Hat die Kirche, hat das Volk Gottes eine öffentlich wahrnehmbare Stimme inmitten der Gesellschaft, mit der sie sich glaubwürdig für die Menschen einsetzt? An vielen Stellen geschieht das durch diakonische und caritative Dienste. In Augsburg gab es darüber hinaus einen von Gott geschenkten günstigen Moment, in dem auf dem Rathausplatz in eindrücklicher Weise ein solches Zeugnis möglich war, auch unter der Mitwirkung wichtiger Lokalpolitiker.
Am 10. Dezember 2019 konnte die Stadt Augsburg den 300.000. Einwohner begrüßen. Zur „Planungsregion“ Augsburg zählen 885.000 Menschen.
Jedes Jahr am 24. Dezember wird an den Gründer der Stadt erinnert: „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging“ (Lk 2,1). Im Namen der Stadt Augsburg ist unübersehbar die Spur seines Namens zu erkennen.
Ein großes Volk, Gottes großes Volk, ist seit über 2.000 Jahren in dieser Stadt beheimatet. Heilige wie Bischof Ulrich, Mitbegründer Deutschlands, oder die heilige Afra, die in der diokletianischen Christenverfolgung um 304 ihr Leben für Jesus gab, und Blutzeugen des 20. Jahrhunderts wie Dr. Max Joseph Metzger gehören zu den Männern und Frauen, die den Ehrenkranz des Volkes Gottes dieser Stadt bilden. Keiner vergisst das Streitgespräch zwischen Luther und Kajetan in Augsburg und die Bemühungen Melanchthons, mit der Confessio Augustana 1530 die auseinanderstrebenden Teile des Volkes Gottes wieder zu verbinden. Dass dann in Augsburg in St. Anna am 31. Oktober 1999 die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigung“ unterzeichnet wurde, zeigt, wie Gott uns mit seiner Geschichte überrascht. Ja, Gott hat sich durch die Geschichte hindurch ein großes Volk in dieser Stadt gebildet. Diese Spur des Lebens zieht sich durch 2.000 Jahre Stadtgeschichte. Gerne berichte ich von einer jüngeren Überraschung Gottes.
Am 21. Juli 2019 um 18 Uhr war es soweit. Das Volk Gottes war eingeladen, auf dem Platz vor dem Rathaus – der „guten Stube“ der Stadt – ein „Fest zur Ehre Gottes“ zu feiern. Das Motto war: „Kostbar – Unantastbar – Die Würde des Menschen“. Denn vor 70 Jahren hatte der Parlamentarische Rat das Grundgesetz genehmigt. Dessen erster Artikel beginnt mit den Worten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Unantastbar vor allem deshalb, weil Gott dem Menschen allein durch seine Liebe, seine Versöhnung und seine Freiheit Wert und Würde gibt.
Mehr als 2.000 Menschen waren gekommen. Die Stühle reichten nicht aus. Gemeinsam mit der zweiten Bürgermeisterin und dem dritten Bürgermeister Augsburgs und weiteren Mitgliedern des Stadtrats, mit dem Evangelischen Stadtdekan und dem damaligen Vertreter des katholischen Bischofs, mit vielen Verantwortlichen aus christlichen Gruppen, Kirchen und Gemeinschaften war es nicht nur ein Fest, ein Gottesdienst, sondern eine öffentliche Demonstration für die Wirksamkeit des Evangeliums in Stadt und Gesellschaft.
Es ist nicht nur ein Fest, ein Gottesdienst, sondern eine öffentliche Demonstration für die Wirksamkeit des Evangeliums in Stadt und Gesellschaft.
Das Volk Gottes als Salz und Licht, als Stadt auf dem Berg (Mt 5,13-14), wahrnehmbar, berufen, ohne Furcht zu reden und nicht zu schweigen. Am Ende konnte man sich mit der Liebe, der Versöhnung und der Freiheit, die Gott gibt, segnen lassen. Der Segen und die Kraft der zwei Stunden konnten so von vielen mitgenommen werden. Dass viele Wunder – allein die Genehmigung für diesen besonderen Platz in der Mitte der Stadt oder die Wettersituation: am Vormittag hatte es noch geregnet – das Fest zu einer besonderen Gnadenstunde machten, war beeindruckend. Ein Geschenk Gottes für das Volk Gottes und für die Stadt.