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Da aber Pilatus sah, dass er nichts schaffte, sondern dass ein viel größer Getümmel ward, nahm er Wasser und wusch die Hände vor dem Volk und sprach: „Ich bin unschuldig an dem Blut dieses Gerechten; sehet ihr zu!“ Da antwortete das ganze Volk und sprach: „Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder!“ (Mt 27,24-25)

Etwas erstaunlich ist es, die wörtliche Formulierung der tobenden Menge um Pilatus hier in diesem Gebet vorzufinden! Um wirklich herauszufinden, welche letzte Bedeutung in solchem Wunsch verborgen ist, bedarf es einer innersten Feinfühligkeit. Ich kann mich auch nur herantasten, zugleich mit der Sorge, eingefahrenen Denkweisen nicht erliegen zu müssen.

Bevor eine Betrachtung zum Geheimnis von Jesu Blut beginnt, will ich über die Bedeutung des Blutes im Allgemeinen nachsinnen.

Eine sehr menschliche Beobachtung mag zum Einstieg in das Thema helfen. Beim Anblick eines verunfallten und vor allem blutenden Menschen wendet sich der Großteil der Beobachter ab, wobei im Extremfall sogar in Ohnmacht fallend. Man vermag Blut nicht zu sehen. Warum? Ist es so, dass ein blutender Mensch des lebenserhaltenden Stoffes verlustig geht, er also vom Tod bedroht ist? In der Tat ist es so, was durch den Begriff „verbluten“ zum Ausdruck kommt. Blut ist das einzige „Organ“, das bei Verletzung den Körper verlassen kann. Alle anderen Organe können zwar Schaden erleiden oder erkranken, sie bleiben aber mit dem Körper verbunden. Nimmt es dann wunder, wenn seit Urzeiten dem Blut die Eigenschaft als Träger des Lebens zugeschrieben wurde? Auch das biblische Zeugnis weist diese Spur auf. Mose belehrt sein Volk gem. 3.M. 17,11: Des Leibes Leben ist im Blut. Selbst Jesus, als er auf das Messiaszeugnis des Petrus reagiert, unterscheidet zwischen Körper und Blut: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut hat dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel (Mt 16,17). (20)

Ausgehend vom alttestamentlichen Verständnis zieht sich auch durch das neue Testament eine zentrale Bedeutung des Blutes. Und in besonderer Weise fällt sie im Zusammenhang mit der Lebenshingabe Jesu auf. Er überrascht förmlich seine Jünger, als er beim üblichen Passah-Fest-Essen eine kaum fassbare Erklärung für ihr Essen und Trinken abgibt. Bei Matthäus wird in Kapitel 26 folgendes geschildert: Da sie aber aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach’s und gab’s den Jüngern und sprach: Nehmet, esset; das ist mein Leib. Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinket alle daraus; das ist mein Blut des neuen Testaments, welches vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden. (21)

Seit dieser eindeutigen Stiftung des jesuanischen Abendmahls bekam mittels des Bluts Jesu die Christenheit ihre sakramentale Mitte, aber auch Spott und Verachtung der Welt zu spüren. In der Tat hat der moderne Mensch inmitten der wissenschaftlich geprägten Menschheit die Schwierigkeit – wenn er ehrlich ist – Wein als Blut Jesu zu trinken oder Brot als Leib Christi zu essen.

Darum kann man den Spöttern kaum verübeln, wenn sie manchmal die Christen als Menschenfresser bezeichnen. In der heutigen Welt sind nicht nur Wertverschiebungen zuzugeben, sondern seitens der Medizin andere Zentralorgane als Träger des Lebens erkennbar geworden.

Trotzdem scheint mir das Blut außerordentlich geeignet, im Zusammenhang mit der erlösenden Mensch- und Gottheit Jesu, seine innerste Struktur zu offenbaren. Diese Struktur besteht darin, dass sie wie kein anderes Organ ohne Operation übertragbar ist. Und gerade darin besteht das Ziel der Erlösungswirklichkeit und damit des christlichen Abendmahls. Der neue Mensch ist nicht ein umgebauter Mensch, sondern ein Christuserfüllter. „Ich lebe aber, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ (Gal 2,20.)

Wer wie ich mehrere Bluttransfusionen bekam, erlebte dafür ein wunderbares Gleichnis, wo elende Schwachheit sich innerhalb einiger Stunden in ein unbekanntes positives Lebensgefühl verwandelte.

Obwohl ein schwacher Vergleich, so vermag dies Beispiel doch eine Spur legen, wenn es um die Frage der Kommunion von Brot und Wein als Christi Leib und Blut geht. Wie auch die konfessionellen Abendmahlauffassungen differieren mögen: Immer geht es um jenes Mysterium, bei dem der erhöhte Christus durch den Heiligen Geist inwendig Teil von uns Gläubigen wird. Mit ihm zieht seine Vergebung, seine Versöhnung, seine Kraft, eben sein ganzes Leben in sie ein. Hier trifft sich wieder der vorchristliche Glaube vom Blut als dem Träger des Lebens. Das biblische Zeugnis ist überreich, wenn es um solche „Einigung“ des Christus mit dem Menschen geht. (22)

Die römisch-katholische Kirche formuliert im Katechismus zum Abendmahl (Eucharistie): Unser Erlöser hat der Kirche das Gedächtnis seines Todes und seiner Auferstehung anvertraut: als Sakrament des Erbarmens und Zeichen der Einheit, als Band der Liebe und österliches Mahl, indem Christus genossen, das Herz mit Gnade erfüllt und uns das Unterpfand der künftigen Herrlichkeit gegeben wird. Dazu müssen evangelische Gläubige mit ausschließlicher Betonung des Gedächtnismahles wahrnehmen, dass der katholische Priester solches ebenfalls bekennt. Auch muss hier betont werden, dass er bei der Konsekration von Brot und Wein diese nicht „verwandelt“, sondern eine einfache Bitte um Heiligen Geist an Gott richtet:

Sende deinen Geist auf diese Gaben herab und heilige sie, damit sie uns werden Leib und Blut deines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus.

ANMERKUNGEN

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21

Als Jesus mit seinen Jüngern Passah feierte, vollzog er wie alle Israeliten eines der Hauptfeste. Hier ist es angebracht, einen Blick auf die heutige noch übliche Sitte des Pessach zu werfen. Im geschichtlichen Ablauf vollzogen sich verschiedene Entwicklungsstufen.

In der Zeit Jesu fand eine zentrale gemeinsame Feier in Jerusalem statt. Geschlechterweise betrat man mit den Leviten den Tempel. Dort wurde das Pessach-Lamm geschlachtet. Dann zog man zum Mahl in die Häuser. Hierbei wird man daran erinnert, wie in der Fremde das Wunder der Befreiung aus ägyptischer Knechtschaft seinen Anfang nahm, als die Pfosten der Häuser mit Blut bestrichen worden waren, damit der Würgeengel Gottes die Erstgeborenen verschonte. So kann man das Pessach als Fest der Befreiung bezeichnen.

Das Fest findet sieben Tage lang statt und zwar vom 14. bis 21. Nissan. Diese beiden Tage sind Feiertage.
Am Vorabend des 14. Nissan hat der Erstgeborene zu fasten.
Die Mitte des Feierns besteht in Lesungen mit Psalmengesang und Ansprache des Hausvaters.
Auf dem Festtagstisch (Seder-Tisch) befindet sich folgendes Arrangement:

Der fünfte Becher (Elia-Becher) wird nicht geleert. Er dient zum Symbol für die noch zu erwartende letzte Erlösung. (Lexikon des Judentums)

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22

Zum Blut Jesu im Abendmahl gehört gleichermaßen auch der Leib Jesu. Darüber muss an anderer Stelle eingegangen werden. Hier soll der Versuch erlaubt sein, den interessierten Betern überhaupt einen Zugang zum Vorgang der Kommunion anzubieten. Über folgenden Tatbestand besteht kein Zweifel: Wein bleibt materiell Wein und Brot bleibt materiell Brot. Alles andere ist reiner Unfug. Wenngleich man kirchlich den Begriff der Transsubstantiation benutzt, so soll damit grundsätzlich verdeutlicht werden: Hier geschieht eine Veränderung. Dass hierbei keine chemische, physikalische Veränderung passiert, bleibt unbestritten.

Unbestritten aber bleibt auch, dass es darüber hinaus noch ganz andere Veränderungen geben kann und muss, eben in der Substanz. Eine ganz primitive Verdeutlichung auf allgemeiner Ebene sehe ich darin, einen Wein hinsichtlich seiner Bezugswerte zu verändern. Müllers Wein ist nicht Hubers Wein und umgekehrt; aber er könnte es werden.

Für mich ist solch eine Veränderung der erste Prozess der Transsubstantiation beim Abendmahl. Es wird Wein dargebracht, Gott übergeben und damit sogar in gewisser Weise „juristisch” sein Besitz. Manche Kirchen kennen die Gabenbereitung, wo der Wein und das Brot bewusst zunächst als unser Besitz bezeichnet und so Gott dem Herrn überantwortet werden zu seinem Besitz und seinem Handeln. Da heißt es beim Wein in der Liturgie etwa:

Gepriesen bist du, Herr unser Gott, Schöpfer der Welt, Du schenkst uns den Wein, die Frucht des Weinstocks und der menschlichen Arbeit. Wir bringen diesen Kelch vor dein Angesicht, damit er uns der Kelch des Heils werde.

Es geht also eindeutig um einen göttlichen Prozess. Der wird bei einer anderen Gebetsformulierung noch deutlicher:

Schaue auf uns herab, o Gott, segne und heilige dieses Brot und diesen Wein. Wir segnen Brot und Wein in dem Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Himmlischer Vater, sende herab deinen Heiligen Geist und schaffe dieses Brot für uns zu dem Leibe Jesu Christi, deines Sohnes, und diesen Kelch für uns zu dem Blute Jesu Christi, deines Sohnes.

Der zweite Prozess der Transsubstantiation ist der entscheidende Vorgang, auf den ich nachstehend eingehe.

Alles göttliche Eingreifen in gewohnte Lebensprozesse können wir nicht mit unseren irdischen Prinzipien erfassen. Dazu gehören alle unerklärbaren Wunder, Erscheinungen, Erleuchtungen. Die Kirche hilft sich, indem sie von Mysterien (Geheimnissen) spricht. Auch der Begriff des Sakraments gehört hierher. Beides setzt einen Glauben voraus, der ein Wirken Gottes zu erkennen vermag, das unerklärbar ist.

Um zu unserem Begriff der Transsubstantiation zurückzukehren, möchte ich auf eine „Verwandlung“ hinweisen, die in der Geschichte der Christenheit vieltausendfach passierte und noch bis heute passiert. Da greift Gott durch Erleuchtung der Sinne und der Seele in ein Menschenleben ein, das bisher im Sündenpfuhl zu ersticken drohte und von heute auf morgen ein „anderer gläubiger Mensch“ geworden war.

Nun – es ist der gleiche Mensch wie vorher und doch ist er verwandelt.

Sein Wesen hat sich wesentlich verändert! Er selbst konnte das nicht bewerkstelligen. In dem Begriff Transsubstantiation ist das Wort Substanz enthalten und das bedeutet Wesen. Der Wortteil Trans verweist auf den Vorgang der Übertragung (siehe Transport – Transfer – Transfusion).

Der Abendmahlwein erlebt eine Wesensveränderung, dem Blut Jesu gleich, was nichts anderes ist als das Wesen und das ganze Leben Jesu (gemäß der Annahme vom Blut als genereller Träger des Lebens). Analog gilt das natürlich auch vom Brot als Leib.

Hier ist eine Formulierung des Kirchenvaters Augustin bzgl. des Sakraments hilfreich: Sakrament ist das sichtbare Zeichen einer unsichtbaren Gnade.

Jesus selbst verweist eindringlich seine Jünger auf das Mysterium der Kommunion, also auf das Essen und Trinken von Brot und Wein als seines Leibes und Blutes und damit als eine „Hereinlassung des ganzen Christus“. Zahlreiche Stellen des Neuen Testaments weisen darauf hin, z.B. Joh 6,54-56.

Das ist weithin die Not der begrenzten Kommunion, dass sie nur als Gedächtnis gefeiert wird; dass sie nur zur Kräftigung der eigenen Seele passiert; dass sie sich nicht mehr stellvertretend für Kirche und Welt ereignet.

Andererseits wird das Christusleben und seine Innewohnung in den Gläubigen auf die Kommunion reduziert, wenngleich die Eucharistie als das Sakrament der Sakramente angesehen werden kann.

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