Eltern, vor allem Mütter, stehen heute in einem grundlegenden Konflikt, wenn sie sich Gedanken über ihre Rolle in der Begleitung und Erziehung ihrer Kinder machen. Abgesehen von finanziellen Erwägungen stellen sich Fragen nach Verzicht. Soll der Verzicht auf eine berufliche Laufbahn ohne Bruch im Vordergrund stehen oder der Verzicht auf besonders kostbare gemeinsam verbrachte Zeit beim Heranwachsen des Kindes? Oder gibt es eine gute Mischung davon? Eine junge Mutter gibt Ihre Erfahrungen und Gedanken weiter und möchte dazu ermutigen, Muttersein als Herzensangelegenheit zu gestalten.

Als Mama von vier Kindern mache ich mir naturgemäß ab und an Gedanken über das Muttersein. Besonders wenn das nächste Treffen der BEI (Bildungs- und Erziehungsinitiative) ansteht, beschäftigt mich die Frage nach dem, was Muttersein heute bedeutet und welche Herausforderungen es für meine Generation zu bewältigen gilt. Ich wollte wissen, was „uns Eltern“ gerade umtreibt und habe deshalb einige Artikel zum Thema Elternschaft gelesen. Dabei stolperte ich immer wieder über ein Wort: Fremdbestimmt. Dieses Empfinden scheint mir ein Ausdruck eines grundlegenden Konflikts heutiger Elternschaft zu sein. Wir arbeiten Jahre an dem, was wir sein wollen und wie wir leben können, und uns steht mehr offen als den meisten vor uns. Und dann liegt plötzlich ein kleines Wesen im Bettchen und braucht uns, wann es will, und nicht, wann wir wollen. Und unser mühe- und liebevoll aufgebautes Leben geht den Bach hinunter. Ich glaube, uns Eltern wurde so oft gesagt, dass wir (z. B. im Blick auf Familie und Arbeit) alles haben können. Darüber haben wir aber vergessen, was Leben zum Gedeihen und Wachsen braucht, nämlich Hingabe. Man könnte auch sagen: Verzicht. Oder Opfer. Ich frage mich durchaus, ob uns das mehr Mühe macht als früheren Generationen. Wahrscheinlich ist die Antwort nicht ganz so einfach. In jedem Fall finde ich den feministisch geprägten Familiendiskurs, mit dem wir an jeder Straßenecke konfrontiert werden, schmerzhaft einseitig und verzerrt. Ich finde, es ist keine Errungenschaft, wenn Mütter drei Monate nach der Geburt wieder am Arbeitsplatz erscheinen. Ich finde das herzzerreißend. Und ich schalte das Radio aus, wenn es um die Selbstbestimmtheit der Frau geht, denn ich kann es nicht mehr aushalten, dass man diese ganze Diskussion auf die Frau beschränkt und so tut, als gäbe es das Kind, das ihr anvertraut ist, gar nicht. Das wahrhaft Große, das sich hier etwas ereignet ist doch, dass durch mich etwas geschieht, das aber über mich hinaus geht. Es geht dabei gar nicht um mich, jedenfalls nicht nur. Können wir das noch aushalten? Wenn wir damit konfrontiert werden, dass dieses Kind uns braucht, und zwar ohne Rücksicht auf unsere Gewohnheiten, dann fühlen wir uns fremdbestimmt. Ich kenne diese Empfindung, besonders gut verstehe ich sie nachts. Ich finde es aber unsagbar traurig, wenn wir darüber nicht mehr hinauskommen. Denn ich habe noch eine andere Erfahrung gemacht: Ich kann zum Beispiel viele Aufgaben zu Hause mit meinem Kind zusammen erledigen. Alles dauert viel länger mit ihm, aber wenn es mir gelingt, nicht meine Liste abarbeiten zu wollen, sondern mich von ihm stören zu lassen oder es auf seine Weise zu machen, dann haben wir Zweisamkeit bei dem, was wir tun, und das ist schön, erfüllend, beglückend. Dann ist es nicht mein Tag, an dem mein Kind mit muss, sondern es ist unser Tag.

Manchmal gelingt es mir, mich von meinem Kind „aus der Bahn“ werfen zu lassen und eine Art Kairos zu erkennen: Dann kann ich so handeln, dass mein Kind ein tiefes Bedürfnis erfüllt sieht oder eine wichtige Erfahrung machen kann. Dann wird es plötzlich 2 cm größer und hat ein Leuchten im Gesicht. Und ich habe ihm dazu verhelfen können – das macht froh und stolz und ist unwahrscheinlich wertvoll. Manchmal ist das sehr besonders und manchmal ganz klein. Diese Erfahrungen für uns beide können aber nur dann stattfinden, wenn ich „Ja“ sage zu meinem kleinen, überschaubaren Alltag.

Ich wünsche mir, dass meine Generation durchdringt vom Gefühl der Fremdbestimmung zum Opfer, aber im schönsten Sinne, nämlich zum freudigen und freiwilligen zur Verfügung stellen – meiner Zeit, meiner Kraft, meiner Person mit allen ihren Stärken und auch Schwächen.

Ich möchte einfach Mut machen, unsere Zeit zu verschwenden an unsere Kinder, Mut machen zum ganz banalen, unspektakulären Alltag! Ich bin mir dessen bewusst, dass es sich viele Familien finanziell gar nicht leisten können, diese Fragen zu bewegen. Diesen möchte ich keinen weiteren Kummer machen. Aber haben wir doch den Mut, eine ehrliche Kostenaufstellung zu machen. Wie wollen wir leben? Und wer in der Familie zahlt welchen Preis? Dann ist die Laufzeit des Kredits eben bei 35 Jahren! Dann ist es eben das billigste Auto auf dem Markt! Dann gibt es eben eine Sparwoche im Monat! Und wenn es einfach nicht reichen will, dann haben wir es wenigstens durchgedacht und vertrauen unsere Kinder fröhlich Gott an und gehen arbeiten. Aber lassen wir uns doch nicht dauernd sagen, dass es „heute auch anders geht“. Wann genau hat man uns eigentlich davon überzeugt, dass es für unser einjähriges Kind keinen Unterschied macht, ob es mit zwanzig anderen Kindern in einem Raum herumkrabbelt oder bei seiner Mutter ist? Wann haben wir angefangen zu glauben, dass der beste Ort nicht bei uns ist? Und mit Loslassen können hat das nichts zu tun. Dazu werden wir noch reichlich Gelegenheit haben.

Ich bin keine Super-Mutter, der immer alles leichtfällt. Muttersein ist für mich oft eine echte Herausforderung. Es gibt Momente, da denke ich: Ich möchte jetzt davonlaufen. Ich möchte nicht so mit mir selbst konfrontiert werden. Aber man kann nicht aus. Und das ist vielleicht sogar das Glück an der Sache. Muttersein ist ein Zustand und ein Prozess, ein ständiges Angebot, geformt zu werden. Zum Beispiel in Sachen Barmherzigkeit – mit meinen Kindern, aber auch mit mir selbst. Ich schilderte einmal in einem Seelsorgegespräch eine häufige Konfliktsituation mit meinen Kindern und wie ich auf der Suche nach Lösungsansätzen wäre. Meine Gesprächspartnerin lächelte milde und sagte: „Vergeben Sie sich selbst! Und zwar sieben mal siebzig Mal!“ Das hat mich vielleicht geärgert! Ich hatte das Gefühl, sie hatte mein Problem überhaupt nicht verstanden. Aber es ging mir nach, und mit der Zeit erkannte ich doch eine große Tiefe darin. Ich empfinde Muttersein in unserer Instagram-Zeit auch in besonderer Weise als eine Jagd nach dem noch immer Besseren. Das ist zutiefst unbarmherzig. Abends ins Bett zu gehen und sich selbst zu sagen: Ja, da und dort, da habe ich Unrecht getan oder sogar ganz versagt. Aber ich will es alles IHM zurückgeben und barmherzig sein mit mir – das ist etwas anderes. Ich möchte das nicht verwechselt wissen mit Leichtfertigkeit. Es ist vielmehr ein demütiges Annehmen der eigenen Person. Ein Wissen darum, wer man ist und wer man NICHT ist. Und eben dieses Ich aus der Hand dessen zu nehmen, der mir auch diese Aufgabe übergeben hat. Insofern ist Muttersein vielleicht auch einfach der Weg zum schlichten Menschsein, mit dem „so bin ich“ genauso wie mit der Verheißung, in all dem Jesus immer ähnlicher zu werden.

Und dann darf ich jeden Tag neu Barmherzigkeit mit meinen Kindern üben.

Ich darf immer wieder hineinfinden in eine Herzenshaltung, die mich von der Ungeduld befreit und den Blick für das Kind nicht verliert bei allem, was zu tun ist

Die Barmherzigkeit sieht, was das Kind braucht, und sie lässt sich unterbrechen. Sie gibt dem Kind Zeit oder Ermutigung statt Tadel. Oder sie tadelt das Kind, aber sie tadelt anders. Es ist der Blick, mit dem Jesus uns betrachtet.


Autor

Christine Pfeifer

Samuel und Christine Pfeifer, mit ihren Kindern

Vereinigung vom gemeinsamen Leben

BEI – Bildungs- und Erziehungsinitiative
Christine und Samuel Pfeifer laden zweimal im Jahr Erzieher, Lehrer, Eltern, Großeltern und andere Interessierte ein, sich anhand des Evangeliums mit Fragen der Erziehung auseinanderzusetzen. Dabei geht es ihnen nicht so sehr um pädagogische Konzepte, sondern um die eigene Herzensbildung im Sinne des Ökumenischen Christusdienstes. Gesellschaftliche Entwicklungen im Blick auf die Familie werden ebenso bedacht wie Identität, Gehorsam oder ähnliche Themen, die im Umgang mit Kindern und Jugendlichen eine Rolle spielen. Mit biblischen Impulsen und eigenen Erfahrungen aus ihrem Familien- und Berufsleben leiten sie die in der Regel dreistündigen Treffen ein. Die anschließenden Kleingruppen dienen der Vertiefung und dem persönlichen Austausch der Teilnehmenden.
Kontakt-E-Mail: bei@vvgl.de

  • Vereinigung vom gemeinsamen Leben im Ökumenischen Christusdienst

    Die Vereinigung vom gemeinsamen Leben im Ökumenischen Christusdienst ….

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