Seht auf – wie der Blinde Bartimäus

Bartimäus nimmt das Geschehen auch wahr. Er sieht nichts, doch sind seine anderen Sinne geschärft. Seine innere Wahrnehmungsrichtung verläuft als Sitzender jetzt aufwärts. Herauf aus seinen körperlichen Fesseln zielt sein innerer Blick nun voller Sehnsucht und Hoffnung auf Jesus – alles von ihm erwartend. Bartimäus erkennt seine einmalige Chance und riskiert eine Blamage. Er scheint nicht abzuwägen und peinliche Konsequenzen in Betracht zu ziehen, im Gegenteil: Er schreit. Sein inneres Aufsehen zu Jesus wird zu einem äußeren Glaubensruf.

Die Menge ist irritiert über den Störenfried, der sich nicht dem kollektiven Empfinden unterordnet und scheinbar nicht versteht, dass hier etwas Großes im Gange ist.

Doch: Jesus bleibt stehen! Dieser kleine Satz spiegelt den Wendepunkt der Erzählung wider. Es scheint als würde Jesus plötzlich seinen Heilsweg unterbrechen. Wozu auf die Störung des Blinden eingehen? Warum bleibt Jesus auf diesem für die Heilsgeschichte so entscheidenden Weg stehen? Ist es tatsächlich „nur”, um einem Blinden das Augenlicht zurückzugeben? Die Erlösung wäre doch auch für Bartimäus als Blinden geschehen! Jesus beantwortet jedoch das Rufen von Bartimäus mit einem Rufen nach ihm selbst. So kommt für Bartimäus nach dem Aufsehen nun das Aufstehen.

Seht auf – wie Jesus

In der Szene verblassen nun die beeindruckenden, menschlichen Größenordnungen der sich zuspitzenden Heilsbewegung. Vielleicht wird es jetzt still um Jesus.

Jesus und Bartimäus stehen sich jetzt gegenüber. Dabei ist ihr inneres Sehen wesensähnlich. Jesu Blickrichtung ist auch aufwärts gerichtet, alles vom Vater erwartend. Er sieht durch das Hier und Jetzt der Heilsgeschichte hindurch, behält den Durchblick und sieht auf zu seinem Vater im Himmel. Von ihm her ist er gekommen, zu ihm hin zielt sein ganzes Wirken. Jesus sieht auf das Jetzt aus dem Blickwinkel des Ewigen, und er sieht aus dem Jetzt auf zum Ewigen. Sein Blick geht immer hindurch, durch das Je-Jetzt zum Vater. Es ist kein eindimensionaler, einbahniger Blick. Es ist ein korrespondierendes Aufsehen zum Vater: Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater (Joh 16,28 ). Ganz aus der Ewigkeit her und zu ihr hin sehend, oder hindurch sehend, sieht Jesus jetzt Bartimäus. Die Ewigkeit schiebt sich ikonenhaft zwischen die beiden und öffnet den Aufsehenden den Himmel. Der Christushymnus aus Phil 2,6-11 drückt Jesu Sichtweise und seinen Weg, von Ewigkeit her, durch die tiefste Tiefe hindurch, zur Ewigkeit hin, aus: Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

Die Ehre Gottes, des Vaters beschreibt das Ziel Jesu, auf das er sieht. Selbst in der großen Heilsbewegung in Richtung Jerusalem bleibt Jeus stehen – ohne den Blick von Gott abzuwenden. Im Gegenteil, um im Aufsehen zum Vater zu bleiben, heilt Jesus Bartimäus und nimmt ihn so mit auf seinen Weg. Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach auf dem Wege (v 52).

Seht auf – wie der Jünger Bartimäus

Am Ende dieser aufsehenerregenden Geschichte wird aus dem Bettler ein Jünger. Jesu Ruf nach Bartimäus war auch ein Ruf in die Nachfolge. Bartimäus darf jetzt weiter sehen als bisher. Sein Blick endet nicht bei Jesus und weitet sich wieder in die Ewigkeit hinein. Er darf mit Jesus aufsehen zum Vater.
bartimaeusKl

Der Spannungsbogen des Aufsehens von Ewigkeit her zu Ewigkeit hin, entlädt sich im Heute, in unserem Heute, im Jetzt. Unser Aufsehen zu Jesus wird zu einem Durch-Schauen zu Gott und von ihm her ein Anschauen unserer Situationen. Wir erleben und erfahren immer mehr, dass Ewigkeit keine (nur) zukünftige Dimension ist. Jesus will im Je-Jetzt durchschaut werden. Das heißt, die Bewegungen um uns herum und die Beschränkungen unseres Lebens nicht übersehen, aber über sie hinaus und durch sie hindurch auf Jesus sehen, mit ihm aufsehen zum Vater und uns von ihm ansehen lassen.

Sr. Petra Hahn, Ottmaring – bearbeitet von Samuel Pfeifer