In den konkreten Alltagsbegegnungen und -aufgaben wirkt sich unser Glaube aus. Dass dieser Glaube nicht nur unsere eigenen Bedürfnisse und Anliegen berührt, sondern sich auch auf die Situation des Anderen bezieht, das wird im folgenden Briefwechsel deutlich. Ein solcher Glaube, der auch füreinander vor Gott eintritt, hat große Verheißung, unabhängig davon, ob sogenannte Resultate erkennbar sind oder verborgen bleiben. Esther Huber-Würgler und Theres Maurer arbeiten in der Diakonie Nidelbad in Rüschlikon (CH) und sind Mitglieder des Schweizerischen Diakonievereins. Esther arbeitet als Sozialbegleiterin hauptsächlich mit geflüchteten Menschen, Theres in der Aktivierung von Gästen des Pflegezentrums Nidelbad, hat aber auch persönliche Beziehungen zu Menschen in einer Asyl-Unterkunft in der Nachbarschaft.

Liebe Esti,

das „Für-Glauben“ habe ich erst im Schweizerischen Diakonieverein kennengelernt. Nicht sofort habe ich verstanden, was es bedeutet, bis Frau R., eine psychisch kranke Frau, mich jedes Mal, wenn sie mich sah, fragte: „Kommt es gut? Ist Gott mir gnädig?“ Mit Überzeugung beantwortete ich diese Frage jeweils mit: „Ja, ganz sicher.“ Frau R. konnte meinen Für-Glauben wohl spüren und beruhigte sich für den Moment.

Kürzlich hatte ich ein Erlebnis, das einen Für-Glauben über die Religionen hinaus erforderte.

Es ist die Geschichte von Nuria. Ich kenne sie, seit sie als junges Flüchtlingsmädchen aus Afrika in die Schweiz kam. Nuria heiratete, nachdem sie ein paar Jahre in der Schweiz gelebt hatte, und bekam drei Kinder. Nun war sie wieder in Erwartung. Aber einen Tag vor dem geplanten Kaiserschnitt starb das Kindlein. 

Ich pflege zu Nuria eine herzliche Beziehung und wollte ihr gerne ein paar Worte schreiben. Aber sie lehnte alle Kontakte ab, sogar Briefpost. Sie zog sich zurück und mied jede Begegnung. Das war sehr schmerzlich, es blieb mir nur, der Familie in meinen Gebeten zu gedenken. 

Kein Zufall war es für mich, dass ich Nuria eines Tages, als sie begann, den Alltag wieder zu packen, allein antraf und wir beide genug Zeit füreinander hatten. Ich war so froh, Nuria endlich in die Arme schließen zu können und von ihr zu hören. Es tat mir gut zu hören, wieviel Trost und Unterstützung die Familie von allen Seiten erhielt. Nuria und ihre Familie sind Muslime. Ganz besonders freute ich mich, dass Nuria von ihrem Glauben getröstet ist in der Gewissheit, dass das ungeborene Mädchen einen besonders schönen Platz bei Gott hat. Wir sprachen von Gott, sie vom islamischen, ich vom christlichen. Es gab einfach keinen Unterschied, es schien zunächst, als sprächen wir vom selben Gott. Dann plötzlich ihr schmerzverzogenes Gesicht und der Satz: „Das ist nun meine Strafe. Das ist, weil ich das Kind zuerst nicht wollte, ich wusste ja nicht, wie wir das schaffen sollen mit noch einem Kind.“ Da war er nun, der Unterschied! Weil wir aber vorher von einem Gott gesprochen hatten, erwiderte ich: „Aber Gott ist doch gnädig!“ 

Ich erzählte ihr von Gottes Größe und Güte und von seiner Vergebung. 

Ob es etwas bewirkte? Ich weiß es nicht. Jedenfalls spürte ich in dem Moment nichts davon. Ich will es ganz fest für Nuria glauben, und ich bringe sie, die mir so nahe und ganz Schwester ist, und ihre Familie weiterhin zu unserem liebenden, vergebenden Gott.

Für einen anderen Ausdruck des „Für-Glaubens“ bin ich jetzt in der Corona-Krise sehr dankbar. Ich kann mit drei pflegebedürftigen Schwestern unserer Kommunität im Pflegezentrum täglich während der Arbeitszeit eine Gebetszeit halten. Wir beten das Einheitsgebet, ein Bußgebet, ein Corona-Gebet und das Unser Vater. Darin schließen wir die ganze Welt ein.

Erlebst Du es auch, dass Du „für-glauben“ musst? Was unterstützt Dich dabei? Benutzt Du spezielle Gebete, Lieder oder Gottesdiensttexte? Kannst Du Deinen „Kunden“ Zuversicht zusprechen?

Ich bin auf Dein Teilen gespannt.

Deine Theres

Theres Maurer - Schweizerischer Diakonieverein
Theres Maurer – Schweizerischer Diakonieverein

Für-Glaube ist für mich etwas, das zwischen Gott und mir passiert

Esther Huber-Würgler

Liebe Theres,

Dein Bericht hat mich sehr berührt. Seit ich mit den vielen Menschen aus anderen Religionen und Kulturen zusammenarbeite, habe ich viel für mein eigenes Glaubensleben gelernt. Ich fühle mich geliebt in Gott, und mich füllt diese Liebe aus. Mir wurde als Kind in der Kommunität Nidelbad 1, dass alle Menschen von Gott geliebt sind und jeder mein Nächster ist. Ich darf meine Glaubensüberzeugungen in meine Haltung und meine Taten für meine Arbeit einfließen lassen. 

Meine Gebete sollen sich in Taten im Alltag zeigen,

nicht nur in frommen Worten! Was nützt es, wenn ich Gebete spreche und dann meinen Nächsten vergesse oder herabsetze?

In meiner Arbeit ist die „Lebenswelt des Anderen“ ein zentraler Punkt. Ich begebe mich in diese Welt und begleite ihn/sie darin. Darum ist es wichtig, dass ich mich und meine Überzeugungen zurücknehme. Meine Haltung darf spiegeln, was ich glaube, mehr nicht.

Wenn ich durch meine Arbeit, meine Anteilnahme etwas von Gottes Güte zeigen kann und dies vom Anderen bemerkt wird, dann lebe ich, was ich anstrebe. Für-Glaube ist für mich etwas, das zwischen Gott und mir passiert. Ich trage diese Gebetsanliegen für meine Klienten in meine persönliche Fürbitten-Zeit.

Es gibt Klienten, Gäste, die mich schon gebeten haben, für sie in unserer Kapelle hier zu beten. Zum Beispiel bat mich eine Frau aus Äthiopien darum, die in ihrem Leben und auf der Flucht Schreckliches erlebt hat. Nach ihrer Erlaubnis trug ich dies in die Gemeinschaft. Dann ist ein gemeinsames Für-Glauben möglich. Das war für mich auch heilsam. Solche schwierigen Lebensgeschichten zu hören und zu verarbeiten, das gelingt meiner Meinung nach nur mit Gott. Das gemeinsame Gebet wurde so auch für mich selber zum Trost!

Das bedeutet mir Für-Glauben.

Deine Esther 

Esther Huber-Würgler - Schweizerischer Diakonieverein
Esther Huber-Würgler – Schweizerischer Diakonieverein

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