Zwischen Hoffnung und Sorge: 

Einige Anmerkungen zur Fokolar-Bewegung heute

Was bedeutet es für eine große geistliche Bewegung wie die der Fokolare, getrost und voller Vertrauen in die Zukunft zu gehen? Der Blick auf den Ursprungsimpuls der Bewegung ist dazu wesentlich. Zugleich gilt es, das Kommende, das oft auch so anders aussieht, zu begreifen, sich dem zu stellen. Was braucht es, um neu zum prophetischen Zeichen und Zeugnis der Gegenwart Gottes in den Umbrüchen unserer Zeit zu werden? Diese anregenden Gedanken mögen vielen Gemeinschaften wie auch der Kirche zur Hilfe werden.

„Schwestern und Brüder! Alle, die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Söhne/Töchter Gottes.

Denn ihr habt nicht einen Geist empfangen, der euch zu Sklaven macht, so dass ihr euch immer noch fürchten müsstet, sondern ihr habt den Geist empfangen, der euch zu Söhnen/Töchtern macht, den Geist, in dem wir rufen: Abba, Vater!

Sind wir aber Kinder, dann auch Erben; wir sind Erben Gottes und sind Miterben Christi, wenn wir mit ihm leiden, um mit ihm auch verherrlicht zu werden.“

An dieser markanten Schriftstelle (Röm 8,14-17) lässt sich die gegenwärtige Herausforderung für die Fokolar-Bewegung (sowie viele geistliche Gemeinschaften unserer Zeit) verdeutlichen: Die pfingstlich gebotene Unterscheidung der Geister wird hier immer wieder neu zur Frage der Rückbesinnung auf die ursprüngliche Geist-Gabe, die Kernerfahrung des eigenen Charismas.

So kann man die Worte des Apostels auch als Aufforderung zu einer „schöpferischen“ Treue lesen. Der französische Theologe Yves Congar spricht gar von einer

Treue zur Zukunft“. Um diese Treue, genauer dieses Vertrauen allein geht es – angesichts vielfacher, begründeter wie irrational geschürter Ängste unserer Zeit. 

(Covid-19, Klimawandel, Erosion der Kirchen und fundamentaler Wertebindungen, zunehmend polarisierende Lesarten einer Identitätspolitik). Sie begreift das Kommende nicht als „futurum“, sondern als „adventus“: Zukunft bedeutet hier also Ankunft, Entbergung des Eigenen in der Ankunft des Anderen. Die Gesichtslosigkeit des Unbekannten lichtet sich zur Anmutung des „Antlitzes“, auf dem, so der jüdische Philosoph Emmanuel Lévinas, das Geheimnis Gottes offenbar wird – in der konkreten Gestalt des jeweils Anderen.

Was hier hochtheologisch klingt, ist in einer weltweit agierenden geistlichen Gemeinschaft wie der meinigen von dramatischer Aktualität. Derzeit ringen wir nämlich – wie jüngst bei der „Generalversammlung“, dem höchsten Organ synodaler Entscheidungsfindung in der Fokolar-Bewegung – um den ursprünglichen Geist unseres Werkes, dem sich jede weiterführende Entwicklung verdankt.

Und diese elementare Geist-Erfahrung geht – im Kontext der Geschichte unseres Werkes – auf den 16.07.1949 zurück, als Chiara Lubich – durch ein in Christus besiegeltes „Bündnis“ mit dem ersten verheirateten Angehörigen der Gemeinschaft, Igino Giordani – eben diesen „Geist der Kindschaft“ empfing: den Geist, aus dem unser Werk seine innere wie äußere Einheit und Grundinspiration bezieht, den Geist, „in dem wir“ – fortan – „rufen: Abba, Vater!“ Dieser Geist will sich auch heute wieder an uns bezeugen, die wir einander – im weltumspannenden Innenraum der „Fokolar-Bewegung“ – in denkbar großer Verschiedenheit erleben: wie nie zuvor gerade auch in fundamentalen ethischen wie moralischen, kirchlichen wie gesellschaftlichen, politischen wie kulturellen Fragen.

Meine Sorge: Die Versuchung dieser Zeit besteht vielleicht darin, diese – zuweilen bedrängenden – Differenzen durch eine Vielzahl diakonischer Projekte, die alle Unterschiede in einem konkreten Anliegen aufgehen lässt, einfach zu überspielen, kurz: dem nachzugeben, was ich für den trügerischen Ansatz einer rein „pragmatischen Spiritualität“ halte.

Die Verheißung dieser Zeit besteht nun aber wohl darin, gemeinsam jenes „Bündnis“ in Christus zu erneuern, mit dem Chiara und Igino Giordanidamals in eine zuvor ungekannte, hier von Paulus namhaft gemachte Dynamik, den „Raum“ einer Geisterfahrung eingetreten sind und so die Grundlagen für jegliche Entwicklung im Werk gelegt haben.

Die pfingstlich gebotene Unterscheidung der Geister wird hier immer wieder neu zur Frage der Rückbesinnung auf die ursprüngliche Geist-Gabe, die Kernerfahrung des eigenen Charismas.

Meine Hoffnung: Vielleicht sind wir alle dabei, tiefer zu verstehen, was es bedeutet, mit „Jesus in der Mitte“ (Mt 18,20), aus dem „Wunder der Wunde“ des nachösterlichen Herrn zu leben, der uns verbindet (Eph 2,14-18): So könnten wir uns neu als Söhne und Töchter Gottes und also geschwisterliche Solidargemeinschaft in Christus erkennen; so könnten wir neu ausreifen in wachsender Vielstimmigkeit zum wieder wirkmächtigen, prophetischen Zeichen und Zeugnis der Gegenwart Gottes, seiner trinitarischen Lebens- und Liebesgemeinschaft – mitten in den rasanten Umbrüchen dieser Welt.


Autor

Herbert Lauenroth
Herbert Lauenroth

Fokolar-Bewegung

Er lebt im ökumenischen Lebenszentrum in Ottmaring und ist Bildungsreferent. Er ist außerdem Mitglied im internationalen Trägerkreis für die Treffen des „Miteinander für Europa“, einem Engagement von kirchlichen Bewegungen und Kommunitäten aller Konfessionen zum Einsatz für ein menschliches Europa.

  • Fokolarbewegung

    Die Fokolarbewegung (das „Werk Mariens“, so der kirchenrechtliche Name) ist eine 1943 von der damals 23-jährigen Chiara Lubich in Trient

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