Art und Weise und Reichweite der Sendung Jesu sind menschlich unfassbar. Mit ihm kommt Gott in die gefallene Welt. Aber er kommt zunächst recht unscheinbar. Er lässt den Menschen alle Freiheit. Wer sich jedoch von Gott ergreifen und beschenken lässt, wird in dieselbe Sendung hineingenommen. Und die Reichweite der Sendung bleibt bestehen. Der folgende Artikel umschreibt und stellt uns vor Augen, was der Glaube vermag.

„Geheimnis des Glaubens: Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.“

So beten wir bei der Feier des Abendmahls, bei der Eucharistie, wenn die heiligen Worte über Brot und Wein gesprochen sind. Wir werden mit hineingenommen in das Geheimnis des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. Wir werden zutiefst mit hineingenommen in das Geheimnis der Sendung Jesu, in die Erlösung der ganzen Welt.

„Und ich, wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen“ (Joh 12,32). Dreifach wird Jesus erhöht: bei seiner Kreuzigung, bei seiner Auferstehung und bei der Himmelfahrt. In der Kunst der Orthodoxie wird dieses „Ziehen“ des Herrn sehr anschaulich und konkret in der Darstellung der Auferstehung Jesu.

Der Auferstandene zieht Adam und Eva – und mit ihnen die ganze Menschheit – aus dem Grab, aus dem Machtbereich von Sünde, Tod und Teufel. Der Tod liegt gebunden zu seinen Füßen. Jesus steht auf den Türflügeln der Pforte zum Reich des Todes. Und er ruft uns zu, wie er es dem Seher Johannes zuspricht: „Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle“ (Offb 1,17-18).

Jesus will alle zu sich ziehen.

„Gott, der Vater, hat uns errettet aus der Macht der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich seines geliebten Sohnes, in dem wir die Erlösung haben, nämlich die Vergebung der Sünden“.

(Kol 1,13-14)

Im Glauben sind wir versetzt in das Reich Jesu, in das Reich Gottes. Wir sind angekommen im Vaterhaus. Wir sind Heimgekehrte. Darin erfüllt sich die Sendung Jesu: dass er alle heim zum Vater bringt, heim zum Vater „zieht“, der in seiner großen Liebe auf seine Menschenkinder wartet. „Es ist vollbracht“ (Joh 19,30).

So erfüllt sich auch die Verheißung des Propheten Jeremia über dem Volk Israel: „Ich habe dich, Israel, je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte“ (Jer 31,3).

Die Erlösung ist vollbracht. Dass sie bei uns Menschen ankommt, dass wir uns „ziehen“ lassen vom Sohn, dass alle heimkehren ins Vaterhaus – das steht noch aus. Für diesen Christus-Dienst sendet Jesus seine Jünger, seine Gemeinde, seine Kirche.

„Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, da die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch! … Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den Heiligen Geist“ (Joh 20,19-22).

Zwischen dem österlichen Friedensgruß „Friede sei mit euch!“ an die verängstigten Jünger und dem „Nehmt hin den heiligen Geist!“ liegt die Sendung Jesu an seine Jünger: „Gleichwie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“

Genau in diesem Zwischenraum, zwischen Furcht und Nichtkönnen, dem Angewiesensein auf die Gabe des Geistes Gottes, geschieht es: Jesus nimmt die Jünger hinein in seine Sendung.

Wie hat ihn der Vater gesandt? Die Sendung Jesu beginnt im Himmel. Er verlässt die Herrlichkeit des Vaters. Seine Gesinnung, seine Haltung ist gekennzeichnet von Armut. „Ihr wisst ja, woran sich die Gnade von Jesus Christus, unserem Herrn, gezeigt hat: Er, der reich war, wurde arm, damit ihr durch seine Armut reich werdet“ (2Kor 8,9).

In seinem Christushymnus beschreibt Paulus diese Gesinnung Christi: „Das ist die Haltung, die Jesus Christus uns vorgelebt hat: Er, der Gott in allem gleich war und auf einer Stufe mit ihm stand, nutzte seine Macht nicht zu seinem eigenen Vorteil aus. Im Gegenteil: Er verzichtete auf alle seine Vorrechte und stellte sich auf dieselbe Stufe wie ein Diener. Er wurde einer von uns, ein Mensch wie andere Menschen. Aber er erniedrigte sich noch mehr: Im Gehorsam gegenüber Gott nahm er sogar den Tod auf sich; er starb am Kreuz wie ein Verbrecher. Deshalb hat Gott ihn auch so unvergleichlich hoch erhöht …“ (Phil 2,5-9).

Er verzichtete auf alle seine Vorrechte und stellte sich auf dieselbe Stufe wie ein Diener. Er wurde einer von uns, ein Mensch wie andere Menschen.

Diese Christusgesinnung will er in uns, seinen Gesendeten, immer tiefer einprägen und Gestalt werden lassen – durch den Heiligen Geist.

Die ersten Apostel hat er auf diesen Lernweg mitgenommen – in großer Geduld. Die Bergpredigt gibt uns Zeugnis davon. „Als Jesus die Menschenmenge sah, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich, seine Jünger versammelten sich um ihn, und er begann, sie zu lehren“ (Mt 5,1).

Die Menschen voll im Blick – die Menschen aller Zeiten, aller Völker und Länder, seine Jünger um ihn, ihren Herrn geschart – gibt Jesus tiefen Einblick in seine Sendung, in das Geheimnis seines Lebens. Er nimmt sie mit in seine Sendung, auch wenn sie noch kaum oder gar nicht verstehen. Auch so lebt er „Armut“: Er erträgt seine Jünger in ihrer Begrenztheit. Er wirkt kein „Verstehenswunder“. Er nimmt sie mit auf den Weg, Er vertraut darauf, dass der Vater es ihnen beizeiten offenbaren wird.

Und womit beginnt Jesus? Er beginnt mit den Seligpreisungen. „Selig sind die geistlich Armen, denn ihnen gehört das Himmelreich“ (Mt 5,3).

Mit der ersten Seligpreisung gibt Jesus den Grunddreiklang seines Lebens und damit seiner Sendung an: Armut – Geist – Himmelreich. Das klingt zutiefst trinitarisch. Er, der Sohn, lebt in Armut ganz aus dem Geist für das Himmelreich des Vaters.

Romano Guardini hat in treffender Weise benannt, was hier geschieht:

„Und nun steht Einer da und sagt: ‚Ich künde euch eine Wahrheit, von der her die Armut zur Seligkeit wird.‘ Die Seligpreisungen sind keine Grundsätze, sondern Einbruchstellen einer anderen Gesinnung in diese unsere verhärtete und verschlossene Welt. Sie sind Feuerzeichen einer nahenden, höheren Wirklichkeit.

Die Liebe schafft etwas in die Welt hinein, das noch nicht darin war.

Liebe ist die Aufrichtung einer aus dem Herzen Gottes stammenden Werteordnung, die zu dieser Welt, so wie sie jetzt ist, im Widerspruch steht.“ 1

Damit diese Gesinnung Jesu in uns, seinen Nachfolgern, Platz greifen kann, braucht es die immer neue Bitte um den Geist, der uns in alle Wahrheit leitet, auch in die Wahrheit über unser frommes, stolzes und selbstgerechtes Herz, das nicht wirklich arm sein will. Die geistlich Armen sind nämlich die, welche hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit Gottes. Selbstgerechte sind satte Menschen.

Je offener wir sind, desto mehr kann der Geist kommen. Wir sollen als Einzelne und als Kirche geradezu selbst Bitte sein, d. h. Armut, Ohnmacht, Demut, Empfänglichkeit und Bereitschaft zur Annahme. Wir sollen mit unserem ganzen Sein zu Bittenden werden: „Komm herab, o Heiliger Geist! Komm, der alle Armen liebt!“2

Geheimnis des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe: miteinander hineingenommen in die Sendung Jesu als sein Leib.

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