben Christi in uns (Joh 11,25-26), und wie alles Leben sich entwickelt und damit auch Wandlungen unterliegt, so ist es auch mit dem Glaubensleben, sowohl des Einzelnen als auch der Kirche insgesamt. Daher beschreibt z. B. 1Kor 13,13 den Glauben – zusammen mit der Liebe und der Hoffnung – als bleibend, als ewig. Zugleich spricht Eph 4,13-15 vom Wachstum des Glaubens. Und Jesus bittet im hohepriesterlichen Gebet, dass die Seinen „vollkommen eins seien“ (Joh 17,23); es gibt also auch ein Wachstum in der Einheit. Diese Lebensordnung des ewigen Gottes finden wir überall: vom Samenkorn zur Frucht; vom Kindesglauben zum gereiften Glauben des Alters; vom Glauben der Erzväter Israels zum mosaischen Gesetz, vom Tempelkultus zu den Propheten. Wir sehen sie auch im Lebensweg Jesu und aller Gotteszeugen (vgl. Hebr 11-12) – bis heute.

Hinzu kommen jene gottgewollten wachstümlichen Entwicklungen, die wir in der heilsgeschichtlichen Entfaltung der Kirche Jesu Christi sehen: von der familiären Urgemeinde zur institutionellen hierarchischen Kirche (Klerus) und von den verschiedenen gemeindlichen Formen seit der Reformation (allgemeines Priestertum) zu den bruderschaftlichen Lebens- und Dienstgemeinschaften (geistliche Gemeinschaften) seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts und den großen überkonfessionellen christlichen Bewegungen unserer Tage. Auch die Verlagerung christlicher Aufbrüche von der „ersten Welt“ (Europa, Nordamerika) hin zu den Völkern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas ist hier zu nennen. Ebenso die endzeitlich bedeutsame Bewegung der messianischen Juden, die an Jesus als den verheißenen Messias und Erlöser glauben. In vielen weiteren Entwicklungen der jüngeren Zeit verkörpert sich etwas von der inzwischen von vielen Kirchen und Gemeinschaften erkannten Notwendigkeit, das im dreieinigen Gott selbst begründete Einssein des Leibes Christi auch zu glauben und tatsächlich zu leben. Diese alle und alles umfassende Liebes- und Lebensgemeinschaft nach dem Herzen Christi hat die Verheißung, dass die Welt glaube (Joh 17,21) und das Reich Gottes auf Erden komme (Mt 6,10).

Weder Weltflucht noch Weltsucht

Höre ich die Forderung, der Glaube müsse „mit der Zeit gehen“, um attraktiv zu sein, denke ich oft an das Opfer der Märtyrer aller Zeiten, die in ihrem Glauben und Zeugnis standhaft blieben. Wie groß erscheint mir in solchem Gedenken die Kluft zwischen ihrem sich Gott ganz hingebenden Glaubensmut und dem heutigen willigen Aufschnappen aller möglichen ideellen Moden, um den Glauben „attraktiv“ zu machen. Doch nicht ein Glaube tut not, der „in“ ist, sondern ein authentischer Glaube nach dem Herzen Gottes.

Es gehört ebenso zur Nachfolge Jesu, sich nicht nur den Gläubigen, den Frommen zuzuwenden, sondern wie er auch den „Verlorenen und Sündern“ (Lk 5,31-32). In liebender Annahme und Selbsthingabe nimmt Jesus ihre Sünden auf sich. Die Identifikation mit der Schuld der Welt geht bei Jesus so weit, dass er stellvertretend für sie am Kreuz „zur Sünde gemacht wird“ (1Kor 5,21) – und so Versöhnung, Heil und Segen schafft: „Durch Deinen Opfertod am Kreuz hast Du die Welt erlöst“ (Einheitsgebet). Daher schreibt Paulus: „Gott beweist seine Liebe gegen uns damit, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren“ (Röm 5,8). Diese Gottesliebe, die nicht von dieser Welt ist, aber in diese Welt kam, hat Gott auch uns ins Herz gelegt: „Ein Beispiel habe ich euch gegeben, dass ihr tut, wie ich euch getan habe“ (Joh 13,15).

Gott allein genügt.

Teresa von Ávila (1515 – 1582, Karmelitin)

Als Teresa von Jesus – so ihr Ordensname – starb, wurde in ihrem Brevier ein kleines Gedicht gefunden, das mit diesen Worten endet: „Sólo Dios basta – Gott allein genügt.“

Es geht weder um Weltflucht noch um Weltsucht, weder darum, ein ewig Gestriger zu sein noch darum, jedem kommenden und gehenden Trend nachzueifern. Unser Lebenszeugnis ist immer und zu allen Zeiten Reich-Gottes-Dienst, der die Erlösung durch Jesus Christus und das Kommen des Reiches Gottes verkündet. Kreuz und Auferstehung des Herrn und die Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit (Kol 1,27) waren und sind die Herzmitte und der Kompass der Märtyrer2 und Zeugen des Herrn zu allen Zeiten bis heute. Nicht am vergänglichen Geist dieser Welt soll sich die Kirche orientieren, sondern an dieser unvergänglichen Mitte und diesem ewigen Kompass, die immer gültig sind.


Andreas Neumann, Vereinigung vom gemeinsamen Leben

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