In meinem beruflichen Umfeld habe ich immer wieder mit Menschen muslimischen Glaubens zu tun, und ich habe die Erfahrung gemacht, dass es mit ihnen besonders einfach ist, über religiöse Themen zu sprechen. In einem dieser Gespräche sagte ein Mann zu mir: „Sowohl im Koran als auch in der Bibel steht, dass es nur einen Gott gibt. Die Christen glauben aber an drei! Wie kriegen Sie das ernsthaft zusammen?“ Die Antwort fiel mir nicht leicht, und das liegt sicher auch daran, dass das Wesen der Dreifaltigkeit ja nicht leicht zu greifen, sondern ein Geheimnis ist, dem man sich nur annähern kann.

Spätestens seit ich in der Jesus-Bruderschaft lebe, ist mir die Dreifaltigkeitsikone sehr wertvoll geworden, und ich möchte versuchen, ein paar Dinge zu formulieren, die mir durch sie lebendig geworden sind. 

Einheit heißt nicht Einheitlichkeit

Die Dreifaltigkeitsikone 1 drückt sehr schön aus, dass Gott in sich schon Gemeinschaft ist. In einem der Texte, die unsere Spiritualität prägen, heißt es: „Der dreieinige und dreifaltige Gott ist das Urbild von Gemeinschaft. Er ist die Einheit in der Vielfalt und die Vielfalt in der Einheit. … Unsere Einheit, die wir in der Jesus-Bruderschaft anstreben, darf in keinem Fall unsere Unterschiede verwischen, einebnen oder zum Verschwinden bringen. … Umgekehrt darf die Verschiedenheit nicht so groß werden, dass sie unsere Zusammengehörigkeit zerreißt.“

Im Gemeinschaftsleben ist es gut, sich immer wieder an diese Wahrheit zu erinnern. Wir haben manchmal heftige Meinungsverschiedenheiten, gerade auch in Angelegenheiten unserer Glaubensüberzeugungen, da wir ja zu ganz unterschiedlichen Konfessionen gehören. Zwei Worte sind mir dabei wichtig geworden: „Dem Anderen den Glauben glauben“, und: „Dem Anderen den Heiligen Geist zutrauen“. Die Ikone kann uns immer wieder die Augen dafür öffnen, dass schon in Gott selbst die Einheit in der Vielfalt und die Vielfalt in der Einheit angelegt ist.

Gemeinschaft schafft Raum

Die drei Personen der Ikone sind nicht einfach nebeneinander abgebildet, sondern sie sitzen an einem Tisch. So entsteht automatisch eine Dreidimensionalität, die Raum öffnet. In der Art, wie sie am Tisch sitzen, spürt man, dass sie aufeinander bezogen sind; gleichzeitig bilden sie kein in sich abgeschlossenes System. Der Raum, den sie bilden, ist zum Betrachter hin offen: Ich darf mich eingeladen fühlen in diesen Raum der Begegnung.

Das ist mir auch für das Leben in Gemeinschaft wichtig geworden. Auch wir bilden einfach dadurch, dass wir zusammenleben, einen Raum, in dem Begegnung geschehen kann: Begegnung mit Gott, miteinander, mit uns selbst, mit der Schöpfung.

Mein Platz

Schließlich möchte noch von einem kleinen Detail der Ikone erzählen, das mir ganz persönlich wichtig geworden ist. Als ich einmal während einer Stille-Woche mit dieser Ikone meditierte, fragte ich meinen geistlichen Begleiter: „Was hat es eigentlich mit diesem leeren Fach in der Vorderseite des Tisches auf sich?“ Er antwortete mit einer Gegenfrage: „Könnte es sein, dass dort Platz ist für die Dinge, die Du gerade mitbringst, wenn Du in die Ikone eintrittst?“ Keine Ahnung, ob diese Deutung theologisch oder auch kunstgeschichtlich irgendwie haltbar ist. Mir ist sie wichtig geworden: Ich bin eingeladen, mich hineinnehmen zu lassen in diesen Raum der Gemeinschaft in Gott. Und alles, was mich gerade beschäftigt und was ich gerade mitbringe, ist dort aufgehoben. Es gibt sogar ein extra Fach dafür! 


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