Seit 2000 Jahren betet die Christenheit: 1 „Dein Reich komme.“ Und: „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“ Die ersten Christen beteten noch dazu: „Es komme die Gnade und es vergehe diese Welt.“ (Didache 10,6) Dieses Gebet geht wohl auf die Aussage des Apostels Paulus zurück: „Das Wesen dieser Welt vergeht.“ (1Kor 7,31) Mit dem Ruf „Maranatha“ (1Kor 16,22) ‐d.h. „Unser Herr, komm!“ oder: „Unser Herr kommt!“ ‐wird diese Aussage unterstrichen.

In den ersten Jahrhunderten wartete die Christenheit auf die Erscheinung unseres erhöhten Herrn und auf das Kommen seines Reiches. Je länger desto mehr mussten die Christen aber lernen, sich in dieser Welt einzurichten. Damit ging die Erwartung auf das Kommen des Reiches nicht zurück, aber es fand eine Verschiebung statt. War die „Kirche“ bereits das angebrochene Reich? Mussten die Christen die Zustände in der Welt nicht so verändern, dass das Reich Gottes, in dem „Gerechtigkeit und Friede und Freude im heiligen Geist wohnt“ (Röm 14,17), für alle Menschen sichtbar wurde?

Mit diesen Herausforderungen setzte sich die junge Christenheit auseinander. Es gelang ihr aber nicht, weder mit missionarischen noch mit politischen Mitteln, das „Reich Gottes“ zu schaffen. Bis heute stehen wir alle in der Spannung zwischen der „Welt“ und dem „angebrochenen Reich Gottes durch Jesus Christus“. Leider haben viele Christen immer wieder versucht, der Welt und ihren Gesetzen und Wertmaßstäben entgegenzukommen, um sie dadurch einzubeziehen. Denn es ist ja Gottes geliebte Welt, für die er seinen Sohn dahingab (vgl. Joh 3,16). Und so verlief die Entwicklung über Jahrhunderte zwischen Anpassung an die Welt, Verleugnung der Welt und Welt‐Durchdringung in Politik, Kultur und Wissenschaft.

Von Jesus heißt es in den Evangelien, dass er „das Evangelium vom Reich Gottes“ verkündete. Seine Jünger sandte er aus, um diese gute Botschaft aller Kreatur bis an die Enden der Erde zu bringen. Wie viele Menschen wurden bis heute von dieser Sendung inspiriert! Der Gläubige weiß, dass die gesamte Zeit der Geschichte im Grunde Adventszeit ist. In welchem Maß der Mensch seiner Aufgabe auch gerecht zu werden oder an ihr zu scheitern vermag: Das Kommen des Herrn ist für ihn gewiss.Gewiss ist für ihn auch, dass erst in dem Augenblick des Kommens Jesu das ganze Gewebe der Zeiten von übernatürlichem Licht erleuchtet, durchleuchtet und in ihm überschaubar wird.

Da wir unter der Gewissheit dieses Kommens stehen, wissen wir, was wir zu jeder Stunde tun sollen: dass wir uns innerhalb der uns gesetzten Grenzen durch die Erwartung des Herrn auf die Vollendung der Geschichte vorbereiten. Wir kennen die Zukunft nicht, aber das Ziel.

Nun ist es aber offenkundig, dass viele Menschen in allen Generationen auf die Dinge und Vorgänge der Welt sahen und nicht auf das Kommen des Reiches Gottes. Christen empfanden die Vorgänge in Politik, Wirtschaft und Kultur oft als einen Prozess der Zersetzung. Deshalb waren viele Stimmen Warnrufe: Es wurden der Verfall der Werte, der falsche Subjektivismus und Individualismus, auch der Liberalismus und die Entseelung des Einzelnen innerhalb der Massen thematisiert. 

Es gab zwar auch prophetische Zeugen, die mutig das anbrechende und das bevorstehende Reich Gottes verkündeten. Doch insgesamt erhoben sich nur wenige Stimmen, die die Vorgänge wirklich von Gott her durchleuchteten und in aller Klarheit auf das Ziel hinwiesen: das Kommen des Reiches Gottes. Immer dann, wenn dieses Ziel klar erkannt und bezeugt wurde, versuchten die Menschen auch, die Verhältnisse zu ändern, Liebesdienste zu tun usw.. Sie wollten dem Kommenden nicht mit leeren Händen entgegengehen.

In der Heiligen Schrift steht nirgendwo, dass wir uns an den Maßstäben orientieren dürfen, die die Welt sich selbst ‐oft aus recht einsichtigen und guten Gründen ‐gibt. Wir haben uns vielmehr nach dem zu richten, was Jesus und seine Apostel bezeugten: Israel ist das auserwählte Erstlingsvolk unter den Völkern. Es hat einen besonderen Auftrag zugunsten aller anderen Völker. In diesem Sinn ist auch die Kirche in das gesamte Volk Gottes eingegliedert; sie ist Botin des Reiches Gottes. Sie ist nicht schon das Reich Gottes selbst, vielmehr lebt sie in dem „Schon jetzt“ und „Noch nicht“. Diese Spannung gilt es auszuhalten. Darum ist es besonders schlimm, wenn die Kirche sich an den Maßstäben der Welt orientieren will.

Wurden in früheren Zeiten solche Maßstäbe von philosophischen Menschenbildern beeinflusst, so sind es heute vor allem psychologische Erklärungsmuster, auf die die Menschen zurückgreifen.

Doch für die, die in den Leib Christi eingegliedert sind, ist ein anderer Grund gelegt: Gott, der Schöpfer der Welt, der Gott Israels und der Vater Jesu Christi, ist der Herr; er wird das angefangene Werk in seinem Sohn vollenden. Darum bezeugen alle, die an das Evangelium vom Reich Gottes glauben, Jesus, der das Ebenbild des unsichtbaren Gottes ist. Und der Heilige Geist verwandelt sie in sein Bild.

Er kann sie bewahren vor selbsterwählten Wegen, vor falscher Beeinflussung durch die Mächte und Kräfte einer gottfernen Welt. Er kann ihnen Mut schenken, den wahren Gottesdienst auszuüben, d.h. Gott die Ehre zu geben, ihn zu preisen und alle Hoffnung und alles Vertrauen in ihn zu setzen.

Der Heilige Geist gibt der Christenheit die Kraft zu umfassendem Dienst am Nächsten, um die Gaben und Kräfte, die Gott in jeden Einzelnen und in ganze Kulturen und Völker gelegt hat, in den Dienst seines Reiches zu stellen. Und er kann sie vor dem Irrglauben bewahren, dass sich schon alles von selbst zum Guten wenden wird, wenn wir es nur wollen und zusammenstehen. Die Erfahrungen vieler Jahrhunderte zeigen uns deutlich, dass wir diesem Glauben nicht vertrauen können. Darum ist der Ruf sowichtig:

Komme bald, Herr Jesus, und richte dein Reich auf und mache uns bereit, mit dir darin zu leben und zu dienen!

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