Haben Männer mehr Probleme, die Liebe des Vaters anzunehmen? Der Autor dieses Artikels, ein junger Theologe, der körperlich behindert ist, geht auf diese Frage ein. Dabei macht er eine Entdeckung zur Art und Weise der Liebe des Vaters, die auch Frauen staunen lassen kann. Leuchtet die unter uns Christen auf?

„Ich hab‘ dich lieb!“ Diesen Satz haben wahrscheinlich nicht sehr viele Männer der letzten und vorletzten Generation von ihren Vätern gehört. Als Angehöriger der Generation Y 1 habe ich dagegen das Glück, dass ich in einer Zeit aufgewachsen bin, in der das Aussprechen von Gefühlen durch Männer normalisiert wurde und wird. Ich persönlich bin ein eher sensibler und aufmerksamer Charakter, weshalb ich mit den Liebesbekundungen Gottes in der Bibel weniger Schwierigkeiten habe. Jedoch habe ich in meiner Studienzeit in Seminaren, aber auch in Gemeinden und christlichen Kontexten

Ich habe immer wieder Aussagen von Männern gehört, die mit dem Begriff des liebenden Gottes ein Problem haben.

Der Großteil von Personen mit diesem Problem war jedoch nach meinem Eindruck nicht durch fehlende Vaterliebe im Sinne der Versorgung und Annahme auf diese Problematik gestoßen, sondern durch eine stark romantisierte Vorstellung von einer liebenden Beziehung. Auch mir fällt es schwer zu sagen „Ich liebe meinen besten Freund“, da wir durch Medien und gesellschaftliche Vorstellungen eine Beziehung sehr schnell und einfach als Liebesbeziehung mit allen drei klassischen Konzepten von Liebe (phileo, agape und eros) denken. Aus Angst davor, falsch verstanden zu werden, verzichten wir auf die Verwendung von Begriffen wie „Liebe“ oder „Zuneigung“ und ersetzen sie mit Begriffen wie „Stolz“ oder „Anerkennung“. Nun sehe ich als protestantisch ausgebildeter Theologe Begriffe wie „Stolz“ im Bezug auf die Beschreibung der Beziehung zwischen Mensch und Gott kritisch. Aus dem Grundsatz der Reformatoren, sola gratia, scheint es für mich unangebracht und schief, das „Ich liebe dich“ Gottes mit „Ich bin stolz auf dich“ oder „Du hast das gut gemacht“ zu ersetzen.

Vor einiger Zeit schenkte mir Gott durch eine Predigt über den verlorenen Sohn ein neues und passenderes Bild. Der Vater wartet auf die Rückkehr des Sohnes, er hält sich bereit, und als er ihn erblickt, tut er etwas in der damaligen Zeit Unmögliches: Er rennt seinem Sohn entgegen. Rennen galt damals als unzüchtig, da durch die Bewegung nackte Haut entblößt wurde. Dieser Liebesbeweis Gottes ist für mich so revolutionär und entscheidend anders, dass ich nun, wenn ich von der Liebe lese, höre oder mich nach ihr sehne, immer an den rennenden Gott denken muss, der für mich die Scham auf sich nimmt. Diese Scham hat auch sein Sohn auf sich genommen, und Paulus spricht in diesem Zusammenhang im 15. Kapitel des Römerbriefes von Annahme und Wertschätzung. Diese Annahme ist und soll für uns Christen vorbildhaft sein. Im Kontext der Gemeinde ist also für Paulus eine Atmosphäre der Annahme die Entsprechung dieser väterlichen und im Kreuz Christi vorgelebten Liebe Gottes.

Interessanterweise nutzt auch Paulus das Beispiel des aufeinander Wartens als Ausdruck von christlicher Liebe, wenn er den Korinthern über das Wesen des Abendmahls berichtet.

Im aufeinander Warten können wir die Liebe und Annahme Gottes praktizieren, die der Vater im Himmel uns vorlebt und zeigt.

Jene Annahme muss also nicht unbedingt als Liebe im Sinne von Zuwendung und Romantik verstanden werden, in meinem konkreten Fall kann sich diese Liebe dadurch ausdrücken, dass ich trotz einer Behinderung am Gottesdienst teilnehmen und ihn mitgestalten kann, auch wenn durch meine verlangsamte Sprache die Liturgie länger wird und ein echtes, tatsächliches Warten erfordert.



Autor

Samuel Groß
Samuel Groß

Gießen

M.A. in Theologie, Beauftragter für die Belange von Menschen mit Behinderung der Universitätsstadt Gießen, wissenschaftlicher Assistent beim Institut für evangelische Missiologie und dem 2018 gegründeten Netzwerk für Disability Studies und interkulturelle Theologie in Gießen.

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