Dein Wille geschehe
Frieder Rebafka
Diese Vater-unser-Bitte ist uns allen vertraut. Wir sollen darum bitten, dass der Wille Gottes geschehe! Eine Schwierigkeit liegt darin, dass wir den Willen Gottes da gern annehmen, wo er unseren natürlichen Wünschen entspricht: wo unsere Gebete erhört werden, wo die Hilfe Gottes unserem Mangel abhilft und wo er zu unserem Ziel führt. In glücklichen Ereignissen sind selbst Sünder in der Lage, den Willen Gottes zu tun. Führung geschieht aber aus dem Glauben und in Übereinstimmung mit dem Wort Gottes. Aber bringen wir es fertig, den Willen Gottes gleichermaßen auch in jenen Dingen anzunehmen, die für uns bedrückend und schmerzlich sein können?
Vor einigen Jahren erlebte ich an meiner Dienststelle im CVJM eine notvolle Situation. Erfüllt von geistlichen Eindrücken und engagiert in vielen Diensten, versuchten wir miteinander, Reich Gottes/Gemeinde Jesu zu bauen. Wir waren von dieser Aufgabe überzeugt und setzten viel auf eigene Erfahrungen. Auftretende Probleme und gemeindliche Schwierigkeiten nahmen wir kaum wahr. Es häufte sich dadurch viel Leidvolles an, und es führte zu einer tiefgehenden Krise. Viele unserer Pläne scheiterten und so wurden die meisten Hauptamtlichen von ihren Verantwortungen entbunden. Plötzlich stand meine eigene unheilvolle Situation übermaÅNchtig vor meinen Augen und setzte mir erheblich zu. Eine Krise ist immer eine Zeit des Wendepunktes und der Entscheidung.
Aber wie wird sich eine solche Krise klären? Hat mich Gott abgeschrieben, war alles nur fromme Einbildung? Gibt es eine neue Berufsperspektive, wie kann es mit der Familie, mit der Ausbildung der Kinder etc. weitergehen? Letztlich merkte ich, dass die Probleme die mich bedrückten, nicht Wirkungen des Zufalls waren, noch Wirkungen von Menschen mit einem schlechten Willen, sondern Gott führt eben solche Lebenssituationen herbei. Es war für mich schmerzlich, diese Situation anzunehmen und auf Gott allein zu vertrauen. Wenn ich Gottes Frieden erfahren wollte, galt es, alles anzunehmen, was Gott verfügt. Ich konnte nun meine Vergangenheit da sehen und annehmen, wo ich sie vom Lichte Jesu durchleuchten ließ.
Das Leiden und das Kreuz Jesu waren mir darin Zeugnis und Hilfe. Jesus erfüllte den Willen des Vaters, indem er bereit war, für eine Welt, die sich ihm verweigerte, sich eher kreuzigen zu lassen, als den Willen zur Gemeinschaft mit ihr zurückzuziehen. Hier lag die Antwort, wie ich meine Gegensätze in Gott durchhalten konnte. Indem ich in das Kreuz Christi einging, in sein Leiden und in sein Opfer, geschah ein Eingriff, in dem sich Läuterung von unlauteren Vorstellungen und von selbstbezogenen Absichten ereignete. Darin wurde mir eine neue und freie Wegweisung kundgetan, die in der Kreuzes-Nachfolge seinen Willen offenbart. Dieser Weg hat mir ein neues Lebens- und Glaubensfundament gegeben, indem ich lernte, erst durch Hingabe und Vertrauen den Christusweg zu gehen, um dann die Lösungen meiner menschlichen Probleme und Schwierigkeiten wirksam zu erfahren.
Franz von Sales hat ein sehr treffliches Wort gesagt: „Gott zieht seinen Ruhm nicht aus unseren Werken, sondern aus der Ergebung und Gleichförmigkeit unseres Willens mit seinem göttlichen Willen, in dem man Gott mehr und heiliger dient im Leiden, als im Handeln“.
Meine Erfahrung zeigte mir, dass wir seinen Willen oft nur als verpflichtend oder moralisch sehen, als eine Art Personifikation des Sittengesetzes. Aber Gottes Wille, der uns in Christus offenbart wurde, ist umfassender und hat ein ganzheitlicheres Heilsziel. Er soll geschehen im Himmel und auf der Erde, in der ganzen Menschheit, im ganzen Leib Christi, in uns allen, auf dass alles werde, wie er sich das gedacht hat. Die Wahrnehmung der göttlichen Führung in meiner Lebenssituation glich vielmehr einem Prozess, einem Geheimnis, unter Einbeziehung meiner lebens- und glaubensmäßigen Situation. Ein Weg der nicht ohne Mühe und Anstrengung verläuft. Gottes Wille ist in mir nicht fertig geprägt, sondern etwas, das beständig neu wird, das sich neu an mich wendet und mich immer wieder herausfordert. Wo ich seinem Willen nicht genügte, ist er aber nicht zu Ende gewesen, sondern er ruft mich zu einem neuen Schritt. Freilich ist dieser Wille dann anders geworden. Hinzu gehört auch meine Erfahrung, dass dort, wo Jesus als Haupt seines Leibes mit allen Gliedern vernetzt ist, und die Gliedschaft untereinander besteht, sich Gottes Wille erfüllt, zur Einheit, zum Zeugnis der Liebe und Ehre Gottes. Um in rechter Weise in diesen Weg hineinzuwachsen und Schritte zu tun, tragen das gemeinsame Leben und die Begleitung der Brüder zur gottgewollten Führung bei. Jesus will in einem Menschen seinen Bruder/seine Schwester erkennen, indem diese den Willen Gottes tun: Denn jeder, der den Willen meines Vaters im Himmel tut, der ist mir Bruder und Schwester und Mutter (Mt 12, 50).