Wie werden wir zu den Menschen, die Gott sich gedacht hat? Was ist unsere eigentliche Identität und woher kommt sie? Im folgenden Artikel wird entfaltet, wie das Mutter- und Vatersein einen wesentlichen Anteil daran hat. Das wiederum lebt aus der schöpferischen Liebe und Berufung Gottes. Mutter- und Vaterschaft ist nicht nur im biologischen Sinn zu verstehen. Wer in liebende Verantwortung hineinwächst, wird in umfassendem Sinn Neues und Identitätsstiftendes ermöglichen. Was dazu hilfreich ist, wird hier bezeugt.

Die Vaterliebe Gottes stiftet unsere eigentliche Identität. Wenn man als Eltern versucht zu lernen, so „zu lieben wie der Vater“, wird man auch mit der Realität konfrontiert, dass man, ob man will oder nicht, die Identität der eigenen Kinder (mit)stiftet.

Identität erwächst aus Schöpfung und Berufung

Blicken wir in die Bibel, an den Anfang. Hier offenbart sich die Vaterliebe Gottes im Schöpfungsakt. In 1Mo 1 wird deutlich, dass wir geschaffene Wesen und damit Teil der Schöpfung sind. Und so kann zunächst einmal jeder für sich festhalten: Ich bin Geschaffener und darf mich aus Gottes väterlicher und mütterlicher Hand empfangen. Das befreit und setzt einen Kontrapunkt zu einer der großen Lügen unserer Zeit, nämlich, dass jeder seine eigene Identität selbst basteln darf, kann und sogar muss. Es weist uns aber auf die große Mitverantwortung hin: Unsere Kinder empfangen sich auch aus unserer Hand.

Darüber hinaus wird deutlich, dass der Mensch Beauftragter oder Berufener ist: Geschaffen zum Ebenbild Gottes, als Mann und als Frau. Das bringt natürlich die Frage mit sich: Wer ist Gott? Im Johannesbrief lesen wir: Gott ist Liebe (1Joh 4,8). Es ist schon stark, dass da nicht steht „Gott ist wie die Liebe“ oder „für Gott ist die Liebe sehr wichtig“. Nein, es steht gewissermaßen die Identität Gottes da: Gott = Liebe! Nun bedeutet das für uns, die wir berufen sind zu seinem Bilde, nichts anderes als: Wir sollen Liebe sein, ganz Liebe sein, ganz Liebe, auch ganz väterlich-mütterliche Liebe werden!

Große Geschwister lernen diese Liebe, die mitdenkt, vorausschaut und für den anderen empfindet, in einer selbstverständlichen Weise in der Familie. Wenn Kinder z.B. mit Puppen spielen, dann üben sie sich bereits in dieser väterlich-mütterlichen Liebe ein. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Kinder zuerst Liebe erfahren haben: „… denn er hat uns zuerst geliebt“ (1Joh 4,19). Gott liebt, darum hat er uns geschaffen. Die elterliche Liebe ist immer schon da.

Ich glaube, dass alle reifenden Menschen berufen sind zu solch einem Leben der Mutter- und Vaterschaft, das zuerst liebt und so Neues schafft. Dies wird im Schöpfungsbericht deutlich: Wir sollen über die Erde herrschen und gemeinsam Verantwortung für die Schöpfung übernehmen. Gott beauftragt uns sogar zu „Mitschöpfern“, die sich mehren und die Erde füllen sollen. Solche Vater- und Mutterschaft sollte dabei nicht nur im beschränkten Sinn des biologisch-natürlichen Vater- oder Mutterseins verstanden werden, sondern im Sinne von „Verantwortungsübernahme“ und „Fruchtbringen“. Für uns Christen bedeutet das: Reifende Christen sind berufen zu geistlicher Vater- und Mutterschaft, die Frucht bringt und Verantwortung für andere übernimmt. Diese Berufung hat viele Ausgestaltungen: Es gibt Menschen und Gemeinschaften mit der Berufung zur Diakonie, zur Evangelisation, zum gemeinsamen Leben, zum einsamen Leben, zum Ausgesondertsein auf dem Land, zum Zeugnis in der Stadt.

In all diesen Ausgestaltungen ruft der Ökumenische Christusdienst zur Diakonie am Leib Christi auf, zu einem priesterlichen Dienst in der Gesinnung Jesu und zu einer existenziellen Bußhaltung – weil wir eben nicht leben, was wir von Gott her sind. Oft versäumen wir, was wir im gemeinsamen Leben mit dem dreieinen Gott in Anspruch nehmen dürfen und sollen, nämlich Kinder Gottes zu sein, die ununterbrochen in und aus der unmittelbaren Nähe zum Vater im Himmel leben.

Identität wächst mit unserer Geschichte und in Gemeinschaft

Beim Heranwachsen eines Kindes wird Stück um Stück deutlich, wer das Kind wirklich ist, welcher Charakter da heranreift, welche Interessen und Bedürfnisse es hat. Wir sehen auch im Alten Testament, wie das Volk Israel heranwächst und durch die Zeit zur eigentlichen Berufung reift, ein Volk von Königen und Priestern – für die Welt! Durch so viele Höhen und Tiefen geht Gott mit, und auf diesem Weg lernt das Volk langsam, wer es ist und zu was es berufen ist. So sind wir auch als Christen unterwegs, als Einzelne und als Kirche und bleiben hier auf der Erde Reifende und Wachsende. Identitätsbildung ist damit auch ein Reifungsprozess, ein Werden, so dass sich sagen lässt: Identität braucht Geschichte. Wir reifen durch das, was Gottes Liebe an uns tut, und erst im Himmel wird unsere Identität Erfüllung finden.

Wir hatten bereits festgehalten: Gott ist Liebe. Das bedeutet auch: Gott ist Gemeinschaft. Er ist gemeinsames Leben. Identität ist also immer in Beziehungen zu finden. Im Bezug zum anderen, im Gegenüber.

Um seine Identität zu finden, braucht es also Einordnung in ein Beziehungsgefüge, ein Sich-Zuordnen.

Das findet zuerst und auf natürliche Weise in der Familie statt. Auch Jesus hat dieses Zugeordnetsein zum Vater gelebt. Er sagt: „Ich tue nur, was ich den Vater tun sehe“ (Joh 5,19), aber er hat immer wieder auch seine geistliche Familie gesucht: Seine Jünger und besonders Martha, Maria und Lazarus. Identität braucht also Beziehung, Einordnung und Unterordnung, und auch das steht im Widerspruch zur Selbstverwirklichungsideologie unserer Zeit, die sich auch in christlichen Kreisen finden lässt. Hier hören wir die warnenden Worte Jesu an das nicht sterben wollende Weizenkorn: „Dann bleibt es allein“ (Joh 12,34). Wer sich nicht in den Acker des gemeinsamen Lebens mit Gott und seinen Geschwistern hinein säen lässt, bleibt allein.

Es ist besser, mit den Brüdern und Schwestern zu leben, die Gott einem zur Seite gestellt hat, als vergeblich auf eine Idealgemeinschaft zu hoffen.

Der Mangel wahrer geistlicher Väter und Mütter mag ein Sich-Einordnen in Gemeinschaften erschweren, aber nur durch dieses Hineinspringen, Sich-fallen-lassen, Sich-einsäen-lassen und Bleiben in Gemeinschaft finden wir Heimat, können wir uns verwurzeln und so zu unserer Identität finden. Und gerade dort, wo wir vermeintlich nicht so hineinpassen, werden wir wunderbar geformt.

Identität erwächst aus dem Opfer Jesu

Als Vater frage ich mich, wie meine Kinder Familie erleben sollten. Die Art und Weise unseres Miteinanders, wie wir miteinander umgehen, mit- und übereinander sprechen, beten, feiern, trauern, diskutieren, all das prägt sie ja. Wie so oft hilft es auch hier, auf Jesus zu sehen. Wie hat er gelebt? Was macht Jesu Sein aus? Es wird im Evangelium schnell deutlich: Jesu Sein ist ein opferndes. Auch der Begriff Opfer ist aus einer ganzen Reihe von Gründen in unserer Zeit sehr unpopulär. Doch er ist sehr viel biblischer als der Begriff Identität:

Nur das Opfer Jesu am Kreuz hat die Macht zu erlösen, Neues zu stiften und die ureigentliche Berufung und Identität des Menschen wiederherzustellen, nämlich die Gemeinschaft mit Gott.

Ich glaube, dass in solchen Opfern, die wir im Geiste Jesu, in seiner Gesinnung darbringen, auch und insbesondere im Rahmen des alltäglichen Familienlebens, diese Erlösungskräfte wirksam werden. An ein paar Stellen im Evangelium spricht Jesus davon: „Ich sende euch, wie mich mein Vater gesandt hat“ (Joh 20,21); „Was ihr binden werdet, soll im Himmel gebunden werden, was ihr lösen werdet, soll im Himmel gelöst sein“ (Mt 18,18); „Liebt einander, wie ich euch geliebt habe“ (Joh 15,12). Mit Opfern meine ich übrigens weniger das heroische Sich-Aufopfern, sondern mehr eine Haltung der Hingabe, die sich ganz prima im natürlichen Vatersein einüben lässt.


Autor

Samuel Pfeifer

Samuel und Christine Pfeifer, mit ihren Kindern

Vereinigung vom gemeinsamen Leben

BEI – Bildungs- und Erziehungsinitiative
Christine und Samuel Pfeifer laden zweimal im Jahr Erzieher, Lehrer, Eltern, Großeltern und andere Interessierte ein, sich anhand des Evangeliums mit Fragen der Erziehung auseinanderzusetzen. Dabei geht es ihnen nicht so sehr um pädagogische Konzepte, sondern um die eigene Herzensbildung im Sinne des Ökumenischen Christusdienstes. Gesellschaftliche Entwicklungen im Blick auf die Familie werden ebenso bedacht wie Identität, Gehorsam oder ähnliche Themen, die im Umgang mit Kindern und Jugendlichen eine Rolle spielen. Mit biblischen Impulsen und eigenen Erfahrungen aus ihrem Familien- und Berufsleben leiten sie die in der Regel dreistündigen Treffen ein. Die anschließenden Kleingruppen dienen der Vertiefung und dem persönlichen Austausch der Teilnehmenden.
Kontakt-E-Mail: bei@vvgl.de

  • Vereinigung vom gemeinsamen Leben im Ökumenischen Christusdienst

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