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Mein dankbares Verhältnis zum 11-Uhr-Gebet korrigiert meine Frömmigkeit auf allen Ebenen des Betens. So hat es auch neue Prioritäten gesetzt, die ich sogar am liebsten den Gottes-diensten der Kirchen ins Stammbuch schriebe. Es betrifft z.B. den Introitus, also den Beginn des Gesprächs mit Gott. Zu-nächst scheint es logisch zu sein, nach der Begrüßung die Un- würdigkeit unseres Menschseins im Sündenbekenntnis auszudrücken und nach Absolution und Kyrie das Gloria anzustimmen. Analysiert man aber diese Ordnung, so treten zwei Fragen an die Oberfläche. Glauben die Beter wirklich, Gott wisse nicht, wer da vor ihm steht? Daraus resultiert die nächste Frage, wer im Gottesdienst wichtiger ist: Gott oder der Mensch?

Die alte Kirche kannte als Starthilfe beim Gottesdienst das sogenannte „Stufengebet“. Es symbolisierte primär jenen Prozess, den man als Annäherung bezeichnen könnte: „Gott – zu Dir will ich, weil Du Anfang und Ende allen Seins bist – mit Dir will ich mich beschäftigen“. Leider wurde das Stufengebet zu einer Trennungslinie umfunktioniert: „Da oben – weit weg – bist Du Gott – und hier unten wir sündige Kreatur“. Es gab sogar Zeiten, wo die Gläubigen auf den Knien die Stufen hochrutschten – weil die Gnade Werke verlangte. Dem erlösten Menschen stünde es besser an, die Treppe hinauf zu stürmen.

Kurzum: Mein 11-Uhr-Gebet lässt mich vor allem anderen, mich selbst fast vergessend, Gott anbeten. Allmählich wurde das zu allem Beginn meines Betens.

Als Jesus seine Jünger das Beten lehrte, führte er sie zu allererst zur Anschauung und Würdigung seines Vaters.
Vater unser – im Himmel! Geheiligt werde dein Name!

Und vor den Notwendigkeiten der Beter wird die Verwirklichung von Gottes Heilsplan erbeten: Dein Reich komme! Dein Wille geschehe! (12)

Es ist schon ein großer Schritt, vom Lobpreisgottesdienst und überhaupt vom Lobpreis zur Anbetung zu kommen. Wie bereits die Heilige Schrift ausweist, beinhaltet der Lobpreis irgendwelche Guttaten Gottes; d.h. wir loben sein Wirken und Verhalten, seine Guttaten, seine Hilfen.

Die Anbetung greift weit darüber hinaus. Sie erschaut die Realität Gottes als Zentrum des Lebens, als Mittelpunkt von Makro- und Mikro-Kosmos – und das ungeachtet seiner Schöpferkraft und seines Vollendertums. Anbetung will Gottes Wirklichkeit im Sinn von Anfang und Ende allen Seins zum Ausdruck bringen. Im Grunde ist Anbetung auch die Vorwegnahme der Ewigkeit, der sich auch der Sohn hingibt, wie es in 1Kor 15,20-28 bezeugt ist: Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten… danach das Ende, wenn er das Reich Gott und dem Vater überantworten wird… auf dass Gott sei alles in allem.

Die Kirche aller Zeiten wusste um die elementare Hinwendung zur Wirklichkeit und Wahrheit Gottes als der Seinsmitte. So konnte sie das Gloria des Sehers Johannes zur Lebensliturgie erheben Offb 4,2-11 …Heilig, heilig, heilig ist Gott der Herr, der Allmächtige, der da war und der da ist und der da kommt!… (13)

ANMERKUNGEN

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(12)

Eine großartige Gebetsschule finden wir in den Psalmen. Hier gibt es zahlreiche Beispiele, wie vor allen kleinkramerischen Anliegen die Beziehung zum lebendigen Gott ausschlaggebend ist. Ein wunderbarer Psalm ist die Nr. 29: Bringet her dem Herrn ihr Gewaltigen, bringet her dem Herrn Ehre und Stärke … Romano Guardini, der römisch-katholische Priester und Hochschullehrer verweist in seinem Büchlein „Das Gebet des Herrn“ auf die dringende Notwendigkeit, dass der Mensch sich auf Gott ausrichten muss, will er recht beten. Man liest darin u.a.: Unser ganzer christlicher Ernst geht darauf, dass wir es mit dem wirklichen Gott zu tun bekommen, nur mit ihm. Darin müssen wir wachsam sein. Nicht nur gegen Dinge und Menschen, sondern vor allem gegen uns selbst. Unser Menschenwesen sucht sich Gottes zu erwehren. Die verborgenste Form aber dieser Gegenwehr, ihre heimlichste Waffe besteht darin, dass sie das Gottesbild umschafft in die Ähnlichkeit des eigenen Bildes. So macht sie Gott unschädlich. Denn dann kommt es nicht mehr zur echten Begegnung, zum freien Du, sondern der Mensch begegnet seinem eigenen Bilde, hinaufgeworfen in die Wolken. Nicht mit dem lebendigen Gott redet er dann, sondern mit sich selber.

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(13)

Anbetung gleicht der aufsteigenden Tendenz des Lebens. Dafür hat die Kirche im Weihrauch ein Zeichen gesetzt. In Offb 8,3-4 sind biblische Vorgänge geschildert, die in ihrem tiefen Sinn erkannt werden wollen.

Aber auch die Natur liefert eine Fülle Beispiele für das aufstrebende Leben, immer entgegen der erdhaften Schwerkraft. Alle Pflanzen strecken sich gen Himmel. Da gibt es sogar Extreme, wenn z.B. ein 20 Meter hoher Baum die Erdfeuchte bis an seine Wipfel transportiert, so dass das oberste Blatt gleich dem untersten versorgt wird. Sogar die Akustik liefert manches Beispiel, wie intensiv alle Laute in erster Linie nach oben dringen. Ballonfahrer berichten von der Kuriosität, wie Gespräche einer Gruppe auf der Erde ohne Hilfsmittel Wort für Wort zu hören seien. Christi Himmelfahrt wird oft primitiv ausgelegt und selbst der biblische Bericht zeigt Mangelerscheinungen. In Wirklichkeit will deutlich werden, dass der neue Mensch befähigt worden ist, gleich Christus die Zusammen-führungskräfte zwischen Gottheit und Menschheit bis ins Leibhaftige wirken zu lassen.

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