Nicht nur die alten Worte aus dem Prophetenbuch Jesaja sprechen in unsere Zeit und unser Thema hinein. Auch die jüdische Legende aus dem Mittelalter über Golem ist aktuell vielsagend. Auch in anderen Völkern werden solche Geschichten erzählt. Wie ist das mit dem Traum von einer neuen Menschheit oder dem neuen Menschen, durch den endlich auf unserer Erde himmlische Zustände möglich werden? Letztlich sind wir mit der Frage konfrontiert, wer eigentlich im Regiment sitzt? Ist es der von der Sünde gezeichnete gefallene Mensch oder ist es Gott, der mit Jesus Christus die Neuschöpfung begonnen hat und aus Liebe zur ganzen Schöpfung zur Vollendung bringen will? Die Antwort der Bibel und unseres Glaubens hat entsprechende praktische Konsequenzen.

Wenn jemand davon spricht, dass der Bock zum Gärtner gemacht wird oder der Schwanz mit dem Hund wedelt, dann ist klar, dass etwas gewaltig schiefläuft beziehungsweise sich umgekehrt hat. Irgendetwas passt ganz und gar nicht und sollte schnellstens wieder in Ordnung gebracht werden.

So muss es dem Propheten Jesaja gegangen sein. Mit Blick auf den Glauben war im alten Israel einiges auf die falsche Spur geraten, und das hatte Jesaja dazu bewogen, den Finger in die Wunde zu legen:

„Wie kehrt ihr alles um!“, sagt Jesaja. „Als ob der Ton dem Töpfer gleich wäre, dass das Werk spräche von seinem Meister: Er hat mich nicht gemacht! und ein Bildwerk spräche von seinem Bildner: Er versteht nichts!“(Jes 29,16)

Das Tongefäß nimmt sich wichtiger als den Töpfer, der es geformt hat, und das Gemälde weiß besser, was es ausdrücken soll, als der Maler, der es geschaffen hat. Da kann man doch nur den Kopf schütteln, findet Jesaja.

Auf dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen und Visionen von einer neuen, besseren Welt, in der Maschinen mit Menschen verschmolzen werden und eine überlegene Form der Intelligenz – künstlich – Probleme lösen soll, erlangt dieses alte Prophetenwort eine erschreckende Aktualität.

Während es noch für den Propheten Jeremia selbstverständlich war, dass der Mensch Ton in der Hand des Töpfers ist und Gott in der Geschichte mächtig wirkt, hatten sich die Dinge zu Zeiten Jesajas bereits weiter verkehrt und zugespitzt.

Nicht mehr Gott und seine Herrschaft waren maßgebend. Nein, der König und der Klerus wussten besser, was für die Geschicke und die Zukunft des Landes gut sein sollte. Rat wurde bei „professionellen“ Propheten eingeholt, die das, was der Auftraggeber hören wollte, sagten.

Diese Umkehrung von Hören und Herrschaft, von Vertrauen und Abhängigkeit ist der Menschheit seit dem Sündenfall ins Stammbuch geschrieben:

„… an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist“ .

Damals erlagen Eva und Adam der Verlockung und der Versuchung. Und immer wieder ist es dieser Sog weg von Gott, hin zum Faszinosum der jeweiligen Zeit und seiner Heilsversprechen, der die Menschheit in Versuchung führt.

Und heute? Ist das Rad nicht noch weitergedreht worden? Die neue Versuchung lautet doch: Ihr werdet besser sein, ihr werdet es besser machen als Gott. Der optimierte Mensch wird ein zufriedeneres Leben führen, mit weniger Beschwerden und höherer Lebensqualität. Was die Natur, was Gott „falsch“ beziehungsweise unzureichend gemacht hat, wird der Mensch nun korrigieren und zum Besseren wenden. Lahme werden mittels eines ins Gehirn implantierten Chips gehen und Blinde sehen! Ein 17-Jähriger wurde kürzlich für die Entwicklung eines Geräts ausgezeichnet, das es Blinden mittels KI ermöglichen soll, wieder zu sehen.

Wer braucht da noch Gott, wenn alles möglich und – im Dienste und zum Wohle der Menschen – erlaubt sein wird? Solche bangen Fragen sind uralt.

Das Judentum zum Beispiel kennt eine mythische Figur, den Golem. Im 12. Jahrhundert erlagen fromme Juden der Faszination eines dienstbaren „Geistes“, der als Schabbesgoi wertvolle und sinnvolle Dienste leisten sollte. Dieser Golem ist ein aus unbelebter, formloser Masse wie Staub oder Erde geformtes Wesen, das durch rituelle Beschwörung und hebräische Buchstabenkombinationen zum Leben erweckt wird. Geschaffen von einem menschlichen Schöpfer wird der Golem zum Helfer, zum Gefährten oder zum Retter einer jüdischen Gemeinde in Gefahr. In vielen Golem-Erzählungen gerät das Geschöpf jedoch außer Kontrolle, und der Golem selbst wird zur Bedrohung für den Menschen, der ihn geschaffen hat.

Die bekannteste Version der Golem-Legende spielt in Prag und handelt vom gelehrten Rabbi Judah Löw. Erste praktische Anleitungen zur Schöpfung eines Golem finden sich bereits in mittelalterlichen Kommentaren zum Sefer Jetzira(Buch der Schöpfung). Ursprünglich diente die Schöpfung eines Golem jüdischen Mystikern im Mittelalter als Versuch, sich Gott anzunähern. Im Zentrum der Golem-Legende steht der menschliche Traum, selbst zum Schöpfer zu werden, Leben zu schaffen. Doch fast immer, so zeigt es die Geschichte, wird aus dem Traum ein Albtraum.

Damit es zu keinem Missverständnis kommt: Der Bibel ist eine Neuschöpfung des Menschen nicht fremd, ganz im Gegenteil! Bei Paulus lesen wir: 

„Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden“ .

Laut biblischem Zeugnis ist der von Gott erlöste Mensch, aus dem eine neue Kreatur geworden ist, zu einem Leben in Verbindung mit dem dreieinigen Gott geschaffen. Und diese Neuschöpfung, im Sinne der Bibel, ist einerseits ein einmaliger Akt, in dem alles neu geworden ist. Andererseits bleibt die Herausforderung bestehen, im Sinne eines Heranreifens zum vollen Mannesalter in Christus, durch die Kraft des Heiligen Geistes immer mehr zu wahren Jesus-Menschen zu werden (Eph 4,13). Und auch die Erfahrung des Scheiterns und das Annehmen von Unvollkommenheit darf in einem Prozess des Reifens in einer mündigen Christusnachfolge angenommen und integriert werden.

Als solche neue, erlöste Menschen dürfen wir uns meines Erachtens auch in Verantwortung vor Gott auf dem Gebiet von KI betätigen und die Dinge zum Segen anwenden.

Auch dass einige wenige vielleicht sogar in erster Reihe an der Entwicklung solcher Vorgänge mitwirken, soll nicht generell ausgeschlossen werden. Es gehört vielmehr zum Schöpfungsauftrag dazu, zu bebauen und kreativ an der ganzen Schöpfung Gottes mitzuwirken.

Die Frage lautet vielmehr: Wohin driftet eine Menschheit, die Gott vergessen hat bzw. ihn verleugnet? Und wie gehen wir, sehenden Auges, mit solchen Entwicklungen um?

Der Prophet Jesaja ruft zu Gott zurück. Er predigt Buße und zeigt in wunderbaren Bildern eine Zeit auf, in der Gott sein Volk wieder heimsucht und schließlich ins verheißene Land zurückführen wird.

Nachdem Gott sein Volk der Verblendung dahingegeben hatte (Jes 29,9), leuchtet im selben Kapitel eine große Verheißung auf: 

„An jenem Tag werden die Tauben die Worte des Buches hören, und aus Dunkel und Finsternis hervor werden die Augen der Blinden sehen“ .

Und Jesaja beendet das Kapitel mit den Worten:

„Denn wenn sie sehen werden die Werke meiner Hände –ihre Kinder – in ihrer Mitte, werden sie meinen Namen heiligen; und sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten. Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen, und die, welche murren, werden sich belehren lassen“ .

Alles billiger Trost? Nein, Hoffnung auf die Herrlichkeit. Hoffnung auf Vollendung! Gewissheit, dass er im Regiment sitzt und schließlich und letztlich die Dinge nach seinem Rat leiten wird.

Als solche Ewigkeitsmenschen, die den Blick immer wieder vom Zeitlichen auf das Zukünftige lenken, sind wir voller und guter Hoffnung, wenn wir an den kommenden Tag denken.

Und dort, wo die Menschheit mit Blindheit geschlagen und auf Abwege geraten ist, dürfen wir als Menschen im Sinne des Ökumenischer Christusdienst stellvertretend zur Buße rufen, vor den Thron Gottes treten und ihm die Menschen und Situationen hinhalten.

Maran atha – unser Herr kommt!


Autor

Matthias Delle
Matthias Delle, Friedberg

– Vereinigung vom gemeinsamen Leben –

  • Vereinigung vom gemeinsamen Leben im Ökumenischen Christusdienst

    Die Vereinigung vom gemeinsamen Leben im Ökumenischen Christusdienst ….

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