Gottes Liebe und Sehnsucht nach allen Menschen haben ihn immer wieder erfinderisch gemacht. So hat Gott sich selbst auf unterschiedliche Weise den Menschen anvertraut, um wiederum ihr Vertrauen zu gewinnen. Mit Abraham hat er eine besondere Glaubensgeschichte begonnen, die in ihrer Reichweite alle Völker umfasst. Johannes Uhlig zeigt uns, wie dieses Wechselspiel von Verheißung und Vertrauen in den Weg der Vollendung des Heils für die ganze Welt mündet.
Glaube begegnet uns bereits im ersten Kapitel der Heiligen Schrift. Dieser Satz mag zunächst etwas verblüffen, soll aber zum Ausdruck bringen, worum es im Kern von Glauben geht.
In 1Mose 1 heißt das konkret: Vertrauen, sich anvertrauen. Glaube im biblischen Sinn ist ein Beziehungsgeschehen. Die Verse 26-27 im ersten Kapitel der Bibel zeigen, dass Gott sich seiner Schöpfung anvertraut, insbesondere dem Menschen: „Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei. … Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und er schuf sie als Mann und Frau.“ Gott schuf den Menschen zu seinem Gegenüber. Er schuf ihn als ein Lebewesen, mit dem er in Beziehung leben kann.
Zu diesem Glauben gehört die Freiheit. Im dritten Kapitel der Bibel gibt Gott dem Menschen die Freiheit, sich selbst zu entscheiden. Er darf die Früchte aller Bäume des Gartens essen, bis auf die Früchte des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht. Das Vertrauen Gottes in den Menschen ist mit der Gabe der Freiheit verbunden. Adam und Eva aßen von der verbotenen Frucht. Der Widerpart des Glaubens – das Misstrauen – kam ins Spiel. Die vertrauensvolle Gemeinschaft Gottes mit dem Menschen zerbrach. Die Folgen dieses Vertrauensbruchs werden sichtbar. Doch die Geschichte zeigt: Gott lässt den Menschen nicht los. Er bleibt gleichsam an ihm dran. Es klingt in der sogenannten „Erstfassung des Evangeliums“ in 1Mose 3,15 bereits an: „Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir (der Schlange) und der Frau und zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er (Christus) wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.“
Ab Kapitel 11 beginnt die Bibel, von Abram zu erzählen. Ab Kapitel 12,1ff geht es um seine ganz persönliche Berufungs- und Glaubensgeschichte: „Und der Herr sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.“ Es klingt wie ein Angebot. Gott lädt Abram ein, sich ihm anzuvertrauen. Und die Antwort Abrams wirkt fast ausgesprochen lapidar. Vers 4: „Da zog Abram aus, wie der Herr zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm.“ Es wird von keinem Zwiegespräch berichtet. Abram vertraut Gott und zieht los. Auffällig ist, dass der Segen nicht nur den Nachkommen Abrams zugesprochen wird, sondern durch ihn allen Geschlechtern der Erde. Gottes Sehnsucht gilt allen Menschen.
Gottes Sehnsucht gilt allen Menschen.
Damit beginnt in gewisser Weise eine Odyssee. Denn Abram sieht wenig von der Erfüllung der göttlichen Verheißung – weder im Blick auf das verheißene Land noch im Blick auf die zahlreiche Nachkommenschaft. Dennoch vertraut Abram Gott und bekommt immer wieder Gottes Zusage. Es ist ein Wechselspiel von Verheißung und Vertrauen, von Glauben. Besonders eindrücklich wird das in 1Mose 15,6. Gott verheißt Abram einen Sohn, und dann heißt es: „Und Abram glaubte dem Herrn, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit.“ Und Gott schloss mit Abram einen Bund.
Nun folgt ein Teil in der Glaubensgeschichte der Väter, in der besondere, bis heute geltende Weichen gestelltwerden. Sara, Abrams Frau, bekommt keine Kinder. Daher schlägt sie Abram vor, ihre Magd Hagar solle ihm und ihr einen Sohn gebären. In der Folge wird Ismael geboren. Er ist sozusagen der erstgeborene Sohn von Abram mit Hagar. Sein Bruder Isaak wird als Zweiter geboren, der Sohn von Abram mit Sara. Zwischen den beiden Brüdern entwickelt sich eine bis heute angespannte Beziehung. Die Geschichte Israels vollzieht sich über die Linie Isaaks. Sein Sohn Jakob (auch wieder der Zweitgeborene) wird 12 Söhne (die Urenkel Abrams) haben, aus denen schließlich in Ägypten die 12 Stämme Israels hervorgehen.
Doch zurück zu Ismael. Gott stellt sich deutlich zu ihm. Als Gott seinen Bund mit Abram („erhabener Vater“) wieder erneuert, ändert er zunächst dessen Namen und nennt ihn fortan Abraham („Vater der Menge“). Gottes Verheißung für die Völker wirkt im Namen Abrahams so wie gesichert. Das Zeichen dieses Bundes ist die Beschneidung. So wurde auch Ismael beschnitten, und es heißt ausdrücklich in 1Mose 17,20: Gott sprach zu Abraham: „Für Ismael habe ich dich auch erhört. Siehe, ich habe ihn gesegnet und will ihn fruchtbar machen und über alle Maßen mehren. Zwölf Fürsten wird er zeugen, und ich will ihn zum großen Volk machen.“ Erst ein Jahr später wird Isaak geboren.
Die Stämme bzw. Völker, die aus Ismael hervorgegangen sind, werden Teil der Nationen, also der Heidenvölker. Zusammenfassend heißt es von ihnen in 1Mose 25,18: „Und sie (die Söhne Ismaels) wohnten von Hawila an bis nach Schur östlich von Ägypten nach Assyrien hin. So ließ er sich nieder, all seinen Brüdern vor die Nase.“ Das bedeutet aber, dass Gott in seiner Liebe von Anfang an auch die Nationen im Blick hatte.
Die Glaubensgeschichte Israels, die in Jesus ihre Erfüllung findet, geht weiter über Abraham und Isaak und ist in den folgenden Jahrhunderten ein Auf und Ab der Treue Israels gegenüber Gott. Er bleibt seinem Volk Israel durch alle Krisen hindurch treu. Auf diesem Weg wird auch deutlich, dass es beim Glauben nicht um eine Leistung geht. In 5Mose 7,7f sagt Gott zu Israel: „Nicht hat euch der Herr angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker – denn du bist das kleinste unter allen Völkern -, sondern weil er euch geliebt hat, und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat.“
Auffallend ist, dass Gott in dem allen auch immer wieder „die Nationen“ im Blick hat.
Auffallend ist, dass Gott in dem allen auch immer wieder „die Nationen“ im Blick hat. Von Kyrus heißt es in 2Chr 36,22: „Aber im ersten Jahr des Kyrus, des Königs von Persien – auf dass erfüllt würde das Wort des Herrn durch den Mund Jeremias -, erweckte der Herr den Geist des Kyrus, des Königs von Persien.“ Gott geht auch hier wieder über sein Volk hinaus.
Vor allem aber zeigt der Glaubensweg Israels die Sehnsucht Gottes nach seinen Menschen. Diese Sehnsucht gipfelt im Kommen Jesu. Joh 3,16 ist wie das neutestamentliche Gegenstück zu 1Mose 3,15: „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Das Wort „Welt“ zeigt die universale Liebesabsicht Gottes. Es steht ausdrücklich nicht „Menschen“ an dieser Stelle, sondern eben Welt (griech.: kosmos)! Hier finden die Linien im Alten Testament – einerseits Israel und andererseits die Nationen („alle Geschlechter der Erde“) – wieder zusammen. In Jesus sind die Verheißungen Gottes erfüllt. „Es ist vollbracht!“ (Joh 19,30)
Jesus hat das fest im Blick. In Joh 10,16 sagt er: „Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden.“ Für die Angehörigen des Volkes Israel war das eine Zumutung. Sie sahen nur sich als das auserwählte Volk. Die Apostelgeschichte zeigt später (Apg 10), wie ausdrücklich Gott durch Petrus eingreifen muss, um zu verdeutlichen, dass auch den Nationen (den Heiden) das Evangelium verkündet werden muss und sich Gott – für alle offenkundig – zu den Heiden stellt.
Heute ist aktuell zu beobachten, wie die Nachkommen der beiden Brüder Isaak und Ismael im Glauben an Jesus langsam beginnen, zusammenzufinden. Zunehmend findet Versöhnung zwischen messianischen Juden und arabischen Christen statt. In meinen Augen ist das ein – wenn auch eher verborgenes – Zeichen der Zeit.
Das Geheimnis und die Verheißung des Glaubens bestehen zu allen Zeiten und an allen Orten für alle Menschen darin, sich dem lebendigen Gott anzuvertrauen, weil er sich den Menschen anvertraut hat. Das Ziel des Glaubens ist die Vollendung der Heilsgeschichte Gottes und seine Verherrlichung. Darauf leben wir zu.
Johannes Uhlig, Vereinigung vom gemeinsamen Leben
Das Ziel des Glaubens ist die Vollendung der Heilsgeschichte Gottes und seine Verherrlichung.