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Steh auf, stell dich auf deine Füße!
Denn ich bin dir erschienen,
um dich zum Diener und Zeugen
zu erwählen für das, was du gesehen hast
und was ich dir noch zeigen werde.
(Apg 26,16)
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Michael Decker

Diese klare Weisung bekommt Paulus auf der Straße nach Damaskus. Er hört die Stimme Jesu. Im Rückblick kann der Apostel sagen: Ich habe mich der himmlischen Erscheinung nicht widersetzt! Im Gegenteil. Paulus lässt sich überwältigen und gibt sein ganzes Leben als Diener und Zeuge für Jesus Christus hin. Er will keinen eigenen Vorhaben und Zielen mehr nachgehen, sondern sich den Absichten Jesu völlig überlassen und als treuer Wahrheitszeuge für Ihn eintreten. –

Jesus ruft Menschen, dass sie Seine Boten sein sollen und mit Ihm den Oekumenischen Christusdienst ausrichten. In welcher Haltung soll dieses Zeugnis geschehen und wohin kann es die Boten führen? Darauf versuchen wir eine Antwort.

“…ihr werdet meine Zeugen sein bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8)

Verschiedene christliche Gruppen und Menschenrechtsorganisationen setzen sich für verfolgte und gefangene Menschen ein. Regelmäßig werde ich aufgefordert, eine Postkarte und Eingabe zu unterschreiben und an einen Staatsmann oder eine Behörde irgendwo auf der Welt zu schicken. Ich werde gebeten, meine Stimme zu erheben und für einen bestimmten Menschen einzutreten, dem Unrecht getan wird. Es ist bekannt, dass solche Gesten der Solidarität immer wieder etwas bewirkt haben: Gefangene bekamen einen Anwalt und damit ein ordentliches Gerichtsverfahren; manche wurden freigelassen, oder für die Opfer von Gewalttaten wurde gesorgt.

Obwohl ich generell solche Gesten christlicher und menschlicher Hilfe gutheiße, zögere ich doch manchmal; immer wieder habe ich Aktionen auch nicht unterstützt, und das lag nicht daran, dass ich die Portokosten scheute. Am liebsten würde ich diese bedrohlichen Tatsachen nicht zur Kenntnis nehmen. Doch wenn ich Bitten um Solidaritätsbekundungen auch schon oft beiseite legte, tat ich es mit schlechtem Gewissen. Denn bin ich nicht begünstigt?

Selbstverständlich Christsein?

Ich lebe in einem Land, in dem jeder ungehindert christliche Gottesdienste und Versammlungen besuchen darf. Ich muss nicht damit rechnen, ernstlich benachteiligt zu werden, weil ich mich als Christ bekenne. Ich muss nicht fürchten, nachts abgeholt zu werden und in einem Gefängnis einfach zu verschwinden. Aber ich weiß: Für viele Christen dieser Erde gibt es diese Selbstverständlichkeiten nicht.

In Vietnam wurden im vergangenen Jahr wiederholt Christen zur Schwerarbeit in speziellen Lagern gezwungen. Aus der Inneren Mongolei sind Namen von Menschen bekannt, die ohne Prozess wegen illegaler religiöser Aktivitäten jahrelang in Arbeitslagern festgehalten werden. Immer wieder war in den letzten Monaten aus Indonesien zu hören, dass Kirchen niedergebrannt und Christen gewaltsam zum Islam bekehrt wurden. In Afghanistan kamen die Mitarbeiter einer christlichen Hilfsorganisation glücklich wieder frei, obwohl ihnen die Todesstrafe angedroht war. Viele andere Länder und Kulturen sind auch zu nennen: Sudan und Nigeria, Pakistan und Indien, Burma und Russland usw. Die Hilfsaktion Märtyrerkirche, die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte, die Gruppe Christliche Solidarität, Kirche in Not/Ostpriesterhilfe, Ärzte ohne Grenzen und viele weitere Initiativen von Orden oder Missionsgesellschaften berichten regelmäßig und ernsthaft von den Herausforderungen, dem Leid und dem Zeugnis von Christen, die so ganz andere Lebensumstände vorfinden als wir in Mitteleuropa.

Im Jahr 1988 starben schätzungsweise 300.000 Christen aller Konfessionen wegen ihres Glaubens. Im Jahr 2000 waren es “nur noch“ etwas mehr als die Hälfte. Angesichts von sechs Milliarden Menschen auf der Erde fallen beide Zahlen statistisch nicht ins Gewicht (ca. 0,003 %). Dennoch steht hinter jeder Ziffer ein glaubender, hoffender, betender, bedrohter Mensch. Es ist zu beobachten, dass zur Zeit keine Religionsgemeinschaft so verfolgt wird, wie die Christenheit. Die Zahl derer, die dabei ihr Leben verlieren, steigt wieder. Die Ausweitung des fundamentalistischen Islam, das Wachstum des politischen Hinduismus und das Entstehen neuer Diktaturen in Afrika hat dazu geführt, dass Christen verstärkt schikaniert, vertrieben und gefoltert werden oder in Lebensgefahr geraten sind. Unbekannt ist die große Zahl derer, die keine öffentlichen Gottesdienste oder Versammlungen besuchen dürfen, deren Kindern eine höhere Ausbildung verwehrt wird oder die selbst an ihrem Arbeitsplatz benachteiligt sind.

Bedauern oder wirklich mitleiden?

Viele Christen in Mitteleuropa und in Nordamerika “wissen“ um diese Tatsachen. Doch bei den meisten bleibt es bei einem bloßen Bedauern. Wenige sind aufgeschreckt. Auch nach den Terroranschlägen von New York halten viele die gewaltsamen Verfolgungen von Christen nur für “Ausrutscher“ in einem wie oft leichthin angenommen wird ansonsten doch von Toleranz geprägten Miteinander von Muslimen und Christen. Tatsächlich hat die Rechts und Werteordnung der westlichen Welt in den letzten Generationen ein weitgehend friedliches Miteinander der Religionen ermöglicht. Doch als Christen, die die Freiheit in unserer Gesellschaft für selbstverständlich halten und die die Erleichterungen unseres Wohlstandes schätzen, neigen wir dazu, unangenehme Tatsachen nicht zur Kenntnis zu nehmen. Wir ermessen oft zu wenig, was es bedeutet, seinen Glauben in einer von Misstrauen und Ablehnung geprägten Umwelt zu leben und zu bezeugen.

Doch gerade von Mitteleuropa gingen in der Vergangenheit immer wieder die Botschaft und Hoffnung aus, dass sich die weltweite Christenheit als der eine Leib Christi erkennt. Mit ihrem Zeugnis von Einheit und Ganzheit erheben Christen ihre Stimme für diejenigen, deren Stimme heute nicht gehört oder unterdrückt wird. Denn die Kirche und Gemeinde Jesu Christi kann nicht schweigen, solange ihre Brüder und Schwestern um ihres Bekenntnisses willen gefangen, misshandelt und umgebracht werden. … wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit (1. Kor 12,26).

Jesus annehmen oder ablehnen.

Unsere Sympathie (=“Mitleid“ im eigentlichen Wortsinn) ist ein Teil vom Leiden Gottes; Gott will, dass alle Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Gott sind alle Menschen sympathisch. In unendlicher Geduld wartet und hofft er, dass alle seine Kinder und Geschöpfe sich Ihm zuwenden und den Weg des Heils und des Lebens finden. Christen, die diese göttliche Blickrichtung kennen gelernt haben, leiden überhaupt mit allen Menschen mit, die auch in anderen Religionen als Zeugen und Märtyrer wegen ihrer innersten Überzeugungen verfolgt werden. Sie beherzigen die apostolische Ermahnung, die schon der neutestamentlichen Gemeinde mitgegeben wurde: Denkt an die Gefangenen, als wäret ihr Mitgefangene, und an die Misshandelten, weil ihr auch noch im Leibe lebt! (Hebr 13,3)

Schon aus der alttestamentlichen Zeit sind uns Menschen namentlich bekannt, die ihren Glauben und Gehorsam gegenüber dem lebendigen Gott bezeugten und daher in Leidenssituationen kamen (Elia, Jeremia u.a.). Vor allen aber war es Jesus selbst, der Gott mehr gehorchte als den Menschen. Im letzten Buch des NT bekommt er den hoheitlichen Titel treuer Zeuge, der Erstgeborene von den Toten und Herr über die Könige auf Erden (Offb 1,5). Er heißt Amen und ist der wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes (Offb 3,14). Sein Zeugnis wird durch den gewaltsamen Tod am Kreuz glaubwürdig, und Gott bestätigt es durch die Auferweckung aus dem Grab. Damit erfüllt sich, was Jesus in seinem Verhör vor Pilatus als Ziel seines Lebens ausgesagt hatte. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme (Joh 18,37).

Schon zur Zeit Jesu wurden die Menschen, die diese Stimme der Wahrheit hörten, vor die Wahl gestellt, anzunehmen oder abzulehnen. Nikodemus fand sich im nächtlichen Gespräch mit Jesus an diesem Punkt wieder. Und Jesus hielt ihm vor: Wir reden, was wir wissen, und bezeugen, was wir gesehen haben; ihr aber nehmt unser Zeugnis nicht an! (Joh 3,11) An Jesu Zeugnis der Wahrheit scheiden sich seither die Geister. Wer Jesus folgt, lässt sich auf die völlige Hingabe ein, die Gott, dem Vater, alles zutraut, die alles von Ihm erwartet und Ihm die Ehre gibt. Wer Jesus annimmt – sein Wort, seine Tat und seine Person – der besiegelt, dass Gott wahrhaftig ist (Joh 3,33). Wer aber Jesus nicht folgt, bringt zum Ausdruck, dass er sich gegen Gottes Anspruch und Weisung stellt. Er weigert sich, sein Selbstbestimmungsrecht Gott zu überlassen, und es ist in der Folge nur ein kleiner Schritt, Jesus abzulehnen und ihn zu hassen. Am Widerstand derer, die Gott in Jesus nicht erkannten oder erkennen wollten, wurde der treue und wahrhaftige Zeuge Gottes unter den Menschen zerbrochen.

Die Jünger sind nicht über dem Meister.

Die Erstlinge unter den Nachfolgern Jesu waren die Jünger, die von Anfang an bei ihm gewesen sind. Als Zeugen seiner Verkündigung, seines Wirkens und seines ganzen Lebens, besonders aber als Zeugen seiner Auferstehung, konnte Jesus sie durch den Heiligen Geist in die Welt senden. An seiner Statt und in seinem Auftrag wurden sie zu Aposteln des Reiches Gottes und des Evangeliums von der Erlösung. Unter der Zusage, ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird und werdet meine Zeugen sein… bis an das Ende der Erde (Apg 1,8) wurden sie zu Botschaftern des Auferstandenen.

Weil die Apostel mit großer Kraft Zeugnis ablegten, also Jesus verkündigten, erweiterte sich der Kreis der Zeugen und umfasst schließlich alle, die dem Auferstandenen zugehören. Doch diese alle stehen nicht über ihrem Meister. Bereits mit Stephanus wird deutlich, dass die nachfolgenden Zeugen wie Jesus auch damit rechnen müssen, abgewiesen und missverstanden zu werden. Dabei sind es nicht geistige oder intellektuelle Ansprüche, nicht ein Geheimwissen für besonders Eingeweihte, auch keine ethischen Leistungsforderungen, die den Widerstand hervorrufen. Es ist das schlichte Zeugnis des Evangeliums von der rettenden Tat Jesu, das Gott, der gerechte und barmherzige Vater aller Menschen, bestätigt hat; dieses Evangelium, das Gottes Herrschaft in Liebe über alle Welt verkündigt, weckt den Protest aller eigengesinnten Menschen und kann Jesu Jünger bis heute Leiden und Tod bringen.

Jesus hatte den Jüngern nicht verschwiegen, wohin ihr Zeugnis sie führen würde: Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe (Mt 10 ,16ff). Doch: Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen (Mt 5,11).

Als Bürger Europas halten wir uns für aufgeklärt und tolerant. Mit den Erinnerungen an die furchtbaren Kriegszeiten des letzten Jahrhunderts scheint es heute vielen unvorstellbar zu sein, dass Menschen aus echten Glaubensgründen einander blutig bekämpfen. Gewalt, die von Christen einmal ausging oder ausgehen sollte, verabscheuen wir als Rückschritt in rechtlose, unzivilisierte Zustände. Doch wir dürfen nicht die Augen und Herzen davor verschließen, dass es Christen gibt, die genötigt werden, ihr Glaubenszeugnis immer noch und wohl noch lange mit dem Einsatz von Hab und Gut und unter der Gefährdung von Freiheit und Leben zu erbringen. Dass Menschen um ihres christlichen Glaubens willen benachteiligt, verspottet und sogar verfolgt werden, bleibt eine Realität. Wie wir dabei einander beistehen können, mit Gebet und Protest, mit Geld und unserem eigenen Lebenszeugnis, dazu gebe uns der Heilige Geist seine Kraft, Weisheit und Liebe.

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Das jährliche Standardwerk zur Christenverfolgung und Religionsfreiheit, 2012 mit Schwerpunkt: Globale Charta für Gewissensfreiheit, Nigeria, Ägypten, Indien, Indonesien, Naher Osten Die Homburger Konferenz für Religionsfreiheit von 1853 war ein Meilenstein der Geschichte der Evangelischen Allianz und der Toleranz in Deutschland und Europa. Zentrales Ergebnis war die Ablehnung jeglicher Inanspruchnahme staatlicher Gewalt durch Kirchen gegen andere, ein Meilenstein der Entwicklung des Rechtes auf Religionsfreiheit. 1861 stellt ein französischer Pastor erstmals eine ganz neue These auf, die sich mehr und mehr in der Evangelischen Allianz durchsetze, dass nämlich „die Religionsfreiheit staatliche Ordnung und den ihr innewohnenden Frieden garantiert“, Unterdrückung der individuellen Religionsfreiheit dagegen Revolution und Unfrieden nähre und dem Staat seine gottgegebene Grundlage entziehe. Interessanterweise bestätigt eine internationale wissenschaftliche Untersuchung von Brian Grim und Roger Finke genau dies: Religionsfreiheit fördert eine friedliche Gesellschaft, deren Unterdrückung fördert Unruhe und Gewalt und praktisch alle religiös gefärbten terroristischen Bewegungen der Welt kommen aus solchen Ländern. Gerhard Lindemann schreibt: „Mit ihrem Engagement für die Religionsfreiheit leistete die Allianz … auch der Durchsetzung der bürgerlichen Freiheiten in den betreffenden Ländern einen bemerkenswerten Dienst und trug zur Entstehung einer europäischen Zivilgesellschaft nicht unwesentlich bei.“ Thomas Schirrmacher in seiner Besprechung eines Buches von Gerhard Lindemann

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