Oekumene – Fragwürdig, denkwürdig, liebenswürdig
Walter Faulmüller
Zur Bedeutung eines vieldeutbaren Schlagworts
Die erste Christenheit hat den Begriff Ökumene (=bewohnte Welt, römisches Imperium, orbis terrarum) aus der Umgangssprache des damaligen römischen Weltreichs einfach übernommen.
So leitet Lukas die Geburtsgeschichte unsres Herrn ein mit dem Gebot des Kaisers, dass die ganze Oekumene registriert werde Lk. 2,1; so hofft, nach dem Bericht des Lukas (Lk 4,5), der Versucher mit dem Angebot alle Reiche der Ökumene den Sohn Gottes vom Vater zu trennen; so deutet es Jesus als ein Zeichen der letzten Zeit vor seinem Kommen,
dass dieses Evangelium vom Reich nicht nur regional, national oder kontinental, sondern in der ganzen Oekumene verkündet wird (Mt 24,14). Auch weist er auf das endzeitliche schreckhafte Erstarren des Menschen im Warten auf die Dinge, die noch kommen sollen über die Oekumene (Lk 21,26) und „weil du bewahrt hast das Wort meiner Geduld, will ich auch dich bewahren aus der Stunde der Versuchung, die kommen wird über die ganze Oekumene…“ so lautet die Zusage Christi an seine Gemeinde Philadelphia.
Wer will, kann die übrigen Stellen nachschlagen, wo neutestamentliche Zeugen unser Wort gebrauchten: Apg 11,28; 17,6; 17,31; 19,27; 24,5; – Röm 10,18; – Hebr 1,6; 2,5; – Offb 12,9; 16,14. – Überall geht es um die Erde bzw. deren Bewohner. Oekumene – ein global weltlicher Begriff, zunächst ohne religiöse oder ideologische Prägung. Oekumene bezeichnet in dieser ersten Zeit der Christenheit die äußerste Schale, das Gefäß, in das Gott das Geheimnis Christi und seiner Kirche hineinlegte.
Hat sich da etwas geändert, als die Kirche im 4. Jahrhundert unter dem Kaiser Konstantin aus einer anfangs gering geachteten, später verbotenen, je und je blutig verfolgten Minderheit innerhalb der Oekumene zur anerkannten, privilegierten, staatstragenden religiösen Institution erhoben wurde?
Alle Bewohner der Welt.
Eigentlich nicht! Ökumene blieb ein Name für das alle Völker, Länder und Provinzen umfassende römische Weltreich mit dem Kaiser als dem Herrn der Oekumene. Als solcher nahm er sich das Recht – und es wurde ihm willig seitens der Kirche zugestanden – lenkend und bestimmend auf die Kirche einzuwirken. Fünfeinhalb Jahrhunderte, von 325 bis 870 geschah dies auf den Bischofssynoden der Reichskirche in Ost und West. Sie wurden vom Kaiser berufen und bekamen damit, im Unterschied zu Provinzial- oder Metropolitansynoden, den Titel oekumenische Konzilien. Deren zum rechten Verständnis des Geheimnisses Christi und der Heiligen Dreieinigkeit verabschiedeten Entscheidungen sollten bleibende Geltung haben für die ganze Christenheit. – Ökumene – jetzt also ein nicht nur politischer, sondern auch ein kirchenrechtlicher Begriff!
Es war Papst [[Gregor der Große]] (590 – 604), der schlaglichtartig die Fragwürdigkeit und Gefährlichkeit dieses Wortes anleuchtete, als er dem Patriarchen von Konstantinopel, Johannes IV., gegenüber den angenommenen Titel „Oekumenischer Patriarch“ als „gottlos und stolz“ verwies. Sich selber nannte er „servus servorum Dei“ (Diener der Diener Gottes). Es ist gut zu wissen, dass seitdem die Bischöfe von Rom und Nachfolger Petri diesen schönen Titel zu ihren Amtsbezeichnungen zählen. Und manche trugen ihn zu Recht.
Für die Kirchen des Ostens konnte es nach dem Auseinanderbrechen der Einen Kirche in Ost und West 1054 konsequenterweise keine ökumenischen (=gesamtkirchlichen) Konzilien mehr geben. Es blieb für sie bei den sieben oekumenischen Synoden des 1. Jahrtausends. Nachdenklich stimmt und erinnert an Gregor d.Gr. oben zitierte Mahnung, warum die Kirche des Westens ihre in der Folgezeit vom Papst (nicht mehr vom Kaiser!) berufenen Synoden als oekumenische Konzilien weiterzählt. Wird hier nunmehr oekumenisch zu einem Exklusivbegriff für die römisch geleitete Kirche? Die wechselvolle Reihe von den frühen Laterankonzilien bis zum I.Vatikanischen Konzil 1869/70 (das in römischer Zählung 20. ökumenische Konzil!) scheint dies zu bestätigen.
Geistliche Oekumene
Dann kam das von Papst [[Johannes XXIII]]. einberufene, weithin von uns allen miterlebte II.Vatikanum. Und am 21. November 1964 wurde das Dekret über den Ökumenismus (Unitatis redintegratio) verabschiedet. Hier geschah eine Wende, ein Durchbruch, eine Bekehrung vom kirchenjuristischen Begriff einer Anspruchs-Ökumene zu dem vom Zeugnis Christi und seinen Aposteln geprägten geistlichen Ökumenismus. Da wird bezeugt: „Es gibt keinen Ökumenismus ohne innere Bekehrung. Denn aus dem Neuwerden des Geistes, aus der Selbstverleugnung und aus dem freien Strömen der Liebe erwächst und reift das Verlangen nach der Einheit. Deshalb müssen wir vom göttlichen Geist der Gnade aufrichtige Selbstverleugnung der Demut und des geduldigen Dienstes sowie der brüderlichen Herzensgüte zueinander erflehen. – Alle Christgläubigen sollen sich bewusst sein, dass sie die Einheit umso besser fördern, je mehr sie nach einem reinen Leben gemäß dem Evangelium streben. – Diese Bekehrung des Herzens und die Heiligkeit des Lebens ist in Verbindung mit dem privaten und öffentlichen Gebet für die Einheit als die Seele der ganzen oekumenischen Bewegung anzusehen. Sie kann mit Recht geistlicher Ökumenismus genannt werden.“
Oekumene nicht als Spezialität einiger kirchlicher Profis, als Aufgabe für „die da oben“, nicht als bloßes Mitmachen bei einer kirchlichen Mode, nein, hier geht es um ein heiliges Muss derer, die dem Meister gehören und auf ihn hören. Hier ruft der Meister der Liebe zu unbedingter Bruderliebe als einziges, untrügliches Kennzeichen der Seinen. Hier erbittet der Sohn des Vaters den Seinen jene unzertrennliche Liebeseinheit, die im Geheimnis des Dreieinen waltet.
Hier erinnert das Lamm Gottes an die in seinem Kreuzestod vollzogene und ermöglichte Sammlung der Zerstreuten zu einer Herde, einer Kirche. Hier gemahnt der Sohn alle, die durch seinen Geist den Vater anrufen, dass sie unter einem Vater eine Familie sind.
Dieser Durchbruch zum geistlichen Ökumenismus in der röm-kath. Kirche um die Mitte des 20. Jahrhunderts ist gewiss auch eine späte Folge der sogenannten „Ökumenischen Bewegung“ im Raum der evangelischen Christenheit, deren Anfänge weit in das 19. Jahrhundert zurückreichen. Da entstanden konfessions- und denominationsübergreifende Sammlungen: die Evangelische Allianz, Jugendbund für Entschiedenes Christentum, der CVJM, Christlicher Studentenweltbund; da finden sich die evangelischen Missionswerke zu einer Weltmissionskonferenz zusammen; da wird 1914 ein Weltbund für die Freundschaftsarbeit der Kirchen – dies alles getragen von Männern und Frauen, die sich nicht so sehr von menschlichen Nützlichkeits- und Zweckinteressen als vom Willen Christi hin zur Verbindung und Vereinigung der Brüder und Schwestern getrieben sahen.
Ein solcher geistlicher Führer, der schwedische Bischof [[Nathan Soederblom]], rief 1925 Kirchenvertreter aus den noch von den Wunden des I.Weltkriegs gezeichneten Völkern in Ost und West zur „[[Ökumenischen Weltkonferenz]]“ in Stockholm zusammen: Es wurde ein bewegendes Fest des Friedens und der Bruderliebe. Damals wurde die freundliche und ehrerbietige Einladung auch an die römische Kirche von dort nicht nur kalt abgelehnt, sondern die ganze Bewegung mit der Enzyklika „Mortalium animos“ hart diskriminiert.
Aus zwei Strängen (life and work: für praktisches Christentum; und faith and order: Glaube und Kirchenverfassung) fand sich die oekumenische Bewegung zusammen zum Oekumenischen Rat der Kirchen, der dann nach dem II.Weltkrieg 1948 zu einer Vollversammlung nach Amsterdam einlud. Nicht die eine Kirche zu machen, sondern sich gegenseitig in der Liebe Christi anzunehmen, um miteinander auch den mannigfachen Nöten der Welt zu steuern im Gehorsam gegen den Willen des Dreieinigen Gottes – und zu Seiner Ehre – dies war dabei die Leitlinie.
Oekumene – unaufhaltsame Herausforderung.
Es darf allerdings nicht verschwiegen werden, dass es später bedenkliche Abweichungen gab. Der geistliche Oekumenismus verblasste und politisch fragwürdige Aktionen traten in den Vordergrund: militante Engagements in Antirassismusbewegungen, Unterstützung revolutionärer, gewaltbereiter Gruppen. Auch die Öffnung für Frauen im Amt der Kirche war für die alten Kirchen des Ostens ein Schritt über die Linie.
Einzelne Mitgliedskirchen, die solche Abweichungen als Irrweg und die solche Politisierung der Oekumene als verwerflich ansahen, antworteten mit Beitragsentzug, ja selbst mit Austritt. Hier liegen die Gründe dafür, dass sich manche geistliche Bewegungen in dierser Oekumene nicht mehr wiederfinden.
Trotzdem: Die oekumenische Bewegung in ihrer vom Evangelium Christi und dem Zeugnis der Apostel inspirierten Prägung war und ist nicht aufzuhalten. Dass dafür von Vorläufern und Wegbereitern mancherlei Verkennung und Verurteilung erlitten werden musste und ertragen wurde, und dass das Opfer solcher „Märtyrer“ zum Durchbruch der oekumenischen Bewegung beitrug, sei dankbar erwähnt.
Ist Ökumene heute in der westlichen Christenheit nicht zum Allerwelts-Modebegriff geworden? – Auch hier gilt: „Prüfet die Geister, ob sie von Gott sind! Und glaubt nicht einem jeden Geist…!“ Doch in dankbarer Freude an Ihm, dem Grund auch aller gottgefälligen Oekumene, aus dessen Fülle sie und wir alle Gnade um Gnade nahmen und nehmen, ehren wir mit Ihm den Vater und den Heiligen Geist und schauen aus auf das Ziel und die Vollendung durch Ihn: „Du wirst dein herrlich Werk vollenden…!“