von Walter Faulmüller

Eine wesentliche Frucht des Evangeliums Christi im Glaubenden ist die Überwindung des eigenen, engen, auch frommen Ich. Das Herz wird weit für den und die anderen. Wir üben uns ein in der Für-Bitte und hoffentlich auch im Für-Dank für unsere Nächsten, alle Menschen, besonders auch für Israel, ja, für die ganze Kreatur.

Aber Für-Buße, ökumenische Für-Buße? – Das meint doch die demütige Beugung unter die Last nicht nur der eigenen, sondern der Verfehlungen der ganzen Christenheit. Natürlich strahlt da unvergleichlich die Für-Buße des Gott-Menschen Jesus für uns alle auf.

Doch wenn Dan. 9, der nach menschlichem Ermessen schuldlos war am Schaden Israels, sich vor dem lebendigen Gott beugt für seine und aller Schuld: “Ja, Herr, wir, unsere Könige und Fürsten und unsere Väter müssen uns schämen, dass wir uns an DIR versündigt haben…,“ – wenn Hiob 1,6 auch nur auf Verdacht ihrer Schuld für seine Söhne und Töchter opfert…, – so spüren wir schon bei den Gottesmenschen des Alten Bundes etwas von dieser Jesus-Gesinnung.

Zeugnis und Mahnung im Neuen Bund.

Doch nun zu uns: Wir alle glauben und bekennen die Eine, Heilige, Allumfassende, Apostolische Kirche Christi, die Eine, deren Eines Haupt und Einer Hirte Jesus ist. Hat ER doch mit seinem Sterben die zerstreute Kirche Gottes zusammengebracht (Joh 11,51f) und zu der Einen Herde unter dem Einen Hirten verbunden (Joh 10,14-16).

Daher das apostolische Zeugnis: “ER ist unser Friede, der aus beiden Eines gemacht hat, so dass beide, Juden und Heiden, durch IHN in Einem Geist Zugang zum Vater haben und miteinander in dem Einen Haus Gottes Bürger sind mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf dem Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist“(Eph 2,14ff).

Darum (Gal 3,28) ist hier kein Jude noch Grieche, ist kein Knecht noch Freier, ist hier kein Mann noch Weib, denn ihr seid allzumal Einer in Christo Jesu. Das heißt doch: In der Einen Kirche Christi sind nationale und soziale Unterschiede oder Unterschiede des Geschlechtes, der Traditionen, der Konfessionen, der Charismen und Amtsfunktionen und… und… nicht aufgelöst, aber in einer höheren Einheit aufgehoben und so erst in ihrem Wert für das Ganze eingeordnet.

Darum lautet die apostolische Mahnung an die Kirche Christi nicht etwa (wie oft gesagt): “Strebet nach der Wiedervereinigung der Getrennten“ (denn trotz aller unserer Trennung: Sie waren und sind eine Familie, sie sind unter einem Vater, dem zur Ehre zu leben ihr höchstes Streben sein sollte!), sondern: “Setzt alle eure Kraft darein die im Opfer Jesu geschaffene und geschenkte Einheit zu bewahren, zu verstärken, zu vertiefen: Höchstes Ziel von Jesus für die Seinen: “… dass sie alle eins seien gleichwie Du Vater in mir und ich in Dir, dass auch sie in uns eins seien… auf dass die Welt glaube.“

Daher die geistliche Leidenschaft, mit der Paulus die in “Konfessionen“ sich zu spalten drohende Kirche Christi in Korinth (“ich bin paulisch, kephisch, apollisch“) zurechtweist. Ist denn der Christus (Kirche Christi: Haupt und Glieder) zertrennt?

Wenn Eifersucht und Zank (Konkurrenz und gegenseitige Diskriminierung) unter euch sind, seid ihr da nicht fleischlich und lebt nach der ungeistlichen Art des alten Menschen (1. Kor 1-3)?

Wenn wir in polemischer Abgrenzung sagen: “Ich bin lutherisch, reformiert, römisch-katholisch, orthodox, evangelisch …,“ fallen wir da nicht menschlich allzu menschlich weit hinter das Gottesgeschenk der mit mannigfaltigen Gnaden, Kräften und Diensten begnadeten Einen Kirche, des Einen ungeteilten Leibes unter dem Einen Haupt und dem Einen Gott, dem “Vater unser aller“ zurück (nach 1.Kor 3,4 in die Gegenwart übertragen)?

Was tun? – Diese Zeilen wären gründlich missverstanden, wenn sie uns sofort zu Klagen, Anklagen, Kritik an “den anderen“, an Verantwortlichen und Leitern der Christenheit führten. Das Prophetische “Du bist der Mann!“(2.Sam 12,7) trifft mich, den Schreiber, und Dich, den Leser zuerst – heilsam und zu Recht. Ruft die oben angedeutete Wahrheit nicht uns alle zu tiefer Reue und Scham über unsere und unserer Väter und Brüder Schuld?

Wende in Gesinnung und Leben.

Die eine Familie ist zerstritten und getrennt – sollte ich nicht ein Werkzeug des Friedens und der Einheit werden?
Von gegenseitiger Schuldzuweisung zum gemeinsamen Bekenntnis: “Wir und unsere Väter tragen auch die Schuld der ganzen Kirche!“
Von konfessionellem Egoismus zu universeller Liebe zu allen Heiligen.
Vom “Eigenheim-“ und Apartment-Denken zur Annahme des einen Hauses mit den verschiedenen Wohnungen.
Von der Vergötzung meines “Teils“ zur Offenheit für das “Ganze“ des Werkes Gottes.
Von menschlichen Schranken zur Länge, Breite, Tiefe und Höhe, den göttlichen Dimensionen des Heils.
Von distanzierter Toleranz zu engagierter Akzeptanz der anderen.
Von lässigem Seinlassen zu bejahendem Annehmen des anderen, der anderen Konfession, und zwar weil Christus mich angenommen hat – Gott zu Lob.

Und wie Jesus dabei Fehler und Mängel nicht übersieht und belässt, sondern Reinigung und Bereinigung anstrebt, so kann auch bei unserem Annehmen der Versuch liebender Korrektur erfolgen, und auf seiner Spur eventuell auch die Übernahme und das Tragen der Last des anderen.

Solche Dynamik des Geistes führt von Übersehen und Verachten zur Höherachtung als mich selbst und Wertschätzung des andern, von der Gleichgültigkeit zu liebender Anteilnahme am Leid und an der Freude des anderen, vom Diskriminieren und Heruntersetzen des anderen zum Erkennen und Anerkennen der Gottesgabe.

Martin Luthers Erklärung zum 8.Gebot aus seinem Kleinen Katechismus gilt auch für das Miteinander der Konfessionen und Gemeinschaften in der Kirche: “Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unseren Nächsten nicht fälschlich belügen (d.h. Lügen über ihn verbreiten), verraten, afterreden oder bösen Leumund machen, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum besten kehren.“

Da beginne ich mit den Augen Jesu Seine Eine Kirche anzuschauen, in Seiner Gesinnung an ihren Gnaden und Schulden und Lasten teilzunehmen. Und so stimme ich von Herzen ein in das Gebet:

“Ja, Herr, wir, unsere Väter und Mütter, Brüder und Schwestern müssen uns schämen, dass wir uns an Dir versündigt haben. Wir bitten Dich: “Bringe uns, Herr, wieder zu Dir, dass wir wieder heimkommen; erneuere unsere Tage wie vor alters!“ (Klgl 5,21).