Karin Baltruschat
Hoffnung ist
- „die Erwartung der göttlichen Wiederherstellung des Menschenlebens
- die Erwartung einer weltumfassenden Gotteshilfe
- die Klarheit über das Endziel der Geschichte
- die Erwartung der Wiederkunft Christi
- der zureichende Schutz gegen die schwersten Angriffe.“
So gliedert Ralf Luther in seinem neutestamentlichen Wörterbuch den Artikel „Hoffnung“.
Er spricht mich an, ich halte ihn für zutreffend und freue mich, dass es hier gelungen ist, eine geistliche Wahrheit knapp, umfassend und trotzdem klar auszudrücken. Aber kurz danach gehe ich zur Tagesordnung über, das Gelesene oder Gehörte wird vergessen, anderes wird wichtig. Ich hatte es nur mit dem Kopf verstanden; es ist nicht tiefer gesunken, hat sich nicht in mir eingewurzelt, mir keine konkreten Schritte eröffnet und damit hat dieses Wissen mich, bzw. mein Leben nicht verändert.
Gehen wir nicht oft so mit geistlichen Wahrheiten um, gerade dann, wenn wir schon länger im Glauben leben? Wie kann unser Erkennen tiefer werden, unser Herz berührt werden? Wie können wir erleuchtete Augen des Herzens bekommen, mit unserem ganzen Sein, unserer ganzen Person erkennen, zu welcher Hoffnung wir von ihm berufen sind (Eph 1,18)? Wenn das geschehen würde, müsste in uns etwas erfahrbar werden. Eine innere Gelassenheit, Frieden und Zuversicht müsste von uns ausgehen. Merken wir selbst oder Menschen, die uns gut kennen, etwas davon?
Wenn wir von Ralf Luthers Beschreibung der christlichen Hoffnung ausgehen, kann jeder selbst überprüfen, was in ihm lebt. Kommt es nicht immer wieder vor, dass
- – manche Menschen uns so aufregen, dass wir einfach nicht mit ihnen zurechtkommen,
- – wir mehr frustriert sind über manche Zustände unserer großen und kleinen Welt als hoffnungsvoll und dazu die Angst kommt, was noch alles passieren könnte,
- – die innere Gelassenheit darüber, dass Christus wiederkommen und alles richten wird, nicht im Vordergrund unseres Redens, Lebens und Denkens steht,
- – persönliche Tiefen und Krisen uns stark entmutigen?
Wir dürfen innere Dunkelheiten, die uns die Hoffnung trüben oder gar rauben wollen, immer wieder neu zu Gott bringen, der sie erleuchten will. Diese Dunkelheiten, die oft tiefer gründen, prägen jedoch unsere Beziehung zu anderen Menschen. Nicht das, was im Kopf vor sich geht, was wir denken und für richtig halten, berührt unsere Mitmenschen, sondern das, was in unserem Herzen lebt, was aus den tieferen Schichten unserer Persönlichkeit kommt. Hier kann man sich über sich selbst täuschen, denn Selbstwahrnehmung ist schwierig, die anderen merken da meist mehr als ich. Wohl dem, der Menschen an der Seite hat, die ihm ehrlich rückmelden, wie er wirkt.
Aber es wünscht sich doch jeder von uns, hier weiterzukommen, unsere und die Zukunft unserer Welt mit erleuchteten Augen des Herzens zu sehen, zuversichtlich, froh und geborgen auf Ihn zu schauen und zu warten, der alles zurecht bringen wird.
Der Weg vom Kopf ins Herz
Welche Schritte helfen dabei weiter, worin besteht ein gangbarer, praktischer Weg, auf dem etwas von dieser Haltung in und an uns sichtbar wird? Eine große Ermutigung ist, dass Jesus selber für uns gebetet hat. In Joh 17, dem Hohepriesterlichen Gebet, zeigt er seinen letzten Willen, sein Testament. Es geht ihm um das Geheimnis des Einswerdens. Ich bitte, … dass sie alle eins seien. Wie du Vater in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast (Vers 20 und 21). Jesus möchte, dass wir genauso eng mit ihm verbunden sind, wie er mit dem Vater ist. Dieses Einswerden hat er vorher auch im Bild vom Weinstock erklärt: Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht (Joh 15,5). Wie kann dieses Einswerden wachsen?
„Im Anschaun seines Bildes, da werden wir verwandelt in sein Bild“, heißt es in einem Lied, das den Weg andeutet. Das, was wir anschaun, womit wir uns hauptsächlich beschäftigen, das verwandelt uns, das prägt uns. Wo, wie oft oder wie lange lassen wir uns darauf ein, Gott anzuschaun in unserem Gebet? Wie lange halten wir bei ihm aus, über einem Wort, über einem biblischen Bild oder im stillen Da-Sein (Kontemplation)? „Nicht das Vielwissen sättigt die Seele, sondern das Verkosten der Dinge von innen her“, sagt ein Lehrer des Betens. Wie kann ich so verkosten, dass meine Seele gesättigt wird, dass die Hoffnung, zu der wir berufen sind, wirklich in meinem Herzen ankommt?
Ein eindrückliches Beispiel für dieses Verkosten, das verändernde Kraft hat, ist das Bild vom Vater im Gleichnis vom verlorenen Sohn. Kann ich mir diesen Vater vor meinem inneren Auge vorstellen, wie er Ausschau nach mir hält, wie er jeden Tag auf mich wartet, mich erwartet und wie er dann losläuft mit ausgebreiteten Armen, um mich an sein Herz zu drücken? Halten Sie ruhig mal inne, werden Sie still vor Gott und stellen Sie sich diese Situation vor, bis Sie das mit den Augen des Herzens sehen und im Glauben annehmen können! Dieser Vater verhält sich nicht nur mir gegenüber so, sondern er wartet auf jeden Menschen, ja auf die ganze Welt, um sie genauso aufzunehmen.
Wenn ich den Vater in dieser Weise mit dem Herzen erkenne, wachsen in mir Hoffnung und Vertrauen. Meine Dunkelheiten lösen sich bei Ihm auf, meine innere Härte, meine Hoffnungslosigkeit und ich kann Frieden finden bei ihm, in seiner Gegenwart. Dann kann auch Ralf Luthers Beschreibung christlicher Hoffnung in mir lebendiger werden.
Solch eine geistliche Übung ist natürlich kein schnelles Allheilmittel, sondern will erlernt, geübt und immer wieder vertieft werden. Menschen, deren Innerstes so bei Gott gestillt wird, verändern sich nach und nach. Sie wachsen immer mehr in die Haltung des Vaters hinein, in dessen Arme sie sich flüchten: aufgeschlossen, offen, der Welt die offenen Arme und damit ihr Herz hinhaltend, damit die Welt glaube (Joh 17,21).
So kann ein Weg aussehen, auf dem die Augen des Herzens erleuchtet werden: den Vater, Jesus anschauen, in mich aufnehmen, damit ich auch so werde wie er, auf den ich schaue.
Auch wenn ich weiß, dass wir erst in der Ewigkeit ihm wirklich gleich sein werden (1Joh 3,2), möchte ich doch schon jetzt, soweit es an mir liegt, wachsen in allen Stücken, zu dem hin, der das Haupt ist, Christus (Eph 4,15) und das deshalb zu einer Priorität in meinem Leben machen, ihn anzuschaun.