Mit welcher Qualität und Tiefe lieben wir? Lassen wir der Liebe Gottes in uns die unbegrenzte Möglichkeit zur Entfaltung? Können wir der Liebe zu Gott unbedingt treu bleiben, auch dann, wenn sie uns das vermeintlich Liebste, ja sogar von Gott Verheißene in Frage zu stellen scheint? Dieser Situation musste sich Abraham stellen, als er von Gott versucht oder geprüft wurde. Als Vater des Glaubens hat er uns vorgelebt, was es heißt, Gott ungeteilt um seiner selbst willen zu lieben.
Eine der anstößigsten biblischen Geschichten ist die der Opferung Isaaks in 1Mo 22,1-19. Abraham sollte entsprechend der Anweisung Gottes seinen geliebten einzigen Sohn im Land Morija auf einem Berg als Brandopfer darbringen.
Abgesehen von dem großen kulturellen Graben zwischen jener Zeit und der unsrigen stellen sich uns dazu gewichtige Fragen. Eine zentrale Frage ist die: Wenn unser himmlischer Vater, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Vater Jesu Christi, Liebe ist (1Joh 4,16), wie kann er eine solch abwegige Anweisung geben?Die Erzählung beginnt so: „Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich.“ Mit diesem erzählerischen Beginn wird man als Leser oder Hörer zunächst einmal innerlich beruhigt. Man weiß ja schon, dass Gott es gut ausgehen lassen wird. Aber der Hinweis, dass Gott selbst den Abraham versuchte, kommt manchen fremd vor. Erst recht ist es unserem Empfinden zuwider, wenn der Zusammenhang deutlich wird. Abraham hatte aufgrund des Redens Gottes seine Heimat und Verwandtschaft verlassen. Er hatte nicht einmal gewusst, wohin die Reise gehen sollte. Aber vertrauensvoll war er losgegangen, auch aufgrund atemberaubender Verheißungen, die Gott ihm gegeben hatte: Eine äußerst zahlreiche Nachkommenschaft, der dann auch das verheißene Land gegeben werde, sowie den Segen, der allen Geschlechtern auf Erden zugutekommen sollte (s. 1Mo 12,1-9). Und dann hatte es sich durch dramatische Ereignisse hindurch ergeben, dass er und seine Frau Sara in hohem Alter doch noch den leiblichen Sohn Isaak als Gottesgeschenk bekommen hatten. Und der sollte jetzt geopfert werden?
Damit würden ja die gesamte bisherige Geschichte Gottes mit Abraham sowie die damit verbundene und verheißene Zukunft aufs Spiel gesetzt werden! Welchen Sinn sollte das haben?
Sören Kierkegaard (1813-1855), der dänische Philosoph und Theologe, hat sich besonders intensiv damit auseinandergesetzt. Persönlich war er zudem dabei, sein Verlöbnis lösen zu müssen. Gerhard von Rad schreibt: „Auch bei ihm hatte sich das Gottesverhältnis trennend zwischen ihn und die moralische Treuepflicht seiner Verlobten gegenüber gestellt.“ 1 Kierkegaard hat von daher die Geschichte auch auf sich persönlich bezogen und sie intensiv reflektiert. So kam er zu der Aussage, die das menschlich Absurde des Geschehens folgendermaßen ausdrückte: „Abraham war größer als alle: groß durch die Kraft, deren Stärke Ohnmacht ist; groß durch die Weisheit, deren Geheimnis Torheit ist; groß durch die Hoffnung, deren Form Wahnsinn ist, groß durch die Liebe, die Hass ist gegen sich selbst.“2
Im biblischen Text werden zwei Dinge deutlich. Zum einen geht es um den Erweis der Gottesfurcht bei Abraham. Die Versuchung Gottes oder die Prüfung, die er Abraham abverlangte, sollten zeigen, ob es Abraham wirklich in erster Linie und umfassend um Gott selbst ging. Es ging um die Läuterung seines Glaubens. Er musste dahin geführt werden, dass er zum eigenen Entschluss kam, dass Gott ihm wichtiger ist als Isaak – obwohl der ja ein unglaubliches Gottesgeschenk war! Abraham musste sich zwischen Gott und Isaak entscheiden – sonst wäre er in der Gefahr gestanden, dass seine Vaterliebe allmählich zum Götzendienst geworden wäre. Wem gehörte sein Herz wirklich? Hatte Abraham gelernt, ausschließlich auf Gott zu vertrauen und Gott ungeteilt um seiner selbst willen zu lieben?
Die Erzählung zeigt, dass Abraham die unvorstellbare Prüfung bestanden hat. Nichts, selbst die in Isaak geschenkte verleiblichte Verheißung Gottes konnte durch sein menschlich nicht begreifbares Dranbleiben an Gott zum Götzen werden. Das ist der Erweis seiner unverbrüchlichen Gottesliebe, die jegliche weitere Liebe nährt und erfüllt (vgl. 1Joh 4,7-21). So kam es, dass am erschütternden Höhepunkt der Szene auf dem Berg der Engel Gottes zu ihm sprach: „Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen“ (1Mo 22,12). Mit der Gottesfurcht ist nicht das ängstliche Erstarren vor einem schrecklichen und unbarmherzigen Gott gemeint. Vielmehr geht es dabei um eine umfassende Hingabe an Gott, die von einer liebevollen und freudigen Ehrfurcht und einem Staunen angesichts der Größe Gottes gekennzeichnet ist.
Zum anderen ist der daraus folgende Segen außerordentlich wichtig. Es ist nicht nur die von Gott verordnete Abschaffung von Kinderopfern, wie sie aus dieser Geschichte auch herausgelesen werden kann. Vielmehr bestätigt die bestandene Prüfung die bereits zuvor ausgesprochene Verheißung des Segens für Abrahams Nachkommenschaft. Diese Verheißung soll letztlich allen Völkern auf Erden zugutekommen. So bekommt Abrahams Haltung eine noch tiefer gegründete Heilsbedeutung für seinen Samen. Durch den Engel sprach Gott selbst zu ihm:
„Ich habe bei mir selbst geschworen, spricht der HERR: Weil du solches getan hast und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont, will ich dich segnen und deine Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel und wie den Sand am Ufer des Meeres, und deine Nachkommen sollen die Tore ihrer Feinde besitzen; und durch deine Nachkommen sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden, weil du meiner Stimme gehorcht hast“ (1Mo 22,16-18).
Beide Aspekte zeigen die umfassende Liebe des Vaters, des Vaters des Volkes Israel wie auch aller Völker. Mit dieser Erzählung wird sie in einer unauslotbaren Tiefe anschaulich.
Nicht zuletzt ist der Ort Morija so etwas wie eine Brücke zu dem Geschehen, das inmitten der ganzen Weltgeschichte – in der Fülle der Zeiten – ein für alle Mal die unüberbietbare Liebe Gottes des Vaters dokumentiert. Nach jüdischem Verständnis befindet er sich in Jerusalem. Dort ist das erschütternde Ereignis eingetreten, dass Gott seinen einzigen und schon lange vorher verheißenen Sohn Jesus dahingab zur Rettung der Welt. Eine tiefere oder höhere oder umfassendere Bezeugung der Liebe ist nicht denkbar und möglich. So hat sich dort in gewisser Weise das ereignet, was bei Abraham verhindert worden war. Insofern kann man die – letztlich verhinderte – Opferung Isaaks als eine vorbereitende Vorschattung auf das Geschehen auf Golgatha ansehen. Isaak durfte weiterleben, ebenso Jesus als auferstandener Erstling der neuen Schöpfung. Welch ein wunderbarer Segen für alle Welt, welch eine unerschöpfliche Quelle der Liebe Gottes!
Nicht zuletzt ist der Ort Morija so etwas wie eine Brücke zu dem Geschehen, das inmitten der ganzen Weltgeschichte – in der Fülle der Zeiten – ein für alle Mal die unüberbietbare Liebe Gottes des Vaters dokumentiert.
Autor
Vereinigung vom gemeinsamen Leben
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Vereinigung vom gemeinsamen Leben im Ökumenischen Christusdienst
Die Vereinigung vom gemeinsamen Leben im Ökumenischen Christusdienst ….
Fussnoten