Aus dem Blickwinkel orthodoxer Christen erscheint die Beziehung der Gläubigen zur Welt in einem anderen Licht als bei uns in der westlichen Welt üblich. Das Leben in und aus der Göttlichen Liturgie ist nicht nur ein den unsichtbaren Heiligen und Engeln Nahesein, sondern es ist zugleich in umfassender Weise verwoben mit der profanen Welt und den Menschen aller Zeiten. In der Göttlichen Liturgie ist Gott gegenwärtig und wirksam in die gesamte Schöpfung hinein. Durch solchen Glauben wird die Welt verändert.
Die „Göttliche Liturgie“ ist „ein göttliches Werk des Volkes“ – so die Bedeutung dieser Worte im Altgriechischen. Es ist ein gemeinschaftliches Werk des gesamten Volkes Gottes, der gesamten Kirche. Gleichzeitig ist es das Werk Gottes, der uns dieses schenkt, der uns mit seiner Gegenwart beschenkt.
Wenn jemand anwesend ist, wenn er spricht, wenn er handelt, dann ist das etwas Objektives und Klares und nicht etwas, das wir uns vorstellen. So ist Christus, der höchstselbst die Zelebration dieses Mysteriums weitergegeben hat, gegenwärtig und offenbart sich selbst, seinen Willen, seine Gebote, seine Einladung, alles, in seinem eigenen Licht. Er ist dort, er kennt uns, er ruft uns alle bei unseren Namen.
Die Göttliche Liturgie ist der gegenseitige Schritt, die Begegnung von Himmel und Erde, das Einswerden mit Gott, die Vergöttlichung. Dies setzt voraus, dass beide Seiten zusammenarbeiten. Dieses Einswerden ist eine „vertikale“ Einswerdung mit Gott und denen, die ihm nahe sind, den Heiligen und Engeln, die unsichtbar anwesend sind. Aber es ist auch ein „horizontales“ Einswerden mit der monastischen Gemeinschaft, mit allen Menschen der Erde, den Nahestehenden, den Unbekannten und selbst den Entschlafenen. Dort zeigt sich die Beziehung der Göttlichen Liturgie zur Welt. Es ist auch ein Einswerden der Zeit, des Jetzt, der Zeit, in der Christus auf Erden wirkte, um die Göttliche Ökonomie zu erfüllen, und des ewigen Reiches Gottes. Der Priester öffnet uns die Tür dieses Königreiches, da er jede Göttliche Liturgie mit den Worten beginnt: „Gesegnet ist das Königreich des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“, wo auch das „jetzt und immerdar“ eine bestimmte Bedeutung annimmt.
Die Göttliche Liturgie als Mittelpunkt des Klosterlebens
Für uns als monastische Gemeinschaft 1 ist die Göttliche Liturgie Mittelpunkt unseres Lebens, im geistlichen wie im praktischen Sinn. „Praktisch“, da sie jeden Tag zelebriert wird und das gesamte Programm des Tages, die Aufgaben um sie herum geregelt werden. So ist die höchste Großtat Gottes zugleich auch eine vertraute, alltägliche, zugängliche. Sie ist unser Atem. „Geistlich“, weil das ganze Leben in all seinen Aspekten, was wir tun, wie wir es tun, was wir denken, eine Vorbereitung auf die Göttliche Liturgie ist – und anschließend der Geschmack, das Erlebnis der durchgeführten Liturgie. Jede Aufgabe, jede Beschäftigung wird zum Ausdruck, zur Art und Weise dieser Vorbereitung und zur Fortsetzung der Göttlichen Liturgie in unserem Leben, in der Welt. Wir rennen, um Christus zu begegnen, oder, ihm begegnend, rennen wir weiter mit ihm, oder wie die Samariterin, die, ihn am Brunnen zurücklassend, rannte, um der ganzen Stadt zu sagen, dass sie den Messias gefunden hatte, den Schatz, und alle kommen sollten, um ihn zu ergreifen.
Das Leben ist eine Einheit; es lässt sich nicht unterteilen in ein „geistliches“ und ein „übriges“. Dies zeigt sich im Kloster noch deutlicher. Alles andere geschieht ohne Kontinuität und Konsequenz. Was auch immer wir tun, es beeinflusst unseren Geist, und was wir spirituell erleben, beeinflusst unser Handeln. So entsteht ein Kreislauf:
Wir führen unser Leben, so dass es uns auf die Göttliche Liturgie vorbereitet, und die Göttliche Liturgie bereitet uns auf das Leben vor, sie erleuchtet, inspiriert, öffnet Horizonte und Himmel für das Leben.
Oder sie öffnet uns auch einfach die Augen, fördert die Aufmerksamkeit, die Realität. Ein Grund, der Unterschied, im Kloster zu leben, ist, dass wir hier alles tun, was in unserer Macht steht, um diese Reise zu erleichtern und zu Gott hin zu lenken. Wenn man das Ziel kennt und es erreichen will, kümmert man sich um die entsprechenden Mittel.
Die Göttliche Liturgie als Schule des Lebens
Durch unsere aktive Teilnahme an der Göttlichen Liturgie lernen wir, wie zu leben und zu denken ist. Wir lernen, dass unser christliches Leben ein universelles Leben ist, ein Leben der Gemeinschaft, das ewige Erweiterungen und Konsequenzen hat. Es endet nicht mit unserem biologischen Tod, wir treten in die Ewigkeit ein. Dann findet alles seinen Platz, seinen Proportionen gemäß: was wichtig ist, was die Prioritäten sind, wo wir stehen, wo unser Platz ist – in der Schöpfung, im Leben Gottes.
Die Göttliche Liturgie ist ein Geschehen, ob wir es verstehen oder nicht, welches weder von unseren „Gedanken“ noch von unseren „Gefühlen“ abhängt und welches wir nicht mit diesen verwechseln dürfen, wieviel wir auch „verstanden haben“ mögen, sollten wir berührt sein. Aber es hat natürlich einen direkten Bezug dazu, wie sehr wir uns öffnen und Gott suchen, wie sehr wir uns von ihm lehren lassen.
Die Göttliche Liturgie, die Göttliche Kommunion, wird auch „Göttliche Eucharistie“, Danksagung 2 genannt, weil wir Gott danken – das Geringste, das wir tun können: zu danken und das Geschenk, das Gott uns gibt, anzunehmen, beginnend mit unserem Leben, bis zu seiner Gabe: die Kreuzigung und die Auferstehung seines Sohnes für unsere Sünden, der sich uns selbst schenkt, seinen Körper und sein Blut. Natürlich, weil wir materiell sind, gibt er ihn uns auf materielle Weise, heimlich, ihn, der immateriell ist, unsichtbar, der uns übertrifft, aber uns zu Teilhabern macht, zu Partizipierenden. Eine Danksagung auch für alles, was er uns in jedem Moment gibt, bis wir es für selbstverständlich halten.
Die Mönche als Lichtträger der Göttlichen Liturgie
Eine häufige Frage ist, was die Mönche der Gesellschaft anbieten, da sie nicht „arbeiten“. Der heilige Seraphim von Sarov sagt: „Rette Dich selbst, und Tausende werden in Deiner Nähe gerettet werden.“ Die Göttliche Liturgie, diese Kraft, welche „Gott auf die Erde hinunterbringt“, umfasst die ganze Welt. Aber auch jeder, der dieses Werk tut, trägt die Flamme in sich, gibt sie weiter an die ganze Welt. Und diese Flamme wird in jeder Göttlichen Liturgie erneuert, wo wir das wahre LICHT sehen; wir nehmen es mit, wir tragen es, wir strahlen es unaufhörlich aus. So ist die monastische Gemeinschaft nicht nur eine kleine Gruppe von Personen, sondern eine Gemeinschaft mit allen Heiligen, der lebenden und der entschlafenen, welche bezeugt, dass die gesamte Gemeinschaft, die Menschheit, mit Gott vereint leben kann, „damit sie eins seien“ (Joh 17,11).
So ist die monastische Gemeinschaft eine Gemeinschaft mit allen Heiligen, welche bezeugt, dass die gesamte Gemeinschaft, die Menschheit, mit Gott vereint leben kann, „damit sie eins seien“ (Joh 17,11).
So hat Gott den Menschen erschaffen! Jeder andere Zustand, in dem wir leben, ist im Wesentlichen das Ergebnis des Falls, ein Verlust des Ziels, an den wir uns als „normal“ gewöhnt haben. Und weil Gott die Freiheit, die er uns gegeben hat, so sehr achtet, ist es uns nicht möglich, haben wir nicht das Recht, „den Anderen zu ändern“, ihm etwas aufzuzwingen, einfach nur, um zu sein, und selbst er selbst wird uns nicht aufgezwungen. Aber es ist auch nicht möglich, dass der Mensch, welcher die Flamme Gottes hat, nicht zum Vorschein kommt, wie „eine Stadt, die auf einem Berg liegt“ (Mt 5,14), wie wir es in der Person unseres Geistlichen Vaters und Gerontas, Archimandrit 3 Dionysios, gesehen und erlebt haben. Sein Beispiel wurde für uns und ganz besonders für die Schwestern, die aus Westeuropa stammen mit dessen Mentalität, Kultur und Zweifel, zum eindeutigsten und klarsten Beweis und zum erlebten „zum Vorschein Kommen“ dieses „seines Christus“ (Rede des Heiligen Gerontas Aimilianos zur Weihe zum Großen Schima 4 unseres verehrten Gerontas), der folgt und dem wir folgen wollten und folgen (Mt 16,24).
Es gibt viele Studien und Schriften zur Göttlichen Liturgie. Aber schmecken kann man sie nur durch persönliches Erleben. Was bleibt, ist folglich das „Komm und sieh“ (Joh 1,46).
Fussnoten