Die Liebe Gottes und das Leid – dieses Thema stellt uns vor viele Fragen. Deren Beantwortung wird und kann uns Menschen nicht gelingen, dazu ist unser Horizont zu beschränkt. Wir können jedoch versuchen, auf Gott selbst zu schauen, um sozusagen in seiner „Biografie“ und im Erleben von Menschen, nicht nur von Nachfolgern Jesu, Spuren der ansatzweisen Bewältigung von Leid zu erahnen.

Er hängt dort am Kreuz, ausgespannt, hilflos, dürstend. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Wo ist in dem Moment dieser Gott, den er sein ganzes Leben lang als Vater bekannt und benannt hat? Wo ist der Vater in diesem tiefsten Leid?

Nicht nur im Leben Jesu sehen wir diese Frage brennend aufleuchten. Wo ist Gott, wenn wir leiden? Versuche, dem Leid einen Sinn zu geben, scheitern spätestens in der Begegnung mit Leidenden. Aber was tröstet dann?

Leid hat verschiedene Facetten. Das biblische Zeugnis konfrontiert uns damit, dass der Mensch selbst Schuld an dem Leid in der Welt trägt. Gott hat von der Schöpfung her alles gut gemacht. Gott ist Liebe. Zu dieser Liebe gehört, dass er den Menschen zu seinem Ebenbild erschaffen hat. Er hat ihn zur Antwort auf seine Liebe befähigt, doch in Freiheit. Der Mensch jedoch versagte Gott die Gemeinschaft und machte sich schuldig. Er gab der Macht des Bösen Raum. Mit der Schuld kam das Leid. Von dieser Ursünde her spannt die Bibel bis zur Offenbarung des Johannes hin einen weiten Bogen. Johannes verweist uns für das Ende der Zeiten auf die Liebe Gottes, die nochmals in neuer Weise offenbar werden wird. Gott kommt in seiner Liebe zum Ziel mit mir, mit meinem Bruder und meiner Schwester, mit der Welt. „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“ (Offb 21,4) Das ist unsere Hoffnung und lässt uns aushalten und ausharren.

Wir leben in dem „Dazwischen“. Wir leben zwischen Sündenfall, Erlösung und Vollendung. Wir leben mit der Schuld und ihren Folgen. Wir leben zugleich als Erlöste befreit von dieser Ursünde und warten auf das Kommen unseres Herrn Jesus Christus.

Wir sind ausgespannt, mit ihm, in einer Welt, die leidet und doch nichts mehr von den großen Verheißungen der Vollendung weiß

Und wir leiden mit. Wir können glauben, dass Gott durch alles hindurch Gemeinschaft mit uns sucht. Beeindruckende Lebenszeugnisse weisen uns auf die Kraft des Glaubens gerade in leidvollen Situationen hin. Können Menschen diesen weiten Blick des Glaubens behalten, vertieft sich oft sogar ihr Glaube. Es ist nicht heroischer Lebensmut, sondern der Glaube an einen Gott, der liebt und seine Liebe in Jesus verbürgt hat. Die Ahnung des Geheimnisses um den Weg Jesu lässt die Frage nach dem Warum mehr und mehr verstummen. In ihrem Zeugnis der Hoffnung, die dieses Leben übersteigt, und ihrem Glauben liegt Trost für ihre Mitmenschen.

Doch es gibt auch ein Leiden an Gott selbst. Wenn er sich verbirgt, wird dem Glaubenden die Lebensgrundlage entzogen. Leid des Körpers oder der Seele lassen sich ertragen, wenn die innere Mitte eines in Gottes Liebe vertrauenden Menschen nicht verloren geht. Doch was geschieht, wenn gerade hier Gott sich entzieht? Gottesmenschen wie Johannes vom Kreuz oder auch Mutter Teresa haben solche Dunkelheiten des Glaubens erlebt. Es ist ein Leid, das Menschen in besonderer Weise mit dem von Gott verlassenen Jesus verbindet. Mir scheint es die tiefste Not, die ein Glaubender erfahren kann: Der Glaube greift ins Leere. Da ist kein Gegenüber mehr, das Halt gibt. Die Unbegreiflichkeit Gottes, der in sich Gemeinschaft ist und sich dennoch der Sehnsucht des Menschen nach ihm entzieht, lässt uns erschrecken. Hier werden selbst das ewige Glück gegenüber der zeitlichen Qual und die Erlösung nach dem Leid in Frage gestellt.

Gerade im Blick auf dieses unsagbare Leid, das keinen Raum mehr für einen liebenden Gott im konkreten Erleben und Glauben lässt, bemächtigt sich die Angst eines weiteren, scheinbar in die Ewigkeit reichenden Schmerzes: Selbst wenn Gott am Ende alles abnehmen wird, wenn er alle Tränen abwischen wird, wenn er den Schmerz beendet – was war dann das Leiden? Welchen Sinn hatte dann das Durchhalten in der Dunkelheit? Weshalb muss ein Mensch Gottes diesen Weg gehen? Auch hier versagen alle Antwortversuche, dass wir dieses oder jenes daraus lernen oder daran reifen sollten. Dass am Ende alles gut wird in einem Leben und auch mit der ganzen Schöpfung, löst den Schmerz und das Leid des Weges nicht auf. Die Erlösung nur als ein Aufhören der Vergänglichkeit und des Schmerzes zu definieren, greift zu kurz.

Jesus hat alle Facetten des Leides durchlebt. In ihm wurde am Kreuz nicht nur das Vergängliche erschüttert (vgl. Hebr 12,27), sondern die ewige Beziehung in Gott selbst. So sehr hat er sich uns gleich gemacht. Als Mensch und Gott durchleidet er hier die Gottferne. Für unseren Verstand ist es unbegreiflich. Für das leidende Herz eines Glaubenden liegt genau dort der Trost. In den Wunden Jesu, die er als Auferstandener seinen Jüngern zeigt, liegt der Trost durch das Leid hindurch. Hier ist kein Gott, der am Ende sagt, dass der Weg keine Rolle spielt. Hier ist vielmehr ein Gott, der sich gerade durch die Wundmale, durch die Zeichen des Leidensweges seinen Jüngern, denen, die ihm vertrauten und ihm nachfolgen, zu erkennen gibt.

Er zeigt uns damit, dass Liebe nicht nur Ende des Leides meint, sondern dass alle Schmerzen aufgenommen sind in das Erlösungsgeschehen.

Der Eine hat sich in Ewigkeit verwunden lassen. Die Wundmale zeugen von dem Leid und von der Heilung, die dadurch geschieht, dass er uns unauflöslich mit sich verbunden hat. Sie zeigen, dass Zerbrochenes wieder zu einem Ganzen zusammengewachsen ist.

„Das Leben und das Sterben, das Leid und die Freude, die Blasen an meinen wundgelaufenen Füßen und der Jasmin hinterm Haus, die Verfolgung, die zahllosen Grausamkeiten, all das ist in mir wie ein einziges starkes Ganzes, und ich nehme alles als ein Ganzes hin, und beginne immer mehr zu begreifen, nur für mich selbst, ohne es bislang jemand erklären zu können, wie alles zusammenhängt.“1

„Das Leben und das Sterben, das Leid und die Freude, die Blasen an meinen wundgelaufenen Füßen und der Jasmin hinterm Haus, die Verfolgung, die zahllosen Grausamkeiten, all das ist in mir wie ein einziges starkes Ganzes, und ich nehme alles als ein Ganzes hin, und beginne immer mehr zu begreifen, nur für mich selbst, ohne es bislang jemand erklären zu können, wie alles zusammenhängt.

So wie es Etty Hillesum, eine jüdische junge Frau, die im KZ Auschwitz ums Leben kam, für ihr Leben erahnte, dürfen wir unsere Berufung erkennen und annehmen. Die Narbe ist am Körper eines Menschen ebenso wie am Leib Christi Zeichen der Versehrtheit und zugleich der Ganzheit. Leib Christi dürfen wir hier getrost im doppelten Sinn verstehen: als Leib des Auferstandenen mit den Wundmalen und als die eine Kirche Jesu Christi. Ja, die Hoffnung, die in den Wunden Jesu liegt, gilt nicht nur für das Leid im Leben eines einzelnen Menschen, sondern auch für die Kirche in ihrem tiefen Leid der Zertrennung und der Schuld, die uns heute immer deutlicher vor Augen steht.

Noch auf dem Weg des „Dazwischen“ können wir so im Heiligen Geist, der unserer Schwachheit aufhilft, zaghaft und doch vertrauensvoll für uns, seine ganze Kirche und die leidende Menschheit einstimmen in Jesu letztes Wort am Kreuz: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“


Autor

Sr. Petra Hahn
Sr. Petra Hahn, Ottmaring

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