Dorothea Vosgerau

Genauer übersetzt heißt der Vers: Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden. Wer wagt einen solchen Satz einem trauernden Menschen zu sagen? Jesus! Nachdem er 40 Tage in der Wüste gehungert hatte und vom Teufel dreimal versucht war, heißt es von ihm: Er verkündete das Evangelium vom Reich… Man brachte Kranke mit den verschiedensten Gebrechen und Leiden zu ihm, Besessene, Mondsüchtige und Gelähmte, und er heilte sie alle. Wundert’s uns, dass man ihm nachläuft? Er aber steigt auf einen Berg und lehrt die Menge. Und dann folgt die gesamte Bergpredigt, der unser Wort entnommen ist. Erst die Tat, die sich das Volk gerne gefallen lässt, und dann die Lehre, die wir im Ernstfall nicht zu wiederholen wagen. Das Evangelium allerdings berichtet von der Wirkung der Lehrpredigt Jesu anderes: … die Menge war sehr betroffen von seiner Lehre, denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, und nicht wie ihre Schriftgelehrten.

Bei Jesus ist Lehre gelebte Wahrheit, durchlittene Wahrheit. Er bringt nicht nur als Zeichen für den Anbruch des Reiches Gottes Heilungen, die so gerne angenommen werden. Er hat Tieferes zu bringen. Er, der dieses vollmächtige Wort sagt, hat über Jerusalem geweint und hat am Kreuz gerufen: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Er weiß als Mensch, was trauern, was leiden heißt. Der Hebräerbrief bezeugt: Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt … Aber er glaubt seinem Vater, dass alles Trauern und Leiden dessen Liebesabsicht und heiligem Plan entspricht. Und darin ist er ja nicht enttäuscht worden: Er ist im Garten Gethsemane gestärkt worden und nach seiner Verurteilung und seinem Opfertod am Kreuz auferstanden und hat den Ehrenplatz zur Rechten Gottes eingenommen. Sein Leben hat bestätigt, was er in Vollmacht gelehrt hat: Selig sind, die Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.

Seitdem kann das Leiden in unsrer Welt Ewigkeitsqualität haben. Es muss allerdings in dieser Haltung und diesem Gehorsam, wie Jesus ihn vorgelebt hat, durchlebt werden. Denn die ganze Menschheit, die ganze Schöpfung leidet. Wer wollte davor die Augen verschließen? Den Menschen verhärten und verbittern Trauer und Leiden in der Regel oder machen ihn aggressiv, häufig gegen andere, oft auch gegen sich selbst. Der Nachfolger Jesu aber darf seine Trauer und sein Leiden mit Jesus leiden. Er darf es als etwas erkennen lernen, das aus Gottes liebender Führung kommt und ihn zu einer Würde erhebt, die nicht jedem gleichermaßen zuteil wird. Denn er darf sich darauf verlassen, dass die Tröstung, die Jesus verheißt, durch den Heiligen Geist, dessen Name “Tröster“ ist, kommt. Dieser Tröster hat Stephanus bei seiner Steinigung den Himmel offen sehen lassen. Und er hat Dietrich Bonhoeffer bei aller Schwäche eine Stärke ausstrahlen lassen, die ihm beim Wachpersonal Bewunderung verschafft hat. Ungezählte Menschen haben diesen Tröster erfahren und bezeugen, dass sie in schmerzvollen Situationen und abgrundtiefen Bedrängnissen in einem Frieden geborgen waren, den sie nur als Geschenk bedanken können. Aber nicht nur das, sondern die kleine Last unserer gegenwärtigen Not schafft uns in maßlosem Übermaß ein ewiges Gewicht an Herrlichkeit, uns, die wir nicht auf das Sichtbare starren, sondern nach dem Unsichtbaren ausblicken, bezeugt der Apostel Paulus in 2Kor 4,17+18.

Darum ist es wichtig, schon Kindern nicht vorgaukeln zu wollen, Leiden und Trauern seien außerordentliche und möglichst perfekt zu vermeidende oder zu fliehende Lebensausnahmesituationen. Trauern und Leiden trifft alle – früher oder später. Die entscheidende Frage ist, wie ich Trauer und Leiden mit Jesus in Verbindung bringen lerne, wie ich durch den Heiligen Geist fähig werde, mich im Vertrauen auf die Liebe Gottes ganz in der schmerzvollen Situation Gott auszuliefern. Wer etwas davon erfahren hat, wird nicht als besserwissender Schriftgelehrter abgetan werden können, wenn er bezeugt: Selig sind, die Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.

Ein spezielles Zeugnis der Tat aus dem christlichen Glauben geben die Mitglieder der Christusträgerbruderschaft durch ihre Hilfe für Kranke und Arme in verschiedenen Ländern. Mit freundlicher Genehmigung geben wir einen Bericht aus der Station Vanga im Kongo wieder:

Wer aber irdischen Besitz hat und sieht seinen Bruder Mangel leiden und verschließt sein Herz vor ihm, wie bleibt die Liebe Gottes in ihm? (1Joh 3,17)

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Sehr verehrte, liebe Freunde!

Wussten Sie schon, dass die Geschichte von Hans im Glück mit wirklicher Armut nichts zu tun hat? Dass jede Romantisierung der Armut reiner Unsinn ist? Dass Armut das Fehlen jeder Sicherung bedeutet? Man lebt, ohne zu wissen wovon. Ob man morgen etwas zu essen bekommt oder hungrig bleibt, ob man einen geschützten Platz zum Schlafen findet oder frierend auf einer Betonplatte liegt, ob man gesund oder krank aufwacht, ob man Hilfe für seine Schmerzen bekommt oder nicht, ob das zerrissene Kleid noch hält oder ganz zerfällt, ob das schreiende Kind aus der Brust wenigstens soviel Milch saugen kann, dass es einschläft und nicht ständig wimmert, ob man ein Stückchen Seife findet oder dreckig bleibt, ob man den Tag überlebt oder nicht. Aber es gibt noch schlimmere Varianten: etwa da, wo die Menschen im Osten des Kongo ihre armseligen Dörfer verlassen, wenn fremde Soldaten kommen, und tagelang mit nichts in den Wäldern hausen, wenn Frauen bei familiären Todesfällen durch Hellseher der Täterschaft bezichtigt und mit ihren Kindern gnadenlos aus der Familiengemeinschaft ausgestoßen werden, wenn Männer ihre kranken Frauen verlassen und diese ein Bettelleben führen müssen, wenn alte Menschen verhungern, weil keiner für sie sorgt, wenn Aidskranke immer hinfälliger werden und sich alle von ihnen abwenden. Unausdenkbar erst recht die Lage der Gefangenen.

Armut hat viele Gesichter, aber nie den Touch des Romantischen.

Sie macht die Menschen hart und unempfindlich für die Not der anderen, jeder kämpft um das eigene Überleben und das seiner Kinder. Und doch gibt es auch bei uns Überraschungen der Freude, Lichteinfälle, Hoffnung, Szenen der Heiterkeit, ergreifende Bilder selbstloser mütterlicher Liebe, Geduld und Hingabe. Wenn ich abends am Alten Pavillon vorbeigehe, da, wo diese ganz Armen untergebracht sind, höre ich nicht selten, wie sie ihre schönen Lieder singen und beten, bevor um 21 Uhr das Generatorlicht ausgeht. Man sieht manchmal unter ihnen sogar lachende Gesichter, für kleine Späße sind sie immer zu haben…

Sie mögen fragen: Was ist der Sinn des Ganzen? Nimmt nicht die Verarmung in Afrika ständig zu, fällt das, was getan wird, überhaupt ins Gewicht?

Unsere Antwort hat einen einzigen Bezug: Die Liebe Jesu Christi. Der Sohn Gottes hat die Armut freiwillig auf sich genommen. Er hatte kein Zuhause, wo er schlafen konnte. In allen Dingen des täglichen Lebens machte er sich abhängig von der Unterstützung durch andere. Macht-, schutz- und wehrlos endete sein Leben in absoluter Armut und Entblößung am Galgenholz der Verbrecher. Durch Seine Entäußerung, Seinen Opfertod und Seine Auferstehung vollbrachte er nach dem Vorsatz Gottes das Heil für alle Menschen und alle Kreatur. Er sagt: Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. Diese Identifizierung Christi mit den Armen wird Menschen zu allen Zeiten bewegen, den Armen zu helfen aus Dank für das, was Jesus Christus für uns getan hat, und aus Liebe zu Ihm.

Zum Schönsten, was ich in Vanga beobachte, gehören alte kranke Ehepaare, von denen ein Teil den anderen pflegt. Das geschieht oftmals mit einer solchen Zartheit, Treue und Hingabe, dass ich immer tief berührt bin. In dieser schweren Lebenssituation erfährt menschliche Liebe ihre wunderbare Vollendung, und die Armut tut das ihre, diesem Zeugnis der Treue das Siegel des Wahrhaftigen aufzusetzen. Stellvertretend für alle nenne ich Tata Mabita, einen ehemaligen Gouverneurssekretär und Historiker, der seine schwer leidende Gattin drei Jahre lang aufs liebevollste begleitete und pflegte. In seiner Persönlichkeit verbinden sich christlicher Glaube, Vornehmheit, Intellektualität und Bescheidenheit zu einem eindrücklichen Bild afrikanischen Menschseins.

Verwandlung von Menschen durch den Geist des lebendigen Christus, das ist ein erregendes Thema. Manchmal geschieht sie ganz offensichtlich, manchmal kann man sie nur ahnen, wenn ein durch und durch behinderter Mensch sein äußerst einfaches Dasein dankbar und zufrieden annimmt. In diesem Zusammenhang möchte ich zwei Blinde nennen, die zu den zufriedensten Menschen zählen, die ich kenne. Der erste ist Alain Katay, 33 Jahre alt, der mit 18 Jahren erblindete. Wenig später erlebte er eine persönliche Begegnung mit Jesus Christus und die Umwandlung seiner Persönlichkeit. Als katholischer Laie weiß er sich seit vielen Jahren zum Evangelisten berufen und besucht in dieser Eigenschaft zweimal im Jahr Vanga und andere Orte unserer Provinz, dabei immer auf die Hilfe anderer und die Führung durch einen Freund angewiesen, immer freundlich, humorvoll, zufrieden und zum Zeugnis für Christus bereit. Der zweite ist Tata Seleme, älter als Alain, der immer wieder zu längeren Aufenthalten nach Vanga kommt. Er ist völlig allein. Seine einzige Habe ist ein zerschlissener Beutel, in dem er seine wenigen Habseligkeiten mit sich herumträgt. Mit einem Stock tastet er seine Wege ab. Er ist kein Prediger, ich habe noch nie ein spontanes Glaubenszeugnis von ihm gehört. Aber er ist ein durch und durch zufriedener Mensch und sagt bei Nachfragen immer mit Nachdruck, dass es ihm gut gehe, dankbar für ein paar Erdnüsse, für das tägliche Essen, für die Decke, die ihm nachts irgendwo draußen als Lager dient. Jeden Sonntagmorgen steht er um 7 Uhr an unserm Gartentor und holt sich Brot, Bananen, Erdnüsse und eine Dose Ölsardinen ab, für ihn Inbegriff des Paradiesischen. Bevor er geht, bittet er um ein Gebet. Dann nimmt er wieder seinen Stock und tastet sich auf den Weg, der ins Hospital führt.

Ich schließe mein Lob auf den Einen, auf den alle Liebe in dieser Welt zurückgeht. Alles, aber auch alles, was wir an Liebe empfangen und weitergeben, haben wir Jesus Christus, unserm treuen Herrn und Erlöser, zu verdanken, dem Sohn Gottes, der, ob Er wohl reich war, arm wurde um unsretwillen, damit wir durch Seine Armut reich würden…

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Reinhard Beaupain, CT