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C.[[Andrew White]], Jahrgang 1964, ist anglikanischer Pfarrer und Arzt. Lange wirkte er an der Kathedrale von Coventry. Seit dem Ende des Irakkriegs engagiert er sich trotz seiner schweren Multiple-Sklerose-Erkrankung in Bagdad. Hinter den Kulissen übt er eine Friedensmission, die verfeindete Menschen in Verbindung bringt. Täglich setzt er in der Hoffnung auf Versöhnung sein Leben aufs Spiel.

Wenn um einen herum der Krieg tobt, kann Friedensarbeit ungeheuer aufreibend sein. Dies ist nicht die Art Arbeit, wo man den Menschen sagen kann: „Kommen Sie morgen wieder.“ Oft muss sofort gehandelt werden, etwa wenn eine Moschee oder Kirche in die Luft geflogen ist, wenn die nächsten Geiselnehmer zugeschlagen haben oder wieder ein Kollege ums Leben gekommen ist. Mehr als einmal habe ich in Bagdad mit meinen Kollegen zusammengesessen und über die nächste Hiobsbotschaft oder Todesnachricht geweint. Wenn man umsonst versucht hat, die Katastrophe zu verhindern, tut es ungeheuer weh.

Aber wir haben auch Augenblicke überschwänglicher Freude erlebt.

Die Suche nach Frieden inmitten der Gewalt ist ein riskanter Job. Manchmal ist er so riskant, dass nur sehr wenige ihn tun können. Nichts ist sicher – außer dass jemand den Job machen muss. Wir müssen uns darüber klar sein, dass diese Arbeit sehr, sehr lange braucht und dass wir nie aufgeben dürfen. Hier im Irak ist man in dieser Arbeit oft sehr einsam und unverstanden. In manchen Zeiten wünsche ich mir, einen anderen Auftrag zu haben – aber dann wird ein kleines Licht im Tunnel sichtbar: Ein sunnitischer und schiitischer Geistlicher essen gemeinsam oder eine Geisel kommt frei, und ich kann wieder hoffen.

Diese Hoffnung ist oft viel mehr theologisch als politisch. Die irakische Politik bietet häufig sehr wenig Grund zu Optimismus, aber dann bricht ganz unerwartet die Auferstehungshoffnung durch. Ich denke hier an Tage, wo alles schwarz zu sein schien; dann ging ich im Geiste zum leeren Grab Christi und blieb davor stehen – und dieses Grab wurde mein Hoffnungszeichen. Wir holen Luft und fassen Mut. Der Geist und die Herrlichkeit und die Engel Gottes sind hier und erfüllen die Atmosphäre mit seiner Gegenwart. Er ist in unserer Welt am Werk, und ich glaube, dass der Nahe und Mittlere Osten im Zentrum seiner Pläne steht. Je mehr ich in dieser Region arbeite, umso mehr sehe ich, dass Gott im Regiment sitzt. Ich habe das selber erfahren. Von mir aus kann ich nichts tun, aber Gott kann alles tun. Ich habe gelernt: Was in der materiellen Welt geschieht, ist oft nur ein sichtbarer Ausdruck von dem, was in der spirituellen Welt geschieht.

Wenn Sie mich vor ein paar Jahren gefragt hätten, was das Wesen des Friedensstifters ist, hätte ich Ihnen eine lange und weitschweifige Antwort gegeben. Heute würde ich nur ein Wort sagen: Liebe. Es ist Liebe, die uns in den Stand setzt zu vergeben, und Vergeben ist das Einzige, was verhindern kann, dass die Wunden der Vergangenheit die Zukunft bestimmen. Jesus hat uns geboten, unsere Feinde zu lieben, aber meistens mögen wir sie noch nicht einmal. Ich muss viel Zeit mit Menschen verbringen, die mir zuwider sind, und bevor ich zu ihnen gehe, bete ich immer ganz einfach: „Herr, hilf mir, sie zu lieben!“ Wenn es einen Bibelabschnitt gibt, der eine Art Rezept für meine Arbeit ist, dann wohl Römer 12,9-21:

… Vergeltet niemals Unrecht mit neuem Unrecht. Euer Verhalten soll bei allen Menschen als ehrbar gelten. Soweit es irgend möglich ist und von euch abhängt, lebt mit allen Menschen in Frieden. Liebe Freunde, verschafft euch nicht selbst Recht. Überlasst vielmehr Gott das Urteil…

Es gibt Zeiten, wo das Lieben Schwerarbeit ist. Manchmal koche ich innerlich, wenn ich mich zu einem Gespräch begebe, aber ich weiß auch: Wenn sich überhaupt etwas bewegen soll, dann muss ich diese Wut ablegen und lieben. Wenn ich mit Terroristen verhandle, ist mir klar, dass sie etwas von mir wollen, aber oft kann ich ihnen nichts bieten außer Liebe. Doch diese Liebe weitergeben heißt Jesus weitergeben. Und so lieben, lieben und lieben und beten, beten und beten, hoffen, hoffen und hoffen wir, dass die Dinge sich bewegen und Änderung möglich wird – durch die Herrlichkeit Gottes.

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(Mit freundlicher Genehmigung des Brunnen Verlags Gießen aus: Andrew White, Der Pfarrer von Bagdad, Gießen 2009)