Zwei Worte sind uns im Neuen Testament in der Muttersprache Jesu überliefert: Abba und Amen. Sie gehören zum kostbarsten Erbe der Menschheit … Allein diese beiden Worte können uns zum konzentrierten Gebet werden, das letztlich alles umfasst. Wie das möglich werden kann, wird hier dargelegt.
Abba und Amen sind in einzigartiger Weise Urworte Jesu. Sie charakterisieren seine Person und seine Sendung. Sie sind Inbegriff seiner Botschaft und Herzmitte seines Betens. Das Vaterunser, das hohepriesterliche Gebet und die letzten Worte des Gekreuzigten entfalten, was die Worte Abba und Amen besagen. Sie gehören wesentlich zu seinem gesamten Lebensweg. Überdies spiegeln sie das Leben und Lieben der Dreieinigkeit wider und sind zudem auf die Gemeinschaft ausgerichtet, die nach dem Bild und Gleichnis des dreifaltigen Gottes in dieser Welt verwirklicht werden soll. Das geschieht durch den Heiligen Geist.
Wie Jesus, „vom Heiligen Geist erfüllt“, sein „Ja, Vater“ gesprochen hat (Lk 10, 21), so soll es durch alle geschehen, die sich ihm anvertrauen. Der Heilige Geist, der den Glaubenden die Gotteskindschaft vermittelt, will es in ihnen rufen (Gal 4,6) und sie befähigen, in persönlicher Entscheidung in ihm selber zu rufen: „Abba, Vater“ (Röm 8,15). Wie zum Geheimnis Christi, so eröffnet das Abba-Amen einen Zugang zum Geheimnis des Christen. Wie es Grundwahrheiten der biblischen Botschaft herausstellt, indem es sich als Summula 1 des Glaubens, als Impuls der Liturgie und als Imperativ des Handelns erweist, wie es mit den Grundvollzügen des christlichen Lebens zusammenhängt, mit dem Glauben, Hoffen und Lieben, so betrifft es die Grundlagen der christlichen Gemeinschaft und markiert zugleich die geschenkte und gebotene Offenheit für alle Menschen.
Zum „Ja, Vater“ gehört unverzichtbar das Ja zu allen Schwestern und Brüdern. Deshalb ist das Abba-Amen das ökumenische Gebet schlechthin.
Nach dem Vorbild Jesu Christi ist das Abba-Amen nicht nur zu beten, sondern zugleich zu leben. Es kann wesentlich dazu beitragen, dass wir unser Leben beten und unser Beten leben, damit unser Da-sein immer mehr ein Ja-sein wird. Das Abba-Amen kann unser Leben verwandeln; es kann es konsequent auf das uns vorgegebene Ziel ausrichten und uns zugleich bewusst machen, dass nicht irgendein fernes Ziel unabsehbar weit vor uns liegt, dass uns vielmehr unser liebender Vater erwartet, ja uns entgegenkommt. An jedem von uns ist es, dieses persönliche Geschenk der Liebe Gottes sich auf die persönlichste Weise zu eigen zu machen. Möge Gottes Heiliger Geist dies uns allen schenken.2
Das Abba-Amen Jesu vermag unser Leben zu verwandeln … In der Nachfolge Christi haben sie [glaubwürdige Zeugen] sein „Ja, Vater“ nicht nur gesprochen, sondern gelebt.
Einer aus ihrem Kreis ist Max Josef Metzger. Er ist ein Blutzeuge für den Frieden und die Einheit und zugleich für das christliche Abba-Amen. 1942 hat er in seinem geistlichen Testament erklärt: „Nichts könnte meinem Leben einen sinnvolleren Abschluss geben, als wenn ich für den Frieden Christi im Reiche Christi mein Leben hingeben dürfte.“ Als die Erfüllung seines letzten Willens nahe bevorstand, gingen ihm in der Todeszelle immer mehr der Sinn und der Segen des Abba-Amen Jesu auf. Überzeugt davon, dass er diese Erkenntnis nach Kräften weitergeben müsse, hat er in den Monaten vor seiner Hinrichtung am 17. April 1944 Bewegendes über das Abba-Amen aufgezeichnet. So schrieb er drei Wochen nach dem Todesurteil mit gefesselten Händen:
„Als in der Zeiten Fülle Gott den Sohn im Menschenfleisch zur Menschenerde sandte, war „Abba“ dieses Lebens erster Laut, und „Abba“, Vater, war sein letztes Wort.
Denn Abba Vaters Wille war sein und Abbas Liebe seine Seligkeit.“
Für Max Josef Metzger gehört das Abba-Amen zu den kostbarsten Geschenken, die Jesus der Menschheit gemacht hat … Es mag auch dazu ermutigen, mitten in den Umständen, in denen wir uns befinden, den jeweils eigenen Weg hin zu Jesus Christus und seinen Urworten zu suchen und sich sein Abba-Amen ganz neu und ganz persönlich zu eigen zu machen. 3
Autor
1928 – 2019
Professor Dr. Paul-Werner Scheele wurde 1928 in Olpe geboren. Seit 1979 war er Bischof von Würzburg.
Mit freundlicher Genehmigung des Echter Verlags Würzburg
„Abba-Amen beten und leben“
Paul-Werner Scheele
Fussnoten