Wie können wir es besser verstehen, wie uns der Vater liebt und was damit unsere Liebe kennzeichnen sollte? Eine Hilfe kann uns dazu das Bild „Rückkehr des verlorenen Sohnes“ des niederländischen Malers Rembrandt van Rijn (1606-1699) sein. Hilfreich ist dazu das Buch „Nimm sein Bild in dein Herz“ von Henry Nouwen (Herder 2001), dem die entsprechenden Anregungen entnommen sind.
Lieben wie der Vater
Dieses Bild ist für mich etwas Besonderes, weil es uns erschließen kann, wer Gott, der Vater, ist. Und zugleich kann man sehen – im wahrsten Sinne des Wortes –, wie der Vater liebt. Auf drei Punkte des Gemäldes möchte ich unseren Blick richten. Dabei sind im Folgenden einige Sätze Zitate aus diesem Buch, mit denen ich aber recht frei umgegangen bin.
Der Blick des Vaters
Wir sehen einen halbblinden alten Mann mit grauem Bart, der sich am Kinn leicht teilt. Er ist in ein goldbesticktes Gewand und einen tiefroten Umhang gekleidet. Seine großen steifen Hände liegen auf den Schultern des heimkehrenden Sohnes. Wir sehen zugleich in seinem Gesicht bedingungsloses Erbarmen, unendliche Liebe, Zärtlichkeit, immerwährende Vergebung – es sind göttliche Wirklichkeiten.
Der Blick des blinden Vaters geht ins Ferne und Weite. Was wird er denken? Was wird er sehen? Es ist ein Blick, der die ganze Menschheit umfasst. Er sieht all die verlorenen Männer und Frauen aller Zeiten und Orte. Er sieht und denkt an alle, die den Vater verlassen haben. Zugleich sieht er in unendlichem Mitleid all das Leid derer, die diesen Schritt gegangen sind. Das Herz des Vaters ist von einer unendlichen Sehnsucht entbrannt, seine Kinder heimzubringen. Der Vater sehnt sich nach seinen Kindern. Das heißt: ER sehnt sich nach dir. Der Vater hat ein verstehendes und Freiheit gewährendes Herz.
Die Hände des Vaters
Bei genauerem Betrachten ist erkennbar, dass es verschiedene Hände sind. Die linke Hand des Vaters, die auf der Schulter des Sohnes ruht, ist kräftig und muskulös. Die Finger sind gespreizt und bedecken einen großen Teil der Schulter und des Rückens. Wir können einen gewissen Druck, besonders beim Daumen, erkennen. Diese Hand scheint nicht nur zu berühren, sondern mit ihrer Kraft auch zu halten.
Wie anders ist die rechte Hand des Vaters! Diese Hand hält nicht und greift nicht. Sie ist feingliedrig, sanft und sehr zärtlich. Die Finger liegen eng aneinander und wirken elegant. Die Hand liegt weich auf der Schulter des Sohnes. Sie will streicheln, liebkosen, Tröstung und Wohlbehagen schenken. Es ist die Hand einer Frau, einer Mutter. Hiermit blicken wir tief in das Herz Gottes: Der Vater ist nicht einfach ein großer Patriarch. Er ist ebenso Vater wie Mutter.
Er berührt den Sohn mit einer männlichen und einer weiblichen Hand. Er hält, und sie streichelt. Er bekräftigt, und sie tröstet. Er ist wirklich Gott, in dem beides, Mannsein und Frausein, Vaterschaft und Mutterschaft, Sohnsein und Tochtersein – voll und ganz gegenwärtig ist. Die zärtlich liebkosende rechte Hand ist für mich ein Echo der Worte des Propheten Jesaja (49,15): „Kann auch eine Mutter ihres Kindleins vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie seiner vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen. Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet…“ So liebt Gott – als Vater und Mutter.
Wenn wir nun wiederum auf Rembrandts alten Mann schauen, der sich über seinen heimkehrenden Sohn beugt und seine Hände auf dessen Schultern legt, fangen wir an, nicht nur einen Vater zu sehen, der „seinem Sohn um den Hals fällt“, sondern auch eine Mutter, die ihr Kind küsst, es mit der Wärme ihres Leibes umgibt und an den Schoß drückt, aus dem es hervorging. So wird die „Rückkehr des Verlorenen Sohnes“ die Rückkehr in den Schoß Gottes, die Rückkehr zu den eigentlichen Ursprüngen unseres Lebens, unseres Seins.
Wenn wir das in uns wirken lassen, dann erkennen wir, dass nicht ich mich für Gott entschieden habe, sondern dass Gott sich zuerst für mich entschieden hat. Nicht wir wählen uns Gott – Gott wählt uns. Von Ewigkeit her sind wir „im Schatten seiner Hand geborgen“ und „eingezeichnet auf die Fläche seiner Hand“ (Jes 49,16). Bevor irgendein Menschenwesen uns berührt, hat Gott uns liebevoll geschaffen. Bevor irgendein Menschenwesen über uns entscheidet, hat Gott uns gewollt und „Ja“ zu uns gesagt. Gott liebt uns, bevor irgendein Mensch uns seine Liebe zeigen kann. Er liebt uns mit seiner „ersten“ Liebe, einer grenzenlosen, bedingungslosen Liebe.
Die Segensgeste des Vaters
Die etwas steifen Hände des Vaters ruhen segnend auf den Schultern des verlorenen Sohnes. Es ist der Segenszuspruch, den Jesus in der Taufe hörte und den auch wir in der Taufe hörten: „Du bist mein Sohn, mein geliebter, auf dir ruht mein Gefallen.“ (Mk 1,11)
Aber: Das ist eine sehr leise Stimme. Es gibt viele andere Stimmen, laute Stimmen, voller Verheißung und Verführung. Diese Stimmen sagen: „Geh hinaus und zeige, was du wert bist.“ Es sind die Stimmen, die unseren Selbstwert in Zweifel ziehen. Sie suggerieren mir, dass ich nicht geliebt bin und nicht geliebt werden kann, wenn ich mir diese Liebe nicht durch bestimmte Anstrengungen und harte Arbeit verdient habe.
Ich verlasse das Zuhause jedes Mal, wenn ich den Glauben an jene Stimme verliere, die mich den Geliebten nennt, – und dagegen den Stimmen folge, die so viele verschiedene Wege anbieten, jene Liebe zu gewinnen, die ich so sehr ersehne. Unser ganzer Alltag wird von Leistung bestimmt. In der Schule und am Arbeitsplatz, zu Hause und wohl auch in der Gemeinde. „Wenn du nur genug betest, dann …“ Nur wer etwas leistet, bekommt Anerkennung. Nur wer für Gott etwas leistet, der kommt auch zur himmlischen Ruhe. Wirklich?
Wie viel anders klingt dagegen die Aufforderung Jesu: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“(Mt 11,28)
Diese drei Punkte sollen nur einen Vorgeschmack dessen geben, was noch alles in diesem Bild steckt. Lieben wie der Vater. Welche Sprache sprechen wir? Kann unser Gegenüber durch unsere Sprache bei Gott zu Hause sein? Sind wir segnende Menschen? Rembrandts Vater auf dem Gemälde regt uns dazu an: Lieben wie der Vater.
Autor
Vereinigung vom gemeinsamen Leben
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Vereinigung vom gemeinsamen Leben im Ökumenischen Christusdienst
Die Vereinigung vom gemeinsamen Leben im Ökumenischen Christusdienst ….