Ein Brief an geistliche Mitarbeiter

„Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.”

Irgendetwas an diesem Gedicht von [[Joseph von Eichendorff]] spricht mich tief an. Ja, das Zauberwort, das alles zum Singen bringt. Doch irgendwie tun wir uns doch heute zunehmend schwer mit dem Märchenhaften und dem Zauber, oder? Mit dem Begriff „Entzauberung” ist unsere Zeit treffend zu umschreiben. Die Welt lässt sich rational erklären und es scheint vorbei zu sein mit den Geheimnissen.
Entzauberung gibt es aber nicht nur kulturgeschichtlich, sondern auch biographisch in der Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen und im Leben als Christen. Die Entzauberung eines christlichen Mitarbeiters oder Leiters ist zugleich ein notwendiger und ein schrecklicher Vorgang. Da gibt es die spezifische Aura, die einen geistlichen Mitarbeiter oder Leiter, einen Pfarrer, Priester oder Ordenschristen ohnehin umgibt. Wer selbst kein solcher ist, mutmaßt, dieser Mensch müsse gewiss ein ganz besonderer sein. Doch dann…

Mitarbeiter und Leiter, entzaubert

Noch gut erinnere ich mich persönlich an diese Mutmaßung. Als Jugendlicher war ich zu einer ganz neuen persönlichen Glaubensentscheidung gekommen. Zunächst dachte ich, der Leiter meines Jugendgebetskreises müsse ein geistlich überaus tiefer Mensch sein. Er sprach doch so überzeugend von Gott – keine Frage, dass er ihn persönlich kennt!
Nun erfuhr ich von einem Netzwerktreffen mehrerer Leiter. Innerlich erbebte ich: Welche spirituelle Superpower müsse hier wohl versammelt sein! Sind hier doch so viele höchst Heilige versammelt! Nur noch in meinen kühnsten Phantasien konnte ich mir schließlich ausdenken, wie es wohl bei einem Treffen von Leitern auf nationaler Ebene zugehen müsse. Egal, ob auch Sie mit solch unrealistischen Erwartungen gestartet sind oder nicht: Der Macht der Entzauberung von Mitarbeiterschaft und Leiterschaft konnten Sie wahrscheinlich auch nicht entfliehen. Mich persönlich traf es hart. Herauszufinden, wie viele Priester oder Laien in Verantwortung geistlich ihre intensivsten Jahre lange hinter sich haben und eigentlich nur noch aus der Reserve leben, hört bis heute nicht auf, mich zu erschüttern.

Das große Geheimnis

Es bewegt mich der Traum von einem Leben als Mitarbeiter oder Leiter, bei dem das Innen wirklich interessanter, faszinierender und „größer” ist als das nach außen Sichtbare. Tatsächlich erscheint mir das Leben, bei dem es anders herum ist, zunehmend als furchtbar – ständig etwas geben, obwohl das Innere weit hinter dem zurückbleibt, was man gibt. Für diesen schrecklichen Zustand wähle ich neben dem Wort „entzaubert” nun das Wort „entheimlicht”. In dem Wort klingt nämlich Bedeutsames an. Jeder Mensch hat Dinge, von denen kein anderer weiß. Und jeder Mensch hat Dinge, die er im Verborgenen tut. Das, was er „heimlich” tut, ist sein Geheimnis. Dort ist er im Tiefsten Da-heim. Leben kann der Mensch allgemein und der Leiter im Besonderen niemals nur im „Außen”. Das Außen, das Tun, das Geben speist sich notwendiger Weise aus einem Innen, einem Verborgenen, einem Geheimnis, in dem man sein Heim hat. Das größte Vorbild eines Leiters, der aus dem verborgenen Ort heraus leitet, ist Jesus. Wie muss es um sein Gebetsleben bestellt gewesen sein, dass die Jünger ihn nach Stunden des einsamen Betens an einem geheimen Ort beknieten, er möge sie beten lehren (Lk 11,1). Waren es doch allesamt fromme Juden, die schon als Kind beten gelernt hatten! Dennoch wollten sie von Jesus wissen: Aus welchen Quellen nährst du dich? Was ist das Geheimnis deines Betens?

Nie wieder entzaubert

Als Mitarbeiter im Reich Gottes gebe ich Menschen das Kostbarste und Persönlichste weiter, das ich habe, meinen persönlichen Glauben. Welch unermessliches Vorrecht, doch auch, welche Gefahr! Denn wird meine innerste Quelle, mein ganz persönlich Eigenes auf einmal und mehr und mehr etwas, das ich weitergebe, worüber ich im Außen spreche, gerät es dadurch in Gefahr, seinen Glanz zu verlieren. Weshalb sollte es seinen Glanz verlieren? Weil das kalte Licht des Sichtbaren für jeden Menschen auf Dauer tödlich ist. Das Innenleben des geistig gesunden Menschen lebt von den Bereichen des inneren Rückzugs, die eben nicht verzweckt sind.

Zwei brennende Fragen

Worum also geht es und was kann die Antwort sein? Lassen Sie mich zunächst eine Frage stellen: Gibt es bei Ihnen noch ein Geheimnis? Oder sind Sie als Mitarbeiter oder Christ zum Funktionär geworden, der für die richtige Sache kämpft, der all das Richtige tut, dabei jedoch vergisst, dass es keine Sache ist, um die es geht, sondern eine Person, die es zu kennen gilt? Und die nächste Frage: Gibt es in Ihrem Leben noch etwas Zweckfreies, das einfach nur für Gott und Sie stattfindet und nicht für andere? Ich habe einen Verdacht: Wenn wir keine Geheimnisse mit Gott haben, werden wir – weniger gesunde – andere Geheimnisse im Verborgenen kultivieren, die dem Schrei unserer Seele Rechnung tragen, irgendwo einfach nur sein zu dürfen und nicht nur leisten zu müssen…

Die Verzauberung kultivieren

Drei kleine, ganz konkrete Tipps:

1. Zweckfreies Bleiben in Jesus

Wie beten Sie? Wenn Gebet Beziehung zu Gott ist: Ist diese Beziehung dann so etwas wie eine Geschäftsbeziehung, in der Sie etwas tun, damit Sie etwas bekommen? Oder ist Sie eine Freundschaft oder Liebesbeziehung, in der das Zusammensein schon das Ziel ist? Ich möchte Sie einladen, Zeiten im Gebet einzuplanen, in denen Sie um nichts und für nichts beten, in der Sie überhaupt nicht etwas Besonderes tun, sondern einfach einmal sind vor Gott. Ganze Bücher sind über solches „kontemplatives Gebet” geschrieben worden. Doch die Mitte ist ganz einfach: Beten ist ein liebendes Verweilen der Aufmerksamkeit bei Gott, so wie die Rebe am Weinstock bleibt. Dieses im Verborgenen immer neu eingeübte Bleiben ist unabdingbare Voraussetzung für jede echte Fruchtbarkeit.

2. Zweckfreies Verweilen im Wort

Mitarbeiter neigen dazu, die Bibel zu lesen, um etwas vorzubereiten. Wir lesen eine Passage, weil wir über sie demnächst eine Andacht halten oder predigen müssen. Halten wir uns jedoch vor Augen, dass es der lebendige Christus ist, der zu uns spricht, wenn wir seinem Wort zuhören? Gleichen wir in unserem Umgang mit dem Wort selbst nicht oft mehr der geschäftigen Marta („es gibt ja so viel zu tun!”) als der Maria, die sich wirklich Zeit nimmt, zu den Füßen Jesu zu sitzen und seinen Worten zu lauschen? Ich möchte Sie einladen, die Bibel zu lesen, zu meditieren und im Wort zu verweilen, unabhängig davon, ob „etwas daraus wird”. Psalm 1 vergleicht das vom Nachsinnen über das Wort Gottes durchdrungene Leben mit einem Baum, der am Wasser gepflanzt ist – wie erstrebenswert!

3. Zweckfreies Staunen über Weisheit

Und schließlich: Auch unser Verstand möchte genährt sein. Lesen Sie? Studieren Sie? Lesen Sie noch Texte, die sie nicht „brauchen”? Unser Geist wird arm, wenn er nur noch einsammelt, was er sofort danach reproduziert. Gibt es Gedanken, theologische oder philosophische, künstlerische oder geschichtliche Gedanken, von denen Sie sich intellektuell nähren? Auch hier: Man spürt es einem Redner ab, aus welcher Tiefe das kommt, was er sagt. Und nicht die Fülle an Information sättigt den menschlichen Geist, sondern das „Verkosten der Dinge von innen” (Zitat von [[Ignatius von Loyola]]).

Dafür hab ich keine Zeit.

Doch, das haben Sie schon. Wissen Sie, wofür Sie wirklich keine Zeit haben? Für die nur oberflächlich effiziente Tretmühle einer geistlosen Routine. Denn diese bringt schlichtweg keine Frucht. In den Unterlagen aus einer Fortbildung für Oberärzte in Krankenhäusern las ich den Ratschlag, sich täglich eine Stunde produktive Stille zu gönnen – eine Stunde!? Gäbe man Mitarbeitern, Pastoren oder Pfarrern einen solchen Rat, so klänge es schon ambitioniert. Doch ich las es im Kontext dieser säkularen Ärztefortbildung. Mein Vater war Oberarzt in einem Krankenhaus. So kann ich in etwa ermessen, was es dort bedeutet, sich täglich eine Stunde für die Stille zu nehmen! Und doch müssen wir sehen, für einen Diener des Evangeliums ist es noch viel vernichtender als für einen Arzt, wenn seine geistlichen Quellen versiegen.

Abschied von der Entzauberung, ja eine Rückkehr in das Zauberreich eines echten verborgenen Lebens in Gott – das kostet Zeit! Doch wie wunderbar wäre es, wenn ich tief drin wüsste: Ich sättige mich von einer Nahrung, um die keiner weiß, der mich von außen sieht (vgl. Joh 4,32), die mein ganz eigenes Geheimnis ist. Es wäre das Ende der Entzauberung. Und das wäre wirklich revolutionär – und zauberhaft.

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johannes_hartlGekürzter und bearbeiteter Brief von Dr. Johannes Hartl, Gebetshaus Augsburg. – Das Gebetshaus ist eine Initiative innerhalb der charismatischen Erneuerung der r.k. Kirche in der Diözese Augsburg und steht in Verbindung mit einer weltweiten Gebetsbewegung.

Weitere Informationen über das Gebetshaus Augsburg

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