Ihn nicht sehen und nicht kennen und doch die Berührung Gottes zu erleben, das sind Aspekte des Nachsinnens und des verborgenen Erlebens der Gottesbeziehung, die Julika Bardehle zu schildern versucht. Ihr Glaube reflektiert in einer überraschend tiefen Weise ihr eigenes Leben in der Verbindung mit dem geheimnisvollen Sein Gottes.
Wichtig ist mir für meinen Glaubensweg, mir Gott vor meinem inneren Auge vorzustellen. Dabei berührt mich, ihn nicht zu sehen und nicht zu kennen. Dieses Nicht-Sehen und Nicht-Kennen ist für mich eingebunden in einen unverfügbaren Umgestaltungsprozess.
In diesem Umgestaltungsprozess löst sich die Frage nach Gott von einer an sich selbst orientierten Selbstbestätigung hin zu einem sich Einlassen und zu einer Beziehung, zu einem Du und einem Anderen. Dabei wächst man in die Wirklichkeit hinein, sich von Gott umfangen sein zu lassen, d. h. ein Stück mehr da zu sein im „Ich bin da“ Gottes. Dieses gelebte Miteinander bleibt nicht eindeutig wahrnehmbar und ist unverfügbar. Der, von dem ich als Gegenüber ausgehe, ist freizugeben. Ich begreife, dass Gott zwar nicht seine Zuneigung zu mir verändert, wohl aber seine Art, sich mir mitzuteilen. Daraus wachsen eine Bezogenheit von Gott und Mensch zueinander und im Fragen nach Gott eine demütigere Bejahung von sich selbst. Dieses Freigeben wirkt eine Offenheit hin für das, was einem begegnet.
Ich begreife, dass Gott zwar nicht seine Zuneigung zu mir verändert, wohl aber seine Art, sich mir mitzuteilen.
Mein Glaube, wie ich ihn hier beschreibe, berührt die empfundenen Grenzen des eigenen Seins. Diese Berührung bewirkt ein Weitergehen. In der Berührung der eigenen Grenze sind mir das Bibelwort und der Name Jesu kostbar. Beide glaube ich als selbstwirksam. Indem ich sie ausspreche, nehmen sie mich ein Stück weit mit. Das Bibelwort gibt mir Worte für eigene Erfahrungen und Wahrnehmungen. Ich vertraue, dass die Worte der Bibel und der Name Jesu über die Grenze meiner selbst in Richtung Leben tragen. So wird diese Grenze liebevoll erweitert und in ein Größeres hineingenommen.
Jesus am Kreuz zeigt jegliche menschliche Grenze und stellt mir sich und meine persönlichen Grenzen vor Augen. Liebevoll in Geduld und Erleiden bleibt dort ein Ort offen für mich, in seiner Gegenwart, durch ihn gesegnet. Sein Segen im Kreuz ist nicht Zusage der Überwindung und Aufhebung des Kreuzes, des Nicht-Sehens. Sein Segen ist sein Bekenntnis, auch zu mir. Dieses Bekenntnis besteht für mich darin, dass er im Tod am Kreuz dageblieben ist, auch für mich. Es ist für mich Ausdruck der Liebe, in der Hoffnung ist. Seine Verheißung ist, mit ihm aufzuerstehen. Durch den Gehorsam Jesu zum Vater und seine Hinwendung zum Vater ist Jesu Dasein aus dem Vater und so „für“ den Menschen. Dieses Dasein Jesu kann so Berührungspunkt der Auferstehung und Verwandlung sein. Indem Jesus sich in die Hände des Vaters befohlen hat, die er nicht gesehen hat, eröffnet er dem Menschen einen Raum, in dem der Mensch Aufnahme findet. So ist Gemeinschaft möglich, die anders nicht möglich wäre. Jeder geschöpflichen Regung ist heilsamer Daseinsraum geschenkt.
Mir ist es nicht möglich, dieser Zuwendung zu entsprechen oder zu antworten. Manchmal denke ich, es freut Gott, wenn seine Zuwendung einfach da sein, zufließen darf. Daraus wächst in mir, dass ich ihn gerne auf Kreuzesdarstellungen beachte. Ich bin einfach da, mit dem, wie ich bin. Ich vertraue darauf, dass es der Ort ist, wo etwas zusammenfließt, auch ohne Worte, im Anblicken. Anblicken verändert den Blick und den Blickenden hin zu dem Angeblickten.
Ich finde es wichtig, Jesus im Glauben konkret als Person und Mensch sich immer wieder vorzustellen, obwohl wir ihn nicht sehen können. Diese Spannung, die ich als Berührung Gottes erlebe, gilt es zugleich ihm anzuvertrauen – mit Bibelworten, seinem Namen oder dem Blick auf eine Kreuzesdarstellung. So wächst seine Wirklichkeit. Mein Nicht-Sehen darf in seiner Angewiesenheit auf den, den es nicht sieht, Ort sein, um schöpferisch eingebunden zu werden. Daraus nimmt mein Bestreben ab, über Gott, meine Umwelt und auch mich verdinglichend zu verfügen.
Mit diesem bei Gott aufgenommenen Nicht-Sehen, wachsen stattdessen ein persönliches Beziehungsgeschehen, Geschöpflichkeit und Menschlichkeit.
Julika Bardehle, Studierende der ev. Theologie in Erlangen