Was ist das nun eigentlich, diese Künstliche Intelligenz? Wie ist das geworden, hat es sich entwickelt? Was bringt das für Folgen mit sich? Welche Fragen entstehen dadurch? Mit dieser Darstellung will uns Claus Lewerentz auf einen gemeinsamen Sachstand bringen, der für die Diskussion darüber wichtig ist. Sonst redet man leicht aneinander vorbei, weil einem die nötigen Kenntnisse zur realistischen Einschätzung fehlen. Ohne gewisse Fremdworte als Ausdruck dieser dazu gewachsenen Fachsprache geht das nicht.
Alle Bereiche der Gesellschaft und Technik – und damit unser alltägliches Leben – werden immer stärker von der Digitalisierung geprägt. Softwarebasierte Systeme (Computer, Geräte, ganze IT1-Infrastrukturen, Kommunikationsnetze) haben in den letzten Jahrzehnten am stärksten zur Wertschöpfung2 und zu technischen Innovationen und Veränderungen in der Arbeitswelt beigetragen. Informationstechnologie hat enorme Fortschritte in anderen Wissenschaftsdisziplinen wie der Medizin, der Biotechnologie, den Materialwissenschaften oder dem Maschinenbau ermöglicht. Viele Entwicklungen wurden und werden weiter durch die Möglichkeiten der IT massiv beschleunigt.
Wir stehen am Beginn eines neuen digitalen Wissenszeitalters, das ähnlich gravierende gesellschaftliche und geistige Umbrüche hervorbringt wie die Einführung des Buchdrucks vor 500 Jahren.
Die aktuellen dramatischen Veränderungen haben einen neuen Treiber, der vor einigen Jahren noch eine untergeordnete Rolle spielte: die Künstliche Intelligenz (KI).
Der Begriff „Künstliche Intelligenz“ geht auf Ideen einer Forschergruppe um John McCarthy und Marvin Lee Minsky aus dem Jahr 1956 zurück. Sie träumten von Computerprogrammen, die die kognitiven Leistungen des menschlichen Gehirns simulieren und damit Tätigkeiten übernehmen konnten, die bisher ausschließlich Menschen vorbehalten waren. In Verbindung mit Robotertechnologie sollten sogar autonom operierende intelligente Wesen entstehen. In den folgenden Jahrzehnten wurde mehr oder (eher) weniger erfolgreich an dieser Vision gearbeitet, es wurden zwar für einzelne Bereiche (wie z. B. das Schachspiel oder die Spracherkennung) Erfolge erzielt, aber das Ziel einer universellen Künstlichen Intelligenz, die eigenständig Probleme löst (sogenannte starke KI), rückte in immer weitere Ferne.
In den letzten zehn Jahren gab es allerdings einen enormen Entwicklungsschub für Technologien, die es ermöglichen, die KI-Vision in neuer Weise zu realisieren, sodass inzwischen KI ein wesentlicher Bestandteil von IT-Systemen ist. Softwaresysteme steuern selbstständig ein Auto durch den dichten Verkehr und koordinieren sich dabei mit den anderen Fahrzeugen; sie spielen besser Schach und Go3 als Menschen und entwickeln dabei sogar neue, für den Menschen undurchschaubare Strategien; sie sprechen mit uns in natürlicher Sprache und machen für uns Pläne; sie können Handschriften lesen, zwischen Sprachen übersetzen; erkennen Bilder, erzeugen täuschend echte „Fotos“ und Filme und schaffen virtuelle Welten; sie automatisieren Fabriken und verfügen über mehr Faktenwissen als jeder Mensch; sie lernen, passen sich an neue Gegebenheiten an und bekommen ein eigenes Bewusstsein. Wir leben immer mehr in einer digitalisierten Welt, die mit autonomen vernetzten intelligenten Maschinen bevölkert wird.
Welche Faktoren und technischen Entwicklungen haben zu diesem Durchbruch bei KI-Ansätzen geführt?
- Die verfügbare Rechenleistung und die Datenspeicherkapazitäten sind seit 50 Jahren kontinuierlich exponentiell gewachsen. Heutige Computerprozessoren haben die 10-millionenfache Leistung im Vergleich zu den Rechnern zum Zeitpunkt der Apollo-Mondmission (jedes Smartphone übertrifft die Rechen- und Speicherleistung des damaligen NASA-Rechenzentrums). Außerdem gibt es spezialisierte Hardware, die für maschinelle Lernverfahren optimiert ist und dadurch nochmal sehr viel mehr Verarbeitungsleistung ermöglicht.
- Es existieren seit einigen Jahren weltweite universelle digitale Kommunikationsnetze mit enormer Übertragungskapazität und Verfügbarkeit. Nahezu alle Kommunikation funktioniert heute über diese digitalen Netze.
- Milliarden von digitalen Geräten, die mit unterschiedlichsten Sensoren ausgestattet sind, sammeln kontinuierlich unvorstellbare Datenmengen über ihr physisches Umfeld und tauschen sie mit anderen aus. Allein jedes der 3,5 Milliarden aktuell betriebenen Smartphones kennt zu jeder Zeit seinen genauen Standort, wie es bewegt und benutzt wird, vielleicht Temperatur und Luftdruck, die Umgebungsgeräusche usw. Dazu kommen immer mehr „smarte“, d. h. digitale und vernetzte Haushaltsgeräte. Man spricht von dem „Internet der Dinge“.
- Es existieren bereits enorme Mengen verknüpfter orts-, zeit- und personenbezogener Daten aus der individuellen Nutzung digitaler Medien, der Bereitstellung von digitalen Bildern (mit ihren Metadaten zu Ort und Zeit), aus Echtzeit-Positionsdaten (GPS Tracking), Gerätenutzungsdaten, Finanztransaktionsdaten, Gesundheitsdaten (z. B. von Fitness-Armbändern). Durch die Datenvernetzung entstehen „digitale Zwillinge“ von Personen und Gegenständen der realen Welt, die die Basis für weitere Verknüpfungen und automatisierte Analysen darstellen. Dazu kommt ein ständig wachsendes, aktuelles „Weltwissen“ (z. B. Wikipedia, Bilddatenbanken).
- In den letzten Jahren wurden große Fortschritte in Hinblick auf automatisierte Lernverfahren mit sogenannten „neuronalen Netzen“ gemacht. Neuronale Netze sind Verarbeitungsstrukturen (in Software und Hardware realisiert), die menschlichen Gehirnmodellen nachempfunden und besonders für die Wiedererkennung von Mustern in Daten geeignet sind. Neuronale Netze werden nicht starr für bestimmte Aufgaben programmiert, sondern dynamisch mithilfe von Trainingsdaten angelernt. So können ihre Fähigkeiten im Lauf der Zeit erweitert, angepasst und optimiert werden. Mehrstufige solche Netze ermöglichen ein automatisiertes Lernen und Weiterentwickeln der Netze selbst. Damit ist man dem Ziel sich selbst weiterentwickelnder (evolutionärer) Systeme ein großes Stück nähergekommen.
Die Kombination all dieser technischen Entwicklungen erlaubt bereits heute Computeranwendungen, die man noch vor 20 Jahren als unerreichbare Zukunftsfiktionen angesehen hat. KI wird so zu einer selbstverstärkenden Erschließungstechnologie, die gänzlich neue Ansätze auch in anderen Technologiebereichen wie den Bio- oder Materialwissenschaften ermöglicht. Durch KI-Ansätze gewinnt die Beschleunigung in der Technologieentwicklung zusätzlichen Antrieb.
Die heute und in naher Zukunft realisierbaren Anwendungen von KI-Systemen erfüllen Menschen gleichermaßen mit Faszination, Hoffnung (z. B. in der Krebsforschung oder bei der Entwicklung von Impfstoffen), aber auch mit vielen Befürchtungen und Ängsten.
Es stellen sich tiefgreifende Fragen zu den Auswirkungen und der Weiterentwicklung dieser Technologien.
Werden wir bald von Künstlicher Intelligenz mit eigenem Willen beherrscht? Verstehen wir die Systeme überhaupt noch, die wir bauen, oder werden wir zu Sklaven der Maschinen degradiert? Kann Software ein Gewissen und Werte haben und Verantwortung für ihre Entscheidungen übernehmen? Können wir Maschinen vertrauen? Wie verändert das unser Leben, und welche positiven Chancen stecken in diesen Technologien?
Schwache KI
Die schwache KI (auch als methodische KI bezeichnet) besitzt keine Kreativität und keine expliziten Fähigkeiten, selbstständig im universellen Sinne zu lernen. Ihre Lernfähigkeiten sind zumeist auf das Trainieren von Erkennungsmustern (Machine Learning) oder das Abgleichen und Durchsuchen von großen Datenmengen reduziert.
Mit ihr können klar definierte Aufgaben mit einer festgelegten Methodik bewältigt werden, um komplexere, aber wiederkehrende und genau spezifizierte Probleme zu lösen. Die besonderen Vorzüge der schwachen KI liegen in der Automatisierung z. B. für Text- und Bilderkennung, Spracherkennung, Übersetzung von Texten, Navigationssysteme, Bildgenerierung etc.
Auch digitale Assistenzsysteme wie Alexa, Siri und Google Assistant gehören zur Kategorie der schwachen KI.
Starke KI
Die Realisierung einer starken KI ist noch nicht in greifbarer Nähe: Die Zielsetzung des Konzeptes der starken KI ist es, dass natürliche und künstliche Intelligenzträger (bspw. Menschen und Roboter) beim Arbeiten im selben Handlungsfeld ein gemeinsames Verständnis und Vertrauen aufbauen können.
So könnte beispielsweise eine effiziente Mensch-Maschine-Kollaboration erlernt und ermöglicht werden. Eine starke KI kann selbstständig eine Aufgabenstellung erkennen und definieren und sich hierfür selbstständig Wissen des entsprechenden Anwendungsgebiets erarbeiten und aufbauen. Sie untersucht und analysiert Probleme, um zu einer adäquaten Lösung zu kommen – die auch neu bzw. kreativ sein kann.
Autor
Vereinigung vom gemeinsamen Leben
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Vereinigung vom gemeinsamen Leben im Ökumenischen Christusdienst
Die Vereinigung vom gemeinsamen Leben im Ökumenischen Christusdienst ….
Fussnoten