In unserer – trotz Corona – schnelllebigen Zeit tut es gut, einmal in übertragenem Sinn mehrere Schritte zurückzutreten, um den größeren Horizont der Geschichte Gottes in den Blick zu nehmen. Frieder Rebafka tut das hier. Mit dem Blick auf die unterschiedliche Qualität von Menschenzeit und Gotteszeit schlägt er den großen Bogen von der Schöpfung bis zur Vollendung aller Zeit, der endgültigen Aufrichtung des ewigen Königreichs der Himmel. So verhilft er uns zum Staunen über den roten Heilsfaden der Geschichte Gottes, der in der Botschaft der Auferstehung als einzigartiger Hoffnung für die Zukunft unumstößlich festgebunden ist.
Im Blick auf die Schöpfung Gottes besitzt allein der Mensch ein bewusstes Verhältnis zur Zeit. Er weiß um Vergangenheit und Zukunft und um seine begrenzte Lebenszeit, die ihm Gott einräumt. So ist die Menschenzeit eine vergängliche Zeit in diesem Äon, eingegrenzt durch Werden und Vergehen. Die Gotteszeitjedoch besteht dauerhaft, als immerwährende, sich nicht verändernde Zeit Gottes: „Gelobt sei der Herr, der Gott Israels, von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (1Chr 16,36).
A. Die Menschenzeit
1. Die Berufung und Beauftragung des Menschen durch Gott
Der Beginn der Zeit für uns Menschen ist im Schöpfungsbericht ersichtlich: „Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei“ (1Mos 1,26). Zugleich ist der Mensch beauftragt: „Füllet die Erde und machet euch die Erde untertan“ (1Mos 1,29). Somit steht er in der Verantwortung, in einem Prozess des Werdens, Entwickelns und Reifens an der von Gott geschaffenen Welt mitzuwirken. Das übersteigt jedoch sein Erdenleben. Zur umfassenden Bestimmung und Berufung gehört die Lebens- und Liebesgemeinschaft mit und im dreieinigen Gott.
2. Die Gestaltung des menschlichen Lebensraums
Diese Ausrichtung ging dem Menschen durch den Sündenfall verloren. Die Gemeinschaft von Gott und Mensch zerbrach. Gott aber ließ die Menschheit nicht los.
Im Geist der Autonomie will der Mensch alles möglichst aus eigener Kraft immer besser in den Griff bekommen. Besonders durch Wissenschaft und Technik sucht er eine „bessere Welt“ zu verwirklichen.
Da ist für den lebendigen Gott und Jesu Erlösungstat kaum mehr Raum.
Eine veränderte Ethik und Moral haben sich entwickelt. Der Verlust des christlichen Menschenbildes verändert z. B. den Umgang mit den Grenzen und der eigentlichen Unverfügbarkeit des Lebens. Themen wie Abtreibung, aktive Sterbehilfe und die Bewertung von Embryonenforschung verdeutlichen das. Durch Globalisierung und Digitalisierung beschleunigen sich solche Veränderungen enorm. In der Folge kommt es zu gesellschaftlichen Umbrüchen, die zunehmend Bisheriges erschüttern und den Zusammenhalt gefährden.
3. Der Glaube – die Kirche
Der Abbruch des Glaubens, die zunehmende Gottvergessenheit lassen die Bedeutung und Autorität des Wortes Gottes verblassen. Ein immer mehr am subjektiven Glaubensgeschmack orientiertes Gemeinde- und Kirchenleben gefährdet den gemeinsamen Glauben für die folgenden Generationen. Die objektive Annahme der Heilszusagen Gottes durch sein Wort, seinen Geist, durch die Sakramente findet immer weniger Beachtung. Die geheimnisvolle Feier der umfassenden Präsenz Gottes im gottesdienstlichen Geschehen verliert an Bedeutung. Was die Beteiligten „von innen“ her als Glieder des Leibes Christi zur Einheit und Sendung zusammenführen möchte, ist zunehmend gefährdet.
Die Epoche der Kirche ist die Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Kommen Jesu. Um die heutige Gestalt der Kirche verstehen zu können, muss sie als ein Ganzes, durch die Zeiten hindurch Gewordenes betrachtet werden. Ihr Grundthema bleibt, die Einheit mit Gott und miteinander als die Verleiblichung der Liebe Gottes zu bewahren. Dazu gehört auch ihr fortwährender Buß- und Versöhnungsdienst. Geht ihr momentan der Glaube aus? Dennoch bleibt sie gemäß der Verheißung Gottes der Ort des Heils, das von ihr aus an die Welt weitergegeben werden soll. Es gilt, die Kirche, die Gemeinde durch Liebe, Annahme und Buße aufzunehmen, in welcher konkreten geschichtlichen Gestalt auch immer sie sich zeigt. Sie wird letztlich die ganze Christusgestalt entwickeln (Eph 4,13). Die glaubwürdige Verkündigung des Evangeliums in die Fragen der jeweiligen Zeit hinein wird ihr in dem Maß geschenkt, in dem sich in ihr Erneuerung aus der Kraft Gottes ereignet. Trotz aller Nöte und Verfolgungen ereignet sich das Wachstum seiner einen Gemeinde und Kirche als Gegenbewegung zum antichristlichen Zeitgeist in der Welt.
4. Das Weizenkorn Gottes zur Rettung der Welt – Jesus Christus
Aus Liebe und Fürsorge für die Menschen sandte Gott seinen Sohn Jesus Christus. Darin liegt Hoffnung für alle und alles (Joh 3,16). Jesus vereint in sich als Gott und Mensch zugleich Gotteszeit und Menschenzeit. Sein Kommen und Lebensopfer haben tatsächlich etwas wesentlich Neues in der Menschheitsgeschichte hervorgebracht.
Erlösung und Versöhnung von Menschheit und Kosmos mit Gott durch Kreuz und Auferstehung sind in die Welt gekommen.
Deshalb ist der Blick auf den Welterlöser auch in unserer schwierigen Zeit entscheidend.
B. Die Gotteszeit
Die Gottesherrschaft ist bereits angebrochen durch das Reich Gottes, das Jesus verkündet hat. Die „Gotteszeit“ ist die besondere Heilszeit Gottes. In diesem letzten von Gott bestimmten Zeitalter wird das Leben auf der Erde in der Heimkehr von Mensch und Kosmos zu Gott geordnet. Die letzten Geheimnisse über Schöpfung, Menschheit und Gott werden enthüllt. Es ist die Zeit der Vollendung der Geschichte, in der zuletzt Gott alles in allem sein wird (1Kor 15,28). Menschenzeit und Gotteszeit laufen ineinander. Ihre Qualität erhalten sie aus dem Leben und der Liebe Gottes. Alles weist hierbei auf das Zentrum hin, den unerschütterlichen Thron Gottes.
1. Von der Wirksamkeit der Wiederkunft, der Auferstehung, des Gerichts
Beim Ziel der Gottesherrschaft geht es nicht um den „Glauben an eine bessere Welt“, sondern um ihre wirkliche Erneuerung. Diese beginnt mit dem plötzlichen Kommen Christi als dem zentralen Gottes- und Christusereignis. Dieses gewaltige göttliche Geschehen vollzieht sich in einem einzigen Akt, aber zugleich auch wachstümlich in verschiedenen Zeiträumen. Vorzeichen wie Kriege, Epidemien, Hungersnöte, Naturkatastrophen, Umweltzerstörung usw. gehen dem voraus. Es ist eine Zeit des Leidens und großer Verführungen (vgl. Mt 24 und 25). Danach wird Jesus als göttlicher Pantokrator in Macht und Herrlichkeit wiederkommen. Somit steht alles unter der Erwartung seiner Wiederkunft und der Vollendung seines Werkes. Daher rufen wir mit dem Bibelwort: „Komm, Herr Jesus!“ (Offb 22,17)
Die Tatsache der Auferstehung nährt diese Erwartung. Christus ist der Urheber dieses Ereignisses: Laut Mk 12,18-27 werden die Toten auferstehen und die Schöpfung erneuert. Auch wir werden durch diese Gottestat auferweckt werden und Anteil an der göttlichen Lebensmacht erhalten.
Die Botschaft von der Auferstehung ist für Menschheit und Schöpfung die einzigartige Hoffnung für die Zukunft.
Vor der Erneuerung der Welt steht jedoch das Gericht. Darin wird die ganze Menschheitsgeschichte aufgerollt und wiedergebracht. Die endgültige Überwindung Satans und die Zerstörung seiner Werke werden folgen. Wir spüren, dass wir selber noch unheil und egoistisch sind. Wir dürfen jedoch hoffen, durch die richtende Begegnung mit Christus aufgrund seines ganzen „Ja“ zu uns wieder richtig und heil zu werden. Das lässt uns froh unseren Weg gehen.
2. Wiederherstellung Israels, vom Leiden zur Herrlichkeit Gottes, Befreiung der Kreatur und Aufrichtung des ewigen Königreichs der Himmel
Durch das Kommen Jesu wird Erstaunliches geschehen: die endzeitliche Erlösung von Christen und Juden zu einem gemeinsamen Volk, einem messianischen Reich mit einem gemeinsamen Herrn (Röm 11).
Durch die Zeit des Leidens hindurch wird dem Seher Johannes in Offb 21,1-5 gezeigt: „Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde. Das Erste ist vergangen. … Siehe, ich mache alles neu.“ Und weiter: „Der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz.“
Die ganze Schöpfung wartet auf ihre Befreiung durch die Kinder Gottes. Gott selbst wird es vollends herbeiführen: „Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. … Denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick seufzt und in Wehen liegt“ (Röm 8,18-25).
Das himmlische Jerusalem steht für den endgültigen Sieg Gottes über die Hybris des Menschen und seiner Werke (Offb 21 und 22). Gott wird darin regieren mit göttlichem Herzen und göttlichen Ordnungen. Diese Gottesnähe, diese Gemeinschaft der Heiligen sprengt jegliche menschliche Gedanken- und Gefühlswelt. Sie wird von unbeschreiblicher Freude, Liebe und Glück erfüllt sein.
JERUSALEM – STADT GOTTES
Dann geht „unsere Zeit“ endgültig in die Gotteszeit ein, und wir werden auf das schauen, was Gott getan hat. Er allein vollendet in Kraft, Macht und souveräner Autorität, was er allein begonnen hat.
Schluss
Was bedeutet dieser Durchblick für unsere Berufung und unseren Dienst? Jesus sagt: Seid wachsam, nehmt euch in Acht vor allerlei frommen Fremdlehren, absonderlichen Lehrmeinungen, unlauteren Propheten usw. (vgl. Mt 24,4). Außerdem ist uns für unser Leben und Dienen aufgegeben, Buße und Versöhnung im Sinne Christi zu leben (vgl. 1Kor 3,9) – in der Fußwaschung, im priesterlichen Dienst und im liebenden Einssein. Wir sollen und dürfen in dem, was wir getan und gelebt haben, ihm in Liebe und Hingabe weiter die Treue halten und seiner Heilsbotschaft folgen.1
Fussnoten