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Jesus starb nicht irgendwo und irgendwie. Es war sogar die Raffinesse der aufgehetzten Volksmenge, ihn durch die römische Besatzungsmacht hinrichten zu lassen: „Kreuzige ihn! Kreuzige ihn“. Diese Art der Exekution war im ganzen Herrschaftsgebiet dem nordeuropäischen Galgen gleichzu-setzen. Damit setzte man Jesus den schlimmsten Verbrechern gleich. In Mt 20,17-20 profezeit der Herr seinen Jüngern:

„… sie werden mich verdammen zum Tode …, werden mich kreuzigen …“ Er wusste genau, wie sein irdisches Ende aussieht, weil er alles Übel der Welt dieser Verdammnis zuführen musste. Davon kündet Paulus in Gal 3,13-14: Christus hat uns erlöst von dem Fluch des Gesetzes, da er ward ein Fluch für uns – denn es steht geschrieben: „Verflucht ist jedermann, der am Holz hängt“, auf dass der Segen Abrahams unter die Heiden käme in Christus Jesus.

So viel sprachlich ersichtlich ist, gehören die griechischen Worte Fluch und Verdammung demselben Wortstamm an. Praktisch bedeuten auch beide Worte den radikalen Ausschluss, zunächst bezogen auf die menschliche Gesellschaft jeglicher Art; letztlich aber in Bezug zu Gott. Tatsächlich nahm der Fluch seinen Anfang bei der göttlichen Ausweisung des Menschen aus dem Garten Eden durch den Erzengel. Die letztgültige Aufhebung des Fluchs findet die Menschheit am Kreuz von Golgatha, das man daher zu Recht „Fluchholz“ nennt.
Sowohl solche Bezeichnung als auch das nunmehr gängige Wort „Kruzifix“ verleitete die Christenheit schwerpunktmäßig dazu, solches zu einem Symbol für Leid und Schmerz zu erheben. Ich komme nicht umhin, das zu bedauern. Dabei habe ich festgestellt, dass die Christenheit des Anfangs, obwohl sie eine unterdrückte Kirche war, – wofür die Katakomben stehen – mit Absicht keine Kreuzzeichen in Gebrauch hatte. Ich hatte mich bei meinen Rombesuchen bemüht, diesen Tatbestand zu erhärten. Tatsächlich kam das Kreuzzeichen erst durch den oströmischen Kaiser (Konstantin den Großen) in Umlauf, also fast vier Jahrhunderte nach Jesu Kreuzigung. Aber auch dann begnügte man sich mit dem leeren Kreuz, weil damit der Auferstandene bezeugt werden sollte.
Die hohe Zeit des „Kruzifix’“ (also mit Corpus) begann mit der gotischen Mystifizierung von Leid und Schmerz. Jesu Leichnam wurde aber vom Kreuz genommen, so dass die Überwindung des Todes das eigentlich richtige Signal oder eben ein Heilszeichen werden konnten. Es darf hier bemerkt werden, dass die orientalischen orthodoxen Kirchen kein Kruzifix einführten. Auch das englische Erneuerungswerk der Katholisch-Apostolischen Gemeinden des 19. Jahrhunderts hat das blanke Kreuz in ihren Kirchen vorgeschrieben. Gestalterisch gibt es reiche Möglichkeiten, das Heil zu signalisieren. (19)

ANMERKUNGEN

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(19)

Bevor ich auf die universale Bedeutung des Kreuzes eingehe, muss ich den Lesern meine Scheu im Blick auf Kruzifixe durch meine Historie erhellen. Mit dem Christentum bin ich erst im 16. Lebensjahr in Berührung gekommen. Das verwundert insofern nicht, als mein Vater „gottgläubig“ war und die Zeit des „Dritten Reiches“ das Ihre dazu gab. Mit meiner Bekehrung, d.h. mit konsequenter Jesusnachfolge einher ging meine Infragestellung alles „Kirchlichen“. Damit inbegriffen war eine tiefinnerlich gegründete Ablehnung der Darstellung des Jesusleichnams am Kreuz. Vor allem störte mich die falsche Signalwirkung gegenüber der Welt. Wenn die Darstellung des leidenden und geschundenen Jesus die Erde als Jammertal denkmalartig verdeutlichen sollte, so könnte ich Zugang finden. Aber ich bin heute noch der Überzeugung, wie fast unmöglich das Kruzifix als Heilszeichen zu erkennen ist. Da nützen auch Vergoldung und anderer Zierrat nichts.

Das leere Kreuz ist für mich ein unverzichtbares Lebenszeichen. Es ist nicht nur schrecklich, sondern auch fundamental gewesen, dass der Tod Jesu in die Form des Kreuzes „kriechen“ musste, denn damit war sein eigener Tod besiegelt. Aber er wurde wieder abgenommen, begraben und ist auferstanden. Dieser Triumph muss sich im christlichen und damit endzeitlichen Zeichen ausdrücken. Daher spricht man auch vom Triumphkreuz, das allenfalls statt dem Leichnam Jesu den König und Sieger Christus darstellen sollte. Hört man sich dann im kirchengeschichtlichen Bereich die Zeugnisse der Väter an, so dehnt sich das Kreuz ins Uferlose aus und wird zur Zentralfigur der Schöpfung und Erlösung. Bis hinein in die Welt der Dinge symbolisiert das Kreuz das Positive. Der Beweis sind die mathematischen Zeichen + und x.

Andreas von Kreta durchschaut das Vordergründige im Kreuz und formuliert staunend: O Heiliges Kreuz, du Versöhnung des Kosmos, die Umgrenzung der Erdenweiten, die Höhe des Himmels, du – auch Tiefe der Erde, bindendes Band der Schöpfung. Lass dich erkennen.

Teilhard de Chardin schreibt: Das Kreuz richtet sich am Kreuzpunkt aller Werte und aller Probleme immer aufrechter mitten in der Menschheit auf. An ihm kann und muss sich mehr denn je die Scheidung vollziehen zwischen dem was aufsteigt und dem was absteigt. Unter einer Bedingung: dass es sich nicht nur als Zeichen eines Sieges über die Sünde darstellt, sondern endlich seine Fülle erreicht, nämlich das dynamische und vollständige Symbol eines Universums im Zustand personalisierender Evolution wird. (1952)

Rosenstock-Huessy bekennt Folgendes: Die vollblütige Wirklichkeit des Menschenlebens ist kreuzförmig. Unsere Existenz ist in einem ständigen leidenden Ringen mit einander widerstrebenden Mächten, Paradoxen und Widersprüchen von innen und außen. Sie reißen und zerren uns in entgegengesetzte Richtungen, doch sie erneuern uns auch. Und diese entgegengesetzten Richtungen lassen sich in vier zusammenfassen, die die großen Raum- und Zeitachsen aller Menschenleben auf Erden als das Kreuz der Wirklichkeit bezeichnen.

In diese Richtung zielt die ganze Vielfalt der Kreuzzeichen in vielen Kulturen und Zeitaltern, wobei dessen einfache und einleuchtende Form ausschlaggebend war und ist. Ich zitiere aus einem Symbol-Lexikon Folgendes:

Das Symbol des Kreuzes ist ein dargestelltes Weltzentrum und darum ein Ort der Kommunikation zwischen Himmel und Erde und eine kosmische bzw. Weltachse. Die vertikale Linie ist die himmlisch-göttliche, spirituelle und intellektuelle, positive, aktive und männliche, während die horizontale die erdgebundene, rationale, passive, negative und weibliche ist. Es ist der Dualismus in der Natur und die Vereinigung der Gegensätze. Es ist die höchste Identität.

Sachlichen Niederschlag dieser geistigen Kreuzbedeutung finden wir u.a. im Kirchenbau. Viele Kirchen bezeichnen mit ihrem Grundriss ein vielfach unbeachtetes konstruktives Kreuz, wo sich Langschiff und Querschiff kreuzen. Im Kreuzungsbereich (Schnittpunkt) entsteht die Vierung. Meist ergibt sich auch durch die Kreuzarme eine liegende Darstellung der Himmelsrichtungen, wobei das Langschiff fast immer in West-Ost-Richtung geplant wurde.

Ein weiterer sachlicher Niederschlag ist die Sitte des sich Bekreuzigens. Hier gibt es zwar Unterschiede zwischen römischer und orthodoxer Praxis, stimmt aber in der Sinngebung überein. Auch ein Routinegebrauch minderte nicht den segensreichen Sinn. Im Zeichen des Kreuzes stellt sich der Christ in seiner zweifachen Existenz vor Gott. In der Senkrechten symbolisiert sich der Schöpferwille Gottes, in der Waagrechten die irdische Konsequenz des Menschseins. So ist auch der menschliche Körperbau gebildet, wobei man dem Stabilisierungsteil sogar die Bezeichnung „Kreuz“ gab. Auch Kirchliche Weihen sind immer mit dem Kreuzzeichen verbunden.

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